New Yorker Musiker James Duncan: Verbindlich ist nur die Improvisation
James Duncan spielt in Free-Jazz-Ensembles Trompete, ist DJ und produziert feinen Deep-House. Nun ist es Zeit für den Durchbruch.
Es gibt Bezeichnungen für musikalische Spielarten, bei denen es schwerfällt, die akustischen Ingredienzien zu benennen oder sich auch nur vorzustellen, was da genau ertönt. Wie also klingt „Bongo Kraut Disco“? Dem Namen nach scheint hier Punk mit lateinamerikanischen Rhythmen zu liebäugeln und eine glorreiche Ära in die Gegenwart zu katapultieren.
Die Band mit dem Graffiti-Tag-tauglichen Namen „178 Improvisation Product“ hat sich ebenjene Genre-Neuschöpfung auf die Fahnen geschrieben. Ihr Name mag diesseits des Atlantiks numerologische Fantasien entfachen, in New York wurde das Konglomerat höchst eigenwilliger Persönlichkeiten mit musikalischen und anderen schillernden Berufungen vor etwa einem halben Jahr ins Leben gerufen.
Ihr Gründer Sal Principato, besser bekannt als Sänger und Motor der genialen Postpunk-Funk-Band Liquid Liquid, spielt die Bongos und hat Stimmkünstler und Instrumentalisten um sich geschart, die sich in vielen Genres bewegen: Felice Rosser singt Blues, Rock und Reggae, Tim Harrington ist Frontmann der Indie-Rock-Band Les Savy Fav, Patrick Wood spielt Schlagzeug in der Electropop-Formation The Phenomenal Handclap Band, Elliot Taub und Chris Muñoz sind DJs. Wie auch James Duncan, der im 178 Improvisation Project aber Trompete spielt.
Als Mitglied des Musikerkollektivs IZITITIZ hat Duncan sich seine Meriten im Free Jazz traditioneller Prägung erspielt. Die Band schreckte live nicht vor krudem Lärm zurück und experimentierte mit Bewegungsformationen der Musiker auf der Bühne.
James Duncans Platten erscheinen auf seinem Label Le Systeme: jameswduncan.tumblr.com
Im Modern Jazz fühlt sich Duncan ebenso zu Hause: Gelegentlich lädt ihn der Trompeter Philip Harper, der in den Achtziger Jahren Mitglied bei den Jazz Messengers des legendären Schlagzeugers Art Blakey war, zu Jamsessions ein, mit dem Funk-Trompeter Roy Hargrove ist Duncan auch schon aufgetreten.
Letzten Herbst wagte er den Schritt zum Festival of New Trumpet Music, das Dave Douglas mit Gleichgesinnten 2003 in New York gegründet hat. Es bietet die denkbar größte Bandbreite an zeitgenössischer Musik für Trompete vom rein akustischen Solokonzert über kleine Ensembles mit Originalkompositionen bis hin zu Bigband-geschulten Blechbläsern oder freier Improvisation und elektronisch aufbereiteter Trompetenmusik. Einmal mehr zeigt sich hier, dass die Improvisation Musiker über Genregrenzen hinweg vereint.
Weshalb sich auch James Duncan so selbstverständlich in vielen Szenen bewegt. „Wirklich für mich entdeckt habe ich Jazz erst nach meiner Schullaufbahn“, beschreibt er sein musikalisches Umfeld im kanadischen Toronto, wo er geboren und aufgewachsen ist. „An der Highschool spielte diese Musik praktisch keine Rolle. Ich habe mit elf Jahren angefangen, Trompete und Gitarre zu lernen. Unter Freunden spielten wir zwar ein paar Nummern von Duke Ellington, aber ich war hauptsächlich in Punk-Bands aktiv. Um 1983 habe ich im Schulradio erstmals Platten aufgelegt – Punk, New Wave und Rock.“
Erweckungserlebnis mit John Coltrane
Aufnahmen des Saxofonisten John Coltrane waren während Duncans Studium der klassischen Trompete an der University of Toronto eine Art Erweckungserlebnis. „Das Album ,Crescent‘ von 1964 habe ich unzählige Male hintereinander gehört. So habe ich ,Kind of Blue‘ von Miles Davis besser verstanden und mich dann weiter vorgearbeitet zu Hardbop und Free Jazz. Als HipHop-Crews wie A Tribe Called Quest anfingen, Aufnahmen des Trompeters Donald Byrd zu samplen, kannte ich die meisten schon im Original.“
Mitte der neunziger Jahre entdeckt Duncan Detroit-House in den Plattenläden Torontos. Er produziert im heimischen Studio und verschickt erste Demos an Labels in der Motor City. Im Jahr 1999 gründet Duncan sein eigenes Label in New York, Le Systeme Records, und veröffentlicht darauf seither in loser Folge unglaublich beseelte House-Tracks. Der Produzent und DJ Morgan Geist wird auf ihn aufmerksam und spannt ihn ein für seinen Remix des Titels „House of Jealous Lovers“ von The Rapture – einen Überraschungserfolg des Electro-Punk Labels DFA.
Duncan lässt seine Trompete in hohen Tonlagen wirkungsvoll schnarren, seine Improvisationen umspielen die Beats. Er sitzt nicht dem gängigen Missverständnis auf, das Trompetenspiel mit Dämpfer klinge irgendwie stimmungsvoll, und so ertönt seine mit unbeschwertem Druck nach vorne. Er ist bereits Anhänger von Geists Label Environ und umso stolzer, seinen Sound für dessen Duo Metro Area beizusteuern.
„Auch wenn Jazz und House so unterschiedlich sind“, betont Duncan, „gehen sie im Kern auf die gleiche Basis zurück, also Rhythmus, Textur, Tonlage und eine Wirkung, die sich überträgt, aber im besten Fall nicht greifbar ist. Diese Elemente übernehmen Bass, Schlagzeug, Melodie usw. Wenn es funktioniert, ist es, als hörten wir sie zum ersten Mal. Auch wenn Jazz nicht direkt in meinen Tracks vorkommt, prägt er mein Vorgehen. Es geht darum, einen Moment einzufangen und seine aufregende Energie an die Hörer weiterzugeben.“
Auf dem jüngst von Ostgut Ton in Berlin veröffentlichten „Panorama Bar Mix 06“ von DJ Ryan Elliott ist James Duncan mit seinem Titel „Shades of House“ (2010) vertreten. Trompete spielt er eher auf den Songs anderer, demnächst will er wieder Tracks unter eigenem Namen veröffentlichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen