piwik no script img

Nichts für die Ewigkeit

■ Bohr-Dadaisten richten im Prenzlberg eine Betonbrache her. Ein Stangenwald soll draus werden und Kreative zu kultureller Nutzung anspornen. Das Flexible ist das Konstante

„Der frühe Vogel fängt den Wurm“, frozzelt Werner Kürschner seinen Kollegen zu und freut sich, den vermeintlich einfachsten Claim abgesteckt zu haben. „Das Fetten ist das A und O“, erklärt er dann und schmiert die Gewindestange seines Diamantbohrers. „Und Ruhe ist wichtig“, meint sein Mitstreiter Thomas Galander, bevor er seine Maschine zum Surren bringt. Elke Tragor-Platzer hat das Startzeichen zum „Kernbohr-Marathon“ in der Lychener Straße 60 in Prenzlauer Berg gegeben. Jetzt schnurren die Bohrmaschinen.

96 Löcher, 60 Millimeter breit und etwa 20 Zentimeter tief, müssen in den Stahlbeton gebohrt werden, der die alten Kellergewölbe des im Krieg weggebombten Vorderhauses abdeckt. Gefühlvoll drehen die sechs Kandidaten des Wettbewerbs ihre Bohrkronen in die Erde. Mit links hält Galander den Bohrer, mit rechts setzt er die Halterung für das nächste Loch.

Der Kernbohr-Marathon ist die Folge des „Wettbewerberlin '97“, den der Hausverein Dada Thomyziel im Mai ausgerufen hatte. Fünf Jahre hatten die BewohnerInnen der Lychener 60 ihr Haus in Selbsthilfe saniert. Dann richtete sich ihr Augenmerk auf die Brache vor dem Haus. Ein „Pocketmasterplan“ sollte entworfen werden, offen und flexibel für unterschiedlichste kulturelle Nutzungen, eine leicht auf- und auch wieder abzubauende Konstruktion. Alles, was dort jetzt entsteht, soll schon in wenigen Monaten wieder verschwinden. Das Flexible, das Temporäre sei einzige Konstante in dieser Arbeit, erklärt Hausbewohner Benjamin Foerster-Baldenius. „Etwas gegen den Trend, die halbe Stadt mit Marmorfassaden für die Ewigkeit zuzukleistern.“ Um die Idee zu verfestigen, riefen die „Lychis“ dann gleich noch das Institut für angewandte Baukunst ins Leben.

Über 18 Entwürfe wurden eingereicht. „Das ging von orgelpfeifenartigen Stangen, die von unten bespielt werden können, bis zu einer Art Speakers Corner, die von von einem Regal aus zu gestaltenden Obstkisten umgeben sein sollte“, berichtet Foerster-Baldenius.

Der Architekt Jordan Geiger hatte drei fünf mal fünf Meter große Kisten vorgeschlagen, in denen unter anderem ein Planschbecken installiert werden sollte, das nur nackt zu betreten wäre. Die Jury aber prämierte einen von dem Stadtplanungsstudenten Christoph Brucker vorgeschlagenen Wald aus 98 Eisenstangen, da dieser die größten Spielräume für die Nutzung der Brache lasse. Auch Elemente der anderen Entwürfe können so noch realisiert werden.

Student Brucker versteht seine Arbeit sowohl als Kunstwerk als auch als „Kunst-Dünger“. Als „Möglichkeit für Möglichkeiten“, um das Potential einer um die dritte Dimension bereicherten Betonfläche für den urbanen Wildwuchs zu zeigen. Morgen ab 16 Uhr wird die Fläche mit einem zünftigen Richtfest mit Blasmusik eingeweiht. Filmprojektionen, Konzerte, ein Labyrinth werden an den kommenden Sonntagen folgen. Gestaltungswütige Mitstreiter sind willkommen.

Der Stangenwald wird allerdings vorläufig virtuell bleiben. Denn noch fehlt dem chronisch finanzschwachen Hausverein ein Sponsor, der die Stangen stiftet. Nur Elke Tragor-Platzer, die mit ihrem Mann einen Betrieb für Betonbohrungen betreibt, ließ sich bisher von den Hausdadaisten begeistern. Sie ließ gestern ihre Mitarbeiter die Standlöcher für die Stangen bohren, um die Wette, des Spaßes wegen. „Wir haben beide einen kulturellen Hintergrund“, erklärt Tragor-Platzer ihr Engagement. Sie selbst hat mal Gesang studiert. Ihr Mann beschäftigte sich mit Bühnenkunst. Bohrfachkräfte sind sie erst über Umwege geworden. Nach knapp zwei Stunden weiß sie nun auch, wer der Schnellste ihrer Truppe ist. Frank Cupial popelte 342 Zentimeter Stahlbeton aus der Erde und wurde von Tragor-Platzer mit dem Titel „Professor Doktor Drill“ geehrt. Und damit das Betriebsklima weiter stimmt, erhielt selbst der langsamste Bohrer eine Urkunde, für hervorragende Bohrkronenschonung. Gereon Asmuth

Das Institut für angewandte Baukunst wartet mittwochs um 20 Uhr auf Mitstreiter. Tel.: 444 75 28/-26

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen