Nie mehr Pommes ohne

Thomas Zeisner produziert in Grasberg,wovon Kinder träumen: tonnenweise Tomatenketchup. Tomaten von hier sind aber nicht fruchtig genug. Also kommt der Rohstoff aus dem sonnigen Süden

Rot bekleckerte MitarbeiterInnen sucht man in der Fabrik vergebens

Damit hatte der Bauer aus Lilienthal dann doch nicht gerechnet. Er habe noch zwei Ladungen Tomaten übrig, erzählte er dem Juniorchef der Ketchup-Fabrik im benachbarten Grasberg am Telefon: Ob er die denn nicht haben wolle? Thomas Zeisner (41) lacht noch heute, wenn er an den Anruf denkt: „Dem musste ich erst mal erklären, dass wir hier gar keine Tomaten verarbeiten.“

Statt frisch aus dem verregneten Teufelsmoor kommt der Rohstoff für die rote Soße, die Zeisner und sein Vater Günther vor den Toren Bremens produzieren, per Schiff aus dem sonnigen Portugal: fertig püriert, eingedickt und in große Fünf-Kilo-Konservendosen verpackt. „Tomaten von hier wären nicht fruchtig genug“, entschuldigt Zeisner, der sein Produkt dennoch als ein „regionales“ bezeichnet. Gewürzt, gemischt und abgefüllt wird schließlich hier.

Mit einem Knall stanzt der Roboter den Deckel aus der Tomatenmark-Dose, die ein Greifarm gerade von der Palette gehoben hat. Schmatzend holt sich der Sauger das Mark, das leere Blech wandert in die Presse und fällt klappernd in den Container – die nächste bitte.

An die 1.000 Tonnen der roten Pampe verarbeitet Zeisner so im Jahr. Rotbekleckerte Ketchup-KöchInnen sucht man in seinem Betrieb indes vergeblich. Stattdessen sorgt ein kompliziertes Sammelsurium aus Rohren und Fließbändern, Pumpen und Saugern, Rollen, Greifarmen, Bottichen und Ventilen dafür, dass Tomatenmark, Zucker, Essig, Salz und die Gewürze im richtigen Verhältnis zueinander fließen – alles präzise überwacht von unzähligen Sensoren. Nur der süßliche Geruch in der Industrie-Halle hinter dem Wohnhaus verrät, was hier gerührt wird: Ketchup in allen Variationen.

25.000 rote Plastikflaschen schlittern pro Tag über das Fließband, werden etikettiert, befüllt, verschlossen und in Kartons verpackt – alles vollautomatisch. Je nach Bedarf läuft Tomaten-, Curry-, Gewürz-Ketchup, Schaschlik-, Zigeuner-, China- oder Barbecue-Sauce durch die Edelstahl-Pipelines. Von den 15 MitarbeiterInnen der Ketchup-Fabrik arbeiten ganze drei in der eigentlichen Produktion. Der Rest ist Büro und Vertrieb.

Als Produzent von Worcester- und anderen „Feinkost-Saucen“ hatte Thomas Zeisners Urgroßvater vor 100 Jahren im Bremer Philosophenweg begonnen. 30 Jahre später kam dem Sohn des Kaufmanns die Idee mit dem zuckrig-sauren Tomatenbrei – eine zukunftsweisende Entscheidung. Das Familienunternehmen – der Namenszug des Firmengründers ziert noch heute jedes Etikett, das 1967 nach Grasberg zog, erwirtschaftet mit der roten Soße inzwischen einen Jahresumsatz von mehr als fünf Millionen Euro.

Branchenführer wie Heinz und Kraft mögen ein Vielfaches der Zeisner-Produktion auf Pommes und Wurst bringen. Aber der Mittelständler aus Grasberg hat wie die 50 anderen kleinen Ketchup-Produzenten in Deutschland seine Nische gefunden. „Es gibt einen Herrn Zeisner – wirklich“, zieht Herr Zeisner seinen Trumpf aus der Tasche: „Einen Herrn Kraft gibt es nicht.“ Vor allem zwischen Hamburg und Emden, aber auch in Belgien, Italien, Spanien und den USA steht die Soße aus Grasberg im Ladenregal. Wahre Fans freilich wollen auch anderswo nicht auf dem Trockenen sitzen: „Ich bekomme immer wieder Briefe von Wegzüglern. Denen muss ich dann ‚Care-Pakete‘ schicken“, schmunzelt Zeisner.

Welche Mischung der mehr als 20 Gewürze, die in dicken Säcken auf dem Dachboden lagern, seinen Produkten den typischen Geschmack verleiht, verrät der Kaufmann nicht: „Betriebsgeheimnis.“ 14 verschiedene jedenfalls sind es allein im Curry-Ketchup. Kommt eine neue Sack-Lieferung, wird erst einmal probiert. Wehe, wenn der Chili schärfer ist als sonst und niemand es bemerkt: „Das ist ’ne geschmackliche Bombe“.

Sein Markenprodukt lässt den Ketchup-Meister selbst in der Freizeit nicht los. „Wenn ich im Supermarkt stehe, fange ich immer gleich an, im Ketchup-Regal rumzusortieren: Auf den Flaschen steht schließlich mein Name drauf“, sagt er. Und die Urlaubs-Souvenirs, die er mit nach Hause bringt, sind meistens rote Flaschen. Dass seine dreijährige Tochter die süße Tomatensoße verweigert, beunruhigt Zeisner aber nicht: „Auch ich hatte Phasen, wo ich die Ketchup-Allergie hatte.“ Armin Simon