Neuland Seit einem Jahr lebt der Syrer Kenan Khadaj in Berlin – und ernährt sich von Currywurst. Nun soll er Tabouleh und Foul zubereiten für Holländer, Russen und Deutsche: Du musst einfach so sprechen wie Hitler
Von Steffi Unsleber
Fünf Stunden dauert es, dann entsteht so etwas wie eine Verbindung am Tisch. Eine Brücke zwischen den verschiedenen Biografien. Die Teller sind leer, die Gläser drittelvoll, der Abend ist fast zu Ende.
Wir haben über den Krieg in Syrien gesprochen, über russische Bomben, die türkische Mafia und deutsche Wohnheime. Dann fragt Andrey plötzlich Kenan, ob er Rammstein mag. Kenan nickt und Victor singt: „Du. Du hast. Du hast mich gefragt und ich hab nichts gesagt.“ Er schleudert sein langes Haar im Takt. Kenan lacht. Andrey auch. Die beiden deutschen Frauen am Tisch verdrehen die Augen. „Foreigners unite“, ruft Victor.
Victor ist Holländer, Andrey war mal Russe, Kenan ist Syrer. Ich habe sie an diesem Abend zusammengebracht, weil wir uns das so überlegt haben in der taz: Einmal im Monat kochen wir gemeinsam mit Geflüchteten. Sprechen mit ihnen über Deutschland, lernen neue Rezepte kennen.
Für Kenan war das Kochen eine Herausforderung. Er ist Schriftsteller, und in Berlin ernährt er sich vor allem von Currywurst. Aber er wollte gern zeigen, was die syrische Küche ist. Also hat er lange mit seiner Schwester gesprochen, die noch in Damaskus lebt. Sie hat ihm Rezepte diktiert. Die Gewürze genannt, die er so vermisst. „Viele Flüchtlinge mögen das deutsche Essen nicht“, sagt er. Nachdem er sein erstes Eisbein gegessen hatte, musste er sich einen Tag davon erholen.
1 große Dose Saubohnen
200 Gramm Tahini
2 EL Joghurt
Zitronensaft von einer Zitrone
1 halber Bund Petersilie, gehacktDie Saubohnen in einem Topf erwärmen. Abgießen und Flüssigkeit aufheben. Bohnen mit Tahini, Joghurt, Petersilie und Zitronensaft mischen. Etwas Bohnenwasser unterrühren, bis das Foul cremig ist.
Er hat drei Stunden lang Petersilie geschnitten und Bulgur eingelegt; es soll Tabouleh geben. Jetzt filetieren wir Zitronen und erhitzen eine Dose Saubohnen für das Foul, ein arabisches Frühstück. Kenan ist aufgeregt, seine Hände zittern. Als er die Dose mit den Bohnen öffnet, schneidet er sich in den Daumen. Überall ist jetzt Blut. Er lächelt die Nervosität weg.
Die gefüllten Weinblätter werden in der Mikrowelle erhitzt und mit Zitronensaft beträufelt. Die warmen Saubohnen mischen wir mit Joghurt, Tahini, Zitronensaft, Petersilie und ein bisschen Wasser, bis die Masse ganz flüssig wird. „Oh nein, so sollte es nicht aussehen!“, sagt Kenan. Also mehr Tahini, bis das Foul wieder zäh ist.
Kenan Khadaj ist vergangenes Jahr über die Balkanroute nach Deutschland geflohen. „Die syrische Regierung mag keine Schriftsteller“, sagt er. Es sind schwierige Momente, wenn Victor ihn fragt, wie die Reise war. Kenan lächelt dann wieder. Sagt: „Die Deutschen wollen immer wissen, ob ich mit dem Boot gekommen bin. Dabei war das Boot der sicherste Platz, an dem ich in den vergangenen fünf Jahren war.“ Und dann erzählt er doch ein bisschen. Dass er es sechsmal probiert hat, mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland zu kommen. Und einmal fast gesunken wäre, weil das Schlauchboot undicht war.
Ein Freund hatte ihm davon abgeraten, den Weg über Mazedonien zu nehmen, weil er dort im Gefängnis misshandelt wurde. Deshalb reiste Kenan über Albanien und den Kosovo. Er zögert. „Es war schlimmer“, sagt er. Und wechselt das Thema.
Als wir schon im Aufbruch sind, sagt er, dass Deutschland ihn manchmal fertigmacht. Dass er noch nicht angekommen ist, obwohl er schon ein Jahr hier ist. Dass er nur ein paar Wörter Deutsch spricht und nicht weiß, wie seine Zukunft aussehen soll. Andrey und Victor nicken. „Du musst einfach so sprechen wie Hitler“, sagt Victor. „Dann denken die Deutschen, dass du gut integriert bist, weil du die Wörter so deutlich artikulierst.“
Als Kenan dann in der Berliner Nacht steht, ein schmaler Mann mit Lederjacke und langen schwarzen Locken, sagt er, dass er am liebsten tagsüber einen geregelten Beruf hätte und abends schreiben würde. Wie Kafka. Er mag ihn, weil er von Außenseitern erzählt. „In allen orientalischen Ländern wirst du gezwungen, Teil der Gesellschaft zu sein. In vielen Menschen dort steckt ein kleiner Kafka. Sie wollen ausbrechen.“ Er hofft, dass es hier leichter wird, Außenseiter zu sein.
Die Essecke: Autoren der taz treffen sich auf dieser Seite jeden Monat mit Flüchtlingen, um mit ihnen zu kochen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens, Philipp Maußhardt schreibt über das Essen in großen Runden und Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge
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