piwik no script img

Neukölln will mehr TouristenWerben mit und gegen Klischees

Das Bezirksamt Neukölln lanciert eine Werbekampagne, um Touristen in den Bezirk zu locken. Ein Motiv sorgt für Diskussionen. Viel Lärm um nichts.

Das Werbeplakat für den Bezirk Neukölln sorgt für Aufsehen; es zeigt Sterneköchin Sarah Hellmann (Ausschnitt) Foto: Bezirksamt Neukölln

Berlin taz | Am Münchner Hauptbahnhof sorgt ein Werbeplakat für Diskussionen, vor allem in Social-Media-Kanälen. Auf Reddit hat ein User ein Foto davon geteilt: Das Plakat zeigt Sarah Hellmann, wie sie in einer Küche Orangen schneidet. Ihr Name steht auf dem Plakat und auch, dass sie ein Restaurant in Neukölln betreibt, mit dem sie sich einen Michelin-Stern erkocht hat. Wer hat das schon auf dem Schirm, wenn man an Neukölln denkt?

Das Plakat trägt die Aufschrift „Neukölln – Urban edge. Artistic soul“, das meint auf Deutsch „Städtischer Rand. Künstlerische Seele“. Ein User warf dabei die Frage auf, wie das Münchner Boulevardblatt tz am Sonntag berichtete, wieso auf dem Werbeplakat die Besitzerin eines Sterne-Restaurants „anstelle einer Person mit Migrationshintergrund gezeigt werde, was auf viele Einwohner des Bezirks zutreffe“.

Neukölln, mit seinem Migrationsanteil von rund 47 Prozent (Stand von 2021), hat mit vielen Klischees zu kämpfen. Immer wieder werden die angebliche Clankriminalität, tatsächliche Müllberge und andere Probleme wie Israel-Hass in den Vordergrund gerückt. So was lockt natürlich keine Touristen an (die Geld ausgeben). Doch mit einer weißen Frau für den bunten Bezirk zu werben, muss man sich erst mal trauen. Denn auf Plakaten ist kein Raum für viel Erklärung oder einen Diskurs. Was also sollen uns die Plakate sagen?

Wie immer muss man sich selbst ein Bild machen. Eins der Motive zeigt einen Schwarzen Saxophonisten bei einem Auftritt bei „Schall&Rausch“, einem „Festival für brandneue Musiktheater“, dass die Komische Oper im Februar auf dem Kindl-Areal in Neukölln veranstaltete.

Eins der sechs Werbeplakate aus dem Bezirksamt Neukölln – es soll Touristen in den Bezirk locken Foto: Bezirksamt Neukölln

Dragqueen Bingus Bongus ist auch dabei

Von einem anderen Motiv schaut uns Dragqueen Bingus Bongus an, bekannt aus der Pepsi Boston Bar – dem „Wohnzimmer des SchwuZ“, das unter der Woche und vor Clubnächten seine Türen für unterschiedliche Veranstaltungen öffnet. Die B.Z. zitiert die Dragqueen in der Dienstagsausgabe so: „Ich fühle mich in anderen Städten fremder als in Neukölln. Kunstformen wie Travestie florieren gerade an diesen Orten, die weniger privilegiert sind.“

In Berlin hängen die Plakate auch, die für Neukölln bundesweit Werbung machen, damit mehr Touris in den Bezirk kommen. Das Land Berlin hat Mittel der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe locker gemacht, die aus der City Tax stammen, also der Übernachtungssteuer, die Berlin-Besucher zahlen müssen. Deshalb müssen die Gelder für touristische Belange ausgegeben werden.

Das Bezirksamt Neukölln hat einen Antrag gestellt, wie Bezirksamtssprecher Christian Berg der taz sagt, und 60.000 Euro bekommen, die in die Plakat-Kampagne mit insgesamt sechs Motiven gesteckt wurden. Sie ist vor allem in Städten wie Hamburg, Köln, Frankfurt am Main und München zu sehen. Und eben Berlin – und das macht dann doch Sinn: Weil gerade Fußball-EM ist, tummeln sich hier wie in den Städten, in denen die Fußballspiele stattfinden, ohnehin viel mehr Touristen als sonst. An die will man ran, die sollen wiederkommen. Nach Neukölln.

Die Plakat-Kampagne soll „die schönen Seiten Neuköllns“ zeigen, sagt Bezirksamtssprecher Christian Berg. „Wir wollen damit ein anderes Bild vermitteln. Denn Sonnenallee und Jugendgewalt machen den Bezirk nicht aus, er ist vielfältiger. Neukölln hat eine äußerst lebendige Kreativ- und Kulturszene mit Kreativen aus der ganzen Welt, die ständig Neues generieren – ob in Musik, Theater, bildender Kunst, Streetart, Gastronomie.“ Genau das geben die Plakate wider.

Ein Motiv aus der Sonnenallee aber fehlt dann doch. Denn wo strömen die Touris aller Länder hin? In einen der vielen syrischen Bäckereien, um sich mit Leckereien einzudecken. Nur mal so als Anregung für die nächste Werbekampagne und ein positiv besetztes Klischee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Da sieht man mal wieder, wer ständig auf Identitätspolitik geiert: das sind die Rechten.