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New York im WandelGentrifizierung der Geschäfte

Während alle Welt über Gentrifizierung redet, werden ihre Ursachen und Mechanismen immer komplexer. Besonders gut zu beobachten ist das in New York.

Schuften mit Skyline-Blick: In New York wird fleißig gebaut - hier in Williamsburg, einem Teil Brooklyns. Bild: ap

Kürzlich gab das US-amerikanische Unternehmen Kimco nach langem Hin und Her bekannt, in New York mit dem Bau einer Shopping Mall an der 125. Straße Ecke Frederick Douglass Boulevard beginnen zu wollen. "So what?", könnte man jetzt fragen - Shopping Malls gibt es schließlich wie Sand am Meer -, würde sich das geplante Einkaufszentrum nicht mitten im Herzen von Harlem befinden und die Geschichte so zu einem Musterbeispiel für die immer radikaler voranschreitende Gentrifizierung von New York werden.

Natürlich hat die Gentrifizierung in New York eine lange Geschichte - schon in den fünfziger und sechziger Jahren lieferten sich der Stadtplaner Robert Moses und die Gentrifizierungskritikerin Jane Jacobs legendäre Duelle -, doch lief sie jahrzehntelang nach dem selben Schema ab: Erst kamen die Künstler, Hipster und Intellektuellen, die sich, angezogen von den billigen Mieten, in einer heruntergewirtschafteten Umgebung von Manhattan niederließen. Kurz darauf folgten die Studenten und schon bald war ein Viertel so weit aufgemöbelt, dass den Bewohnern gekündigt wurde, die Gebäude saniert werden konnten, die Mieten drastisch erhöht wurden und eine ökonomisch besser gestellte Elite Einzug erhielt. Der Schriftsteller Colson Whitehead hat dieses Prinzip einmal als "Gentrification in a Box" bezeichnet.

Inzwischen gibt es jedoch Tendenzen, die nahe legen, dass das Phänomen Gentrifizierung in den letzten Jahren wesentlich komplexer geworden ist - und zwar in dreierlei Hinsicht: bezogen auf die Mechanismen, welche die Gentrifizierung vorantreiben, bezogen auf ihre Wahrnehmung durch die betroffenen Bewohner der jeweiligen Bezirke und bezogen auf ihre immer weiter voranschreitende soziale Ausdifferenzierung.

In Brooklyn ist diese Ausdifferenzierung am deutlichsten erkennbar. Etwa in Bushwick, einer ökonomisch eher schwachen Gegend an der Peripherie, in der sich mittlerweile eine alternative Gegenkultur breitgemacht hat: kollektives Wohnen in einer der unzähligen Wohngemeinschaften, kollektives Arbeiten in der "Bushwick Food-Cooperative" oder auf dem "Bushwick Farmers Market". Oder in Park Slope, einem Viertel, das es durch seine hohe Dichte an Künstlern und Schriftstellern seit den Achtzigern zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hat und wo man sich heute für Mieten ab 1.500 Dollar für eine Einzimmerwohnung ein alternatives Lebensgefühl inklusive Bioläden, Tattooshops und Hipster-Modelabels erkaufen kann.

Haben sich Bezirke erst einmal hinreichend verändert, ziehen sie von nun an nur noch eine ziemlich klar definierte Mieterklientel an, sodass mit der Zeit selbst ursprünglich heterogene Umgebungen in Gleichförmigkeit zu versinken drohen. Eines der wohl dramatischsten Beispiele für die Folgen einer Übergentrifizierung ist das ebenfalls in Brooklyn gelegene Williamsburg.

Bis Anfang der Neunziger ein vor sich hindämmernder ehemaliger Industriebezirk, wurde Williamsburg aufgrund der Nähe zu Manhattan bald zum Mekka einer emigrierenden Kunstszene, die sich die Mieten im East Village nicht mehr leisten konnte. Die aufblühende Performance-, Konzert- und Partykultur lockte immer mehr Musiker, Schauspieler, Journalisten und andere Kreative an, ein regelrechter Sog setzte ein. Heute lebt Williamsburg nahe am Klischee: als schal gewordene Simulation eines Rock-n-Roll-Lifestyle, wie ihn sich ein Mittzwanziger erträumen mag.

In ihrem Buch "Naked City. The death and life of authentic urban places" untersucht die New Yorker Soziologin Sharon Zukin das Phänomen Gentrifizierung anhand des Begriffs der Authentizität. Nach Zukin zieht ein Gentrifizierer in eine von ihm als authentisch wahrgenommene Umgebung und begründet so eine neue Art von Authentizität. Doch sobald eine ausreichende Zahl an Gentrifizierern in einem Viertel lebt, wird sich dieses zwangsläufig verändern. Es werden Läden, Restaurants und Bars eröffnen, die sich mehr am Geschmack der Zugezogenen orientieren werden als an dem der ursprünglichen Bewohner.

Da mag es zunächst überraschen, dass einer Studie aus dem Jahr 2008 zufolge bemerkenswert viele alteingesessene Bewohner, darunter auch viele Angehörige von ethnischen Minderheiten, einer Gentrifizierung ihres Viertels tendenziell positiv gegenüberstehen. Das Ganze ergibt jedoch mehr Sinn, wenn man sich vor Augen hält, was Jerry Brown, ehemaliger Bürgermeister von Oakland und seit dem 3. Januar Nachfolger von Arnold Schwarzenegger im Amt des Gouverneurs von Kalifornien, mit seiner Formel "Gentrification or Slummification" - sicherlich ein wenig überspitzt - auf den Punkt gebracht hat.

Natürlich profitieren nur diejenigen alteingesessenen Bewohner von den Folgen einer Gentrifizierung ihres Viertels, die sich die steigenden Mieten auch leisten können. Denn Gentrifizierung ist, wie Neil Smith, der an der City University von New York zum Thema forscht, betont, "vor allem ein Klassenphänomen". Diejenigen, die die höheren Mieten nicht mehr aufbringen können, werden zwangsläufig zu Opfern von Displacement: Einige werden obdachlos, die Übrigen müssen in billigere Wohnungen in Umgebungen mit schlechterer Infrastruktur und oftmals höherer Kriminalität ziehen.

Die Suche nach Authentizität ist einer der Hauptgründe, warum Gentrifizierung nie zu einem Ende kommen kann. Sobald ein gewisser Sättigungsgrad erreicht ist, wird ein Viertel von den ursprünglichen Gentrifizierern als nicht mehr authentisch wahrgenommen. Diejenigen, die einmal mit einer bestimmten Vorstellung von Authentizität dorthin gezogen sind, werden sich nun eine neue, ihrem Verständnis nach authentischere Nachbarschaft suchen. Der weiteren Gentrifizierung des Viertels tut dies keinen Abbruch, da es inzwischen auch für besser verdienende Mieter mit anderen, möglicherweise weniger ausdifferenzierten Authentizitätsvorstellungen interessant geworden ist.

Während Gentrifizierung in vielen Umgebungen, zumindest im Anfangsstadium, noch einigermaßen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage auf dem Mietmarkt folgt, unterliegt sie woanders einer direkten Einflussnahme von außen - durch Unternehmen wie Starbucks oder die Lebensmittelkette Whole Foods. Neil Smith sieht darin eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren extremisiert hat. Während es früher primär darum gegangen sei, "bereits bestehende Wohngebäude zu sanieren und für Mieter attraktiv zu machen", sei Gentrifizierung heute "ein Phänomen, das vom Privatwohnsektor auf den Geschäftssektor übergesprungen" sei.

Infolge dieser Entwicklung wird auch immer wieder das Prinzip von Ursache und Wirkung umgekehrt: Erst kommt die Yogastudiokette, dann werden gezielt Studenten als Mieter angeworben. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Shopping Center in Harlem, wo bisher vor allem Starbucks als Demarkationslinie für die stetig neu vermessenen Gentrifizierungsgrenzen gedient hat. Als eine Art Marker, der Neuankömmlingen signalisiert: "Hier seid ihr willkommen!"

Natürlich kaufen nicht nur Gentrifizierer ihren Kaffee bei Starbucks und sicherlich freuen sich auch viele alteingesessene Bewohner von Harlem über die neuen Einkaufsmöglichkeiten. Doch deuten solche massiven Investitionen in die Infrastruktur bestimmter Standorte fast immer darauf hin, dass hier ein besonders hohes Gentrifizierungspotenzial vermutet wird. Und ein solches läuft eben in der Folgezeit fast zwangsläufig auf Displacement hinaus. Gerade in Harlem oder, weniger ausgeprägt, im Brooklyner Bedford-Stuyvesant - Schauplatz zahlreicher Spike-Lee-Filme - führt Gentrifizierung darüber hinaus zu einem Verlust von kultureller, in diesem Fall schwarzer, Identität, da diese Bezirke aufgrund ihrer Geschichte einen besonders hohen symbolischen Stellenwert besitzen.

Durch die Finanzkrise sind die baulichen Veränderungen und sozialen Umschichtungen ein wenig ins Stocken geraten, in manchen Gegenden stehen hypermoderne Luxus-Apartment-Komplexe vollständig leer. Doch aufhalten lassen wird sich die fortschreitende Gentrifizierung nicht, dafür ist gerade Brooklyn ein viel zu begehrter Standort. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen Alvy Singers Mutter in Woody Allens "Annie Hall" auf die Frage des jungen Alvy, wie man überhaupt in irgendetwas noch einen Sinn sehen könne, wenn das Universum doch stetig seinem Untergang entgegenexpandiere, trocken erwidert: "Wir sind hier in Brooklyn. Und Brooklyn expandiert nicht."

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6 Kommentare

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  • EA
    Enzo Aduro

    Schon Wahnsinn wie man so oft das Wort "Gentrifizierung" schreiben kann ohne das Wort Reurbanisierung sagen zu können.

     

    Das wird von Links gerne ignoriert.

     

    Die Wohlhabenden verhallten sich immer inkorrekt: Ziehen Sie in die Stadt sind Sie Gentrifizierer, Sind sie im Speckgürtel entziehen Sie der Stadt Steuern und verpessten beim Pendeln die Armenviertel mit Ihren Abgasen.

     

    Man kommt eben nicht drumherum die Baudichte in den Innenstädten zu erhöhen wenn da jetzt wieder alle Wohnen wollen.

  • MF
    Mr. Freitag

    In Berlin findet die Gentrifizierung lustigerweise im Uhrzeigersinn an der Ringbahn entlang statt. Angefangen im Friedrichshain sind die Leute in den Prenzlauer Berg gezogen um danach Treptow und mittlerweile Neukölln zu besiedeln. Es ist nur Schade, dass der Richardplatz, der ja schon immer eine kleine Insel der Hoffnung in Neukölln war, davon nicht verschont bleibt. Zumindest werden die Menschen in Berlin bezüglich der Infrastruktur nicht benachteiligt. Die S-Bahn fährt immer gleich selten.

    In dem Zusammenhang fällt mir ein Artikel vom NY-Mag ein. In ihm geht es um die L-ification von Brooklyn. Dort geht es genau um die Frage, wo denn die neuen Grenzen der Gentrifizierung in Brooklyn liegen. Mittlerweile ziehen die Leute übrigens nach Jersey City, weil ihnen die Mieten in Brooklyn zu teuer geworden sind und sie genau so nah an Manhattan wohnen wie in Williamsburg. Mein Nachbar hat das nämlich so gemacht. Hab ich mich gerade etwa als Künstler, Student, Hippster oder Yuppie geoutet?

  • K
    kratzmeister

    Werte Freunde des üblen Nachgeschmacks.

     

    Es geht doch nicht ums "ruhig-im-Jotwede-wohen-und-seine-Ruhe-haben". Wir, die wir hier versammelt sind in der "Mitte" der gesellschaftlichen Leserschaft der tageszeitung, exkl. natürlich aller "Ausgestiegenen" und natürlich aus freien Stücken ins brandenburgische Umland eingestiegenen Bio-Kost-Vegan-wir-werden-bessere-Menschen-und-essen-alle-brav-dioxinfreie-Eier-vom-Nachbarn taz-Bezieher, wollen doch am Tagesgeschehen unseres "Kiezes" irgendwie - und das betont - teilhaben. Sei es vor Zureisenden sein Selbstwertgefühl aufzupolieren à la 'nun ja, hier in meinem Kiez,ne...' oder mit den Alteingesessenen auf Augenhöhe zu kommen 'also, diese Touris,wa...', sei es, um dem zum Glück noch nicht ganz verglühten Aktionismus gegen die Gentrifidingsbums-Kultur(Buchtipp! Darf ich das? Falls nicht, bitte löschen. Anm. an die Red.) zu frönen. Letzteres natürlich in Ehren gehalten! Das ist Kiez-Leben mit ein wenig 'joie de vivre' und daran ist nichts zu rütteln; mit den Künsterln kommen Studis, danach die Yuppies und die, die ein klein wenig Kraft übrig haben, werden dagegen ankämpfen; es wird nie langweilig, - außer man zieht sich doch zurück ins Brandenburgische... freiwillig... oder so.

     

    In diesem Sinne

    NO HIPSTERS

    NO YUPPIES

    NO TOLERANCE!

  • A
    Anonym

    Nein, am besten man zeigt vermeintlichen Künstlern, Kreativen oder sonstigen aufgesetzten Schwachköpfen dass sie nichts zu suchen haben in dem Kiez, den sie vor fünf Jahren noch gemieden haben, weil der Migrationsanteil derzeit doch etwas zu hoch war...

     

    NO HIPSTERS!

    NO YUPPIES!

    ZERO TOLERANCE...

  • H
    huev

    Es darf einfach keiner mehr umziehen, so einfach ist das.

  • C
    Carsten

    >> Die aufblühende Performance-, Konzert- und Partykultur

     

    DAMIT fängt es an und nicht erst mit den ganzen Yuppies, die von dieser Kultur angelockt werden. Wenn man ein Partykiez schafft, kommen die Partygänger.

     

    Am besten man lebt einfach irgendwo ruhig vor sich hin, dann hat man seine Ruhe. ;-) OK, ich gebe zu, dass das auch nach hinten losgehen kann.