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Nichts dreht sich für Berliner DJs„Nun arbeite ich als Tennistrainer“

Auch DJ Emerson macht coronabedingt als DJ eine Zwangspause. Auf Dauer aber, meint er, werden sich die Berliner das Feiern nicht verbieten lassen.

Der DJ und die Crowd: DJ Emerson bei der Arbeit, als das noch ging Foto: Elements Productions
Interview von Andreas Hartmann

taz: DJ Emerson, man hört derzeit sehr viel über die existenzbedrohende Lage der Clubs, die geschlossen haben – aber nur wenig von den dadurch arbeitslos gewordenen DJs. Woran liegt das?

DJ Emerson: Ich kann schon verstehen, dass man viel von den Clubbesitzern mitbekommt, da sie immerhin mit sehr viel Geld jonglieren und an jedem Tag, an dem ihr Club nicht öffnen kann, massive Verluste machen. Es wird ja spekuliert, dass zwei Drittel aller Clubs in Deutschland pleitegehen könnten. Aber warum sich von den DJs keiner äußert, weiß ich auch nicht. Ich habe selbst auch noch gar nichts über die Probleme irgendeines DJs gelesen.

Könnte es daran liegen, dass in den letzten Jahren so viel die Rede von den horrenden DJ-Gagen die Rede war und sich die Öffentlichkeit jetzt denkt, das bisschen Lockdown halten die Großverdiener locker durch?

Klar, es gab ja in den letzten Jahren geradezu eine Bewegung, die unter dem Namen „Business-Techno“ bekannt wurde. Dort werden ganz andere Werte hochgehalten als die, wegen derer ich einst mit dem Auflegen angefangen habe. Businessclass fliegen, Suite im Hotel, so etwas zählt da. Vielen DJs wurden zuletzt übertriebene Gagen gezahlt, es gab Exzesse, das hatte eigentlich nichts mehr mit Techno zu tun. Einige DJs aus dem eher mittleren Gagenbereich arbeiten hingegen mittlerweile etwa in der Gastronomie, um überleben zu können.

Und Sie, wie schlagen Sie sich durch?

Ich war kurz davor, mich arbeitslos zu melden. Inzwischen arbeite ich als Tennistrainer. Ich muss jetzt 40 Trainerstunden geben, um so viel zu verdienen, wie ich früher im Club für zwei Stunden bekommen habe. Aber es geht immerhin noch irgendwie weiter für mich. Doch die Arbeit als Tennistrainer ist anstrengend, das ist ein Knochenjob. Ich habe weder die Zeit noch die Kraft, um auch noch ins Studio zu gehen, um wenigstens neue Musik zu produzieren. Das deprimiert mich schon.

Es geht weiter für Sie als Tennistrainer. Und als DJ?

Es gibt leider überhaupt keine Anhaltspunkte, wann und wie es wieder losgehen könnte. Im Moment ist ja nur die Rede davon, dass Clubs und Partys das sind, auf das man noch am ehesten verzichten kann.

Im Interview: DJ Emerson

DJ Emerson heißt mit bürgerlichem Namen Simon Kidder. Er ist Anfang vierzig, lebt in Berlin und betreibt die Labels micro.fon und Kiddaz, für die er auch selbst Musik produziert. Er legt weltweit auf und ist Resident-DJ im Berliner KitKatClub.

Die Clubs werden nach Corona als Letzte wieder öffnen dürfen, heißt es immer wieder.

Vom Stellenwert wird das der Sache nicht gerecht. Leider wird ja nicht einmal überlegt, wie man wieder etwas zum Laufen bringen könnte. Es wird einfach kommentarlos von der Agenda gestrichen. Dass Berlin als Stadt und Kulturort insbesondere von der elektronischen Musik lebt, wird beinahe ignoriert. Stattdessen wird einfach gesagt: Verzichtbar. Dabei kommt ein Viertel der Berlintouristen hierher wegen des Clubbings.

Was wird passieren, wenn die Situation bis auf Weiteres so bleibt, wie sie ist?

Dann wird es wahrscheinlich wieder massiv illegale Partys geben in Berlin. Es könnte wieder ein wenig so werden wie in den Neunzigern. Nach der Wende gab es viele leer stehende Locations, viele Geschäfte, die pleitegegangen sind. Das ist ja durchaus eine Situation, die mit der aktuellen vergleichbar ist. Es wird Selfmade-Locations geben, wo jemand sein Soundsystem reinstellt, es werden ein paar SMS herumgeschickt, und dann geht es los. Im Sommer wird sicherlich auch das eine oder andere illegale Open-Air-Festival stattfinden, irgendwo im Wald, am Stadtrand. Die Berliner werden sich auf Dauer nicht das Feiern verbieten lassen.

Würden Sie auf solchen Veranstaltungen auflegen?

Klar würde ich da auflegen. Weil ich wieder das machen möchte, was mir am meisten bedeutet. Weil ich meine Musik präsentieren möchte. Ich kaufe mir immer noch ständig neue Musik, auch wenn ich sie gerade nicht spielen kann. Ich liebe Techno und würde ihn auch gerne wieder leben.

Der Partybetrieb wird wahrscheinlich erst wieder richtig hochfahren können, wenn es einen Impfstoff gibt. Wie wird das Business nach Corona aussehen?

Das kommt darauf an, wie lange es dauert, bis der Impfstoff gefunden wird. Die Club­land­schaft wird nach Corona wahrscheinlich anders geformt sein. Neue Kollektive werden sich etablieren mit guten Ideen und schönen Locations. Derartige Neuanfänge finde ich auch interessant, nur sind das nicht die Umstände, unter denen ich mir einen solchen gewünscht hätte. Ich begrüße schon, dass es dann wahrscheinlich wieder back to basics gehen wird. Die Frage ist nur, wie viel vom Kern der Szene, der Kultur überhaupt noch existieren wird. Auch der ganze DJ-Tourismus könnte sich massiv ändern. Für DJs wie mich waren besonders Länder wie Italien, Frankreich oder Spanien interessant: alles Länder, die massiv von Corona betroffen sind. Dass ich in den nächsten zwei Jahren ein Booking in Italien haben werde, das kann ich mir kaum vorstellen. In Italien gibt es kaum Subventionen für Labels oder Clubs, da wird die ganze Szene für elektronische Musik weggebügelt sein. Das wird Jahre dauern, bis sich dort wieder etwas entwickelt.

Wie wird die Situation in Berlin sein?

Es gibt vielleicht keine andere Stadt auf der Welt, in der es so viele Clubs gibt wie in Berlin. Wenn die hier weitgehend wegfallen, wird Berlin fundamental anders sein. Auch der ganze Tourismus wird ganz anders aussehen, wenn es keine Clubs mehr gibt. Manche Fluglinien werden wahrscheinlich gestrichen. ­Berlin–Manchester via Easyjet beispielsweise, da saßen an den Wochenenden 200 Leute in den Flugzeugen, die hier feiern waren. Diese Flugstrecke braucht dann wahrscheinlich niemand mehr.

Sie befürchten einen Bedeutungsverlust Berlins. Spiegeln Sie sich in einem solchen auch persönlich?

Klar, ich wurde bereits von Leuten gefragt, ob ich überhaupt noch etwas zu essen habe. Es war nicht einfach, über 25 Jahre so eine Karriere aufzubauen. Das alles steht gerade auf dem Spiel für mich. Lange Zeit habe ich gedacht, DJs wie ich, die schon lange dabei sind, einen ganz guten Namen haben und eine „normale“ Gage bekommen, stehen ganz gut da, denn der Gagenbereich, unter den ich falle, den können sich die Clubs auch nach Corona noch leisten. Aber was gerade passiert, ist eben, dass die Clubs massiv von den Bookern der ganzen Superstar-DJs angeschrieben werden. Die sagen dann: Hey, lass uns schon mal ein Date planen, wir machen euch ein super Angebot, zwischen 500 und 2.000 Euro Gage. Die Situation bei den Bookings wird dann vielleicht so ähnlich sein, als würden sich Roger Federer und ich um dieselben Jobs als Tennistrainer bewerben.

Haben Sie sich bereits gedacht, Sie haben sich den falschen Job ausgesucht?

Mir war tatsächlich nicht klar, dass ich einen Job habe, der pandemiegefährdet ist. Ich hatte schon gedacht, dass der Job recht krisenfest ist. Partys gehen immer, hatte ich geglaubt, auch wenn es den Leuten gerade nicht so gut geht. Mit so einem Virus habe ich nicht gerechnet.

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