Neun Quadratmeter Kunst

■ 1997 hat Karl Paul Bremerhavens kleinste Galerie eröffnet. Inzwischen stellen dort KünstlerInnen aus ganz Deutschland aus

Das rote Backsteinhaus steht in einer schmalen, wenig befahrenen Wohnstraße, eine üppig begrünte Idylle mitten im Zentrum Bremerhavens. Neben der Haustür ein schlichtes Schild. Ein Name: Paul. Eine Ortsbestimmung: Galerie. Es ist die jüngste und kleinste Galerie in der Stadt (in der es kaum Galerien gibt). Und mit ihren kaum neun Quadratmetern ist es bestimmt eine der kleinsten in Norddeutschland.

Hausherr Karl Paul öffnet sie jeden Donnerstag und Freitag zwischen 15 und 19 Uhr, aber Laufkundschaft, gesteht er, gäbe es so gut wie gar nicht. Die wichtigsten Ereignisse einer jeden Ausstellung seien die beiden Events – Vernissage und Finissage. Da sei immer viel los, fünfzig bis sechzig Gäste drängeln sich im Privathaus der Familie Paul. Und weil sie nicht alle in die Galerie passen, geht es über den Hausflur bis ins Wohnzimmer oder in den Garten.

Der kleine Galerieraum zur Straße ist angenehm hell: weiße Wände, Neonleuchten an der Decke, hinter einer Zwischenwand eine winzige Nische, der Fußboden ein alter Terrazzo-Belag. Bis vor zehn Jahren gingen hier Würste und Fleisch über den Tresen, dann wurde die Schlachterei, der letzte Laden in der Straße, geschlossen.

Vor zweieinhalb Jahren eröffnete der neue Hausbesitzer Karl Paul die Galerie. Der gelernte Grafikdesigner arbeitet als Kunstlehrer im niedersächsischen Umland, als Galerist muss er sich vor keinem Profi verstecken. Der Anspruch des 52Jährigen ist hoch, gut gemeinte Kleinkunst aus dem Horizont der Provinzidylle hat hier keine Chance. Der Ruf hat sich durchgesetzt – der Raum ist bei jungen KünstlerInnen aus dem ganzen Bundesgebiet begehrt.

Karl Paul weist stolz auf das renommierte überregionale Kunstmagazin hin, das die Galerie regelmäßig aufführt. Pauls größter Erfolg war die Gruppenausstellung in den Räumen der ehemaligen US-amerikanischen Kaserne am Nordrand Bremerhavens, wo zurzeit das Stadttheater logiert. Alle KünstlerInnen der ersten neun Ausstellungen hatten sich beteiligt. Darunter Jochen Twelker und der junge Hamburger Shooting Star Rupprecht Matthies, dessen in die Landschaft gesetzten Wortbilder ebenso streng wie verspielt sind.

Zu den Künstlern der ersten Runde gehört auch Ralph Hinz. Der Bremerhavener, der seit zwanzig Jahren überregional ausstellt, hat sich neben Installationen und fotografischen Arbeiten dem Computer zugewendet. Seine Bilder sehen auf den ersten Blick wie gewöhnliche Fotografien aus. Das Irritierende wird erst beim zweiten Hinsehen sichtbar. Da hat der Rasen in der sterilen Vorortstraße ein Teppichmuster, da knicken die tragenden Pfeiler eines Holzhauses in einer Straße mit lauter gleichartigen Häusern in sich zusammen und ein Schriftzug am blauen Himmel verkündet „Sorry!“; da steht ein Haus in einem Dorf bei Bremerhaven auf dem Kopf und eine Säule vom Portal einer just errichteten Berliner Villa im neoklassizistischen Herrenhaus-Stil stiehlt sich nachts – wie ein strahlendes Ufo – in die Lüfte.

Ralph Hinz arbeitet mit fotografischen Vorlagen. Er bearbeitet am Computer – mit der Photo-Shop-Datei (PSD) – eigene Aufnahmen, alte Postkarten-Ansichten oder Bilder aus Zeitschriften. Eine „elend langwierige Fummelei“, sagt er. Und eine Arbeit, die zudem noch gefährlich sein kann: „Du kannst dich in den Möglichkeiten des Computers völlig verlieren. Du kannst aus allen denkbaren Bildern, die es gibt, völlig neue Bilder bauen. Dann bekommst du kein Bein mehr auf den Boden.“ Hinz verändert mit Maß, seine streng kontrollierte Geste ist die subtile Ironie, mit der er gewohnte Strukturen aufbricht.

Der Galerist Paul stellt ihn zum zweiten Mal aus, „weil er zu den wenigen gehört, die explizit mit dem neuen Medium arbeiten und sich trotzdem im Rechner nicht verlieren.“ Denn das Feine, Spartanische, die leisen und kleinen Spuren, die erst entdeckt werden müssen, schätzt Karl Paul besonders.

„Signale“ war der Titel der großen Gruppenausstellung. Signale zu setzen ist erklärtes Ziel der kleinen Galerie. Ein mutiges Unternehmen, mitten in einer Stadt, die jedes Signal gebrauchen kann, mit dem sie sich profiliert nach außen öffnet. Hans Happel

Laufende Ausstellung in der Bremerhavener paul.Galerie (Anton-Schuhmacher-Straße 31): Ralph Hinz, „PSD Ohne Titel – .psd.“. Bis zum 15. Juli zu sehen. Infos unter Tel.: 0471/41 68 13