Neustart im Berliner Nachtleben: Leben im Club
Tanzen geht wieder ohne Maske und Test. In den Berliner Clubs läuft es im Normalbetrieb, der aber noch richtig auf Touren mit Touristen kommen muss.
Nicht mal einen Test oder Impfnachweis musste man am Eingang vorzeigen, schon seit dem ersten Aprilwochenende nicht mehr. Damit sind – nach Tanzen mit Maske draußen im vergangenen Sommer und indoor mit 2G+ im Herbst – auch noch die letzten Coronaregeln aus den Berliner Clubs verschwunden. Seit dem 4. März dürfen wieder aufmachen.
Doch ist jetzt alles wieder wie vorher? Wie ist die Stimmung in der Berliner Clublandschaft, einige Wochen nach der Wiedereröffnung?
Zuletzt am Osterwochenende war die Stimmung schon mal gut. Nicht nur im About Blank war es voll und sehr ausgelassen, auch in anderen Clubs wie dem Watergate und Schwuz. Marcel Weber, einer der zwei Geschäftsführer des Schwuz, beobachtet das, seitdem der Club am 19. März wieder aufgemacht hat: „Die Leute sind happy, dass sie wieder an ihren queeren Wallfahrtsort dürfen.“ Die Pandemie habe die queere Community besonders getroffen, weil Orte wie das Schwuz als queerer Club, aber auch Beratungsangebote geschlossen waren. Nun spüre er eine größere Wertschätzung seitens der Besucher*innen, so Weber: „Ich sehe, wie dankbar die Leute sind. Da ist ein bewussterer Konsum des Cluberlebnisses.“ Das merke man zum Beispiel an der Rücklaufquote bei der Gästeliste. Dass jemand draufsteht und trotzdem nicht auftaucht, komme viel seltener als vor Corona vor.
Komisches Gefühl
Kurz vor den Cluböffnungen hatte Russland die Ukraine überfallen. Im Club ist an dem Abend wenig davon zu spüren. Elisabeth Steffen, Teil des Kollektivs hinter dem linken Club About Blank, hatte aber schon gemischte Gefühle: „Einerseits ist die Pandemie noch nicht vorbei, andererseits der Krieg. Es war ein komisches Gefühl, wieder Party zu machen.“
Was die Pandemie angeht, hätten sie im About Blank überlegt, Coronatests beizubehalten, als diese schon nicht mehr verpflichtend waren. Aber die Konkurrenz macht das kaum, da tue man sich keinen Gefallen. Nach über zwei Jahren, in denen der Club öfter zu als auf hatte, sei es schlicht notwendig, wieder Geld zu verdienen.
Zu Beginn der Pandemie waren die Befürchtungen groß, dass Clubs kaum überleben würden. Die finanziellen Einbußen waren immens. Aber kaum ein Club hat zumindest allein wegen der Pandemie zugemacht. Kurzarbeitergeld, die Soforthilfen und Zuschüsse haben offensichtlich geholfen. Die mussten jedoch jedes Mal beantragt werden, auch das Kurzarbeitergeld legen Clubs erst aus.
Das Problem dabei: Liquidität. Rechnungen mussten bezahlt werden, aber Geld kam keins in die Kassen. Viele Clubs starteten bereits im März 2020 Spendenaufrufe. So sammelte das About Blank über 130.000, das Schwuz über 76.000 Euro. Letzteres nahm zusätzlich einen Kredit über 300.000 Euro auf.
Das weiß inzwischen auch die Senatsverwaltung für Kultur, sagt Schwuz-Geschäftsführer Weber. Im Vorfeld neuer Fördermaßnahmen war der Club einer der Akteure, die dazu befragt wurden. So werde die Förderung nicht mit der Gießkanne, sondern bedarfsgerecht verteilt. Ab Januar 2023 soll es so einen Kredittilgungszuschuss geben. Andere Clubs hätten keinen Kredit aufgenommen, sondern auf Anschaffungen verzichtet. Da soll seitens der Senatsverwaltung für Kultur eine Anschubfinanzierung aufgesetzt werden, so Weber.
Neustart Wirtschaft
Ähnlich, aber nicht speziell für Kultureinrichtungen, ist der Investitionsbonus. Der wurde im Rahmen des „Neustart Wirtschaft“-Programmpakets vom Land kürzlich vorgestellt.
Liest man sich die weiteren über 30 Maßnahmen des Neustart-Programms durch, geht es viel um Tourismus. Auch für Berliner Clubs ein wichtiger Faktor: Laut einer Studie der Clubcommission, der Interessenvertretung von Berliner Clubs, schätzten Clubbetreiber*innen im Jahr 2019 rund ein Viertel ihrer Gäste als Tourist*innen ein.
Die aber müssen erst wieder kommen. Tatsächlich sind am Osterwochenende im About Blank wenigstens gefühlt weniger Tourist*innen als sonst; da sind zum Beispiel zwei Italienerinnen, ein paar Briten, ein Däne – und viele, Tourist*innen oder nicht, die zum ersten Mal seit den Cluböffnungen unterwegs sind.
Die Tourist*innen sind dabei auch unterschiedlich wichtig fürs Geschäft bei den drei Clubs, mit deren Betreiber*innen die taz für diesen Text gesprochen hat: Das Schwuz als großer Laden, der Tourist*innen für seine Kalkulation eigentlich braucht, sieht diese im Vergleich zu den frühen Tagen nach der Öffnung schon wiederkommen und hofft auf den Sommer. Der nischigere Anomalie Art Club hat erst Mitte 2019 eröffnet und konnte kaum erst vom Tourismus abhängig werden: „Wir haben uns im letzten Jahr ein gutes Stammpublikum aufgebaut“, sagt die Geschäftsführerin Sophie Kahrmann. Auch das About Blank – mit über zwölf Jahren Bestehen schon sehr viel etablierter – habe versucht, trotz Pandemie „an die lokale Community angebunden zu bleiben“, sagt Steffen.
Ein Hoffnungsschimmer
Mit Blick auf den Sommer machen die Zahlen der Berliner Tourismusorganisation Visit Berlin Hoffnung: Vor Corona seien bis zu 45 Prozent der Tourist*innen international gewesen, nun schon wieder rund 30 Prozent. Ein Visit-Berlin-Sprecher bilanziert: „Ostern ist sicherlich ein Hoffnungsschimmer, aber er ist nicht ungetrübt.“ Denn Corona mache sich weiter bemerkbar. Dazu sei der Fachkräftemangel ein Problem. Gerade im Nachtleben sind während der Pandemie viele Menschen ausgestiegen, die nicht mehr in die Branche zurückkehren.
Mit der steigenden Inflationsrate und dem Krieg in der Ukraine, der diese weiter ankurbelt, erscheint aber bereits die nächste Bedrohung für Clubs am Horizont. Schon vor Corona waren die DJ-Gagen immer höher geworden, jetzt steigen auch noch die Warenpreise. Feiern in Berlin wird also (weiterhin) teurer werden. Partygänger*innen und Tourist*innen könnten wegen der Inflation zugleich weniger Geld zur Verfügung haben.
Was die Clubbetreiber*innen wiederum in ein Dilemma zwischen finanziellem Druck und soziokulturellem Auftrag bringt: Wenn sich das eigene Publikum den Clubbesuch nicht leisten kann, bringen auch Investitionsprogramme wenig. Denn ohne gutes Publikum keine gute Stimmung. Und ohne gute Stimmung keine gute Party.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren