Neues Wahlplakat: Ströbele ändert die Richtung
Der Grüne Hans-Christian Ströbele startet zum vierten Mal den Wahlkampf um ein Direktmandat für den Bundestag - und setzt auf sein bewährtes Comic-Plakat.
Wird Hans-Christian Ströbele immer radikaler? Mit bloßen Händen reißt er den Zaun entzwei, tritt mit großem Schritt ins Grün. Wird die Masse dem zivilen Ungehorsam folgen?
Ist das die Botschaft, die der Urgrüne mit seinem neuen Wahlplakat aussenden will? Am Dienstag wird Ströbele das Poster für seinen vierten Kampf um ein Direktmandat für den Bundestag in Friedrichshain-Kreuzberg offiziell vorstellen. Und zumindest grafisch ist klar: Er bleibt sich treu.
Denn wie schon in den Wahlkämpfen zuvor wirbt der 74-Jährige mit einem knallbunten Wuselbild im Comicstyle. Was erneut nach Gerhard Seyfried aussieht, ist nun aber Franziska „Ziska“ Riemann, einzige Schülerin des Berliner Zeichners. Der hatte schlicht keine Zeit, wie er sagt. Auch weil er schon von der Linkspartei für einen Auftrag gebucht war.
Gegen Ströbele tritt erneut die 2009 Zweitplatzierte, Halina Wazyniak von der Linkspartei, an. Die SPD schickt Cansel Kiziltepe ins Rennen, die eine Niederlage verkraften könnte: Sie ist über den Listenplatz 5 ihrer Partei abgesichert. Für die Piraten tritt der Schornsteinfeger Sebastian von Hoff an, für die CDU der Bezirksbeamte Götz Müller.
„Ich sehe einen kraftvollen Ströbele“, erklärt Ziska ihr Plakat. „Einen, der Dinge aufbricht und ehrlich ausspricht.“ Tatsächlich zeigt sich der Grüne agiler denn je, mit wehendem Schal und hochgekrempelten Ärmeln. Kein starrer Blick wie auf früheren Plakaten, kein Posieren mit Fahrrad. Schon beim letzten Mal stürmte Ströbele einen vergammelnden „Skandalberg“, nun wendet er gar sanfte Gewalt an. Steigt mit dem Alter die Ströbel’sche Radikalität? In jedem Fall legt er einen Richtungswechsel hin: raus aus dem Matsch, rein in den Garten.
Gleich hinter dem Grünen: die Friedrichshain-Kreuzberger, wie eh und je. Alt und garstig sind die Friedensbewegten geworden. Die türkische Gezi-Solidarität dagegen kommt jung und anmutig daher. Ihr aller Anführer fühlt sich dem Wahlkreis offenbar wieder stärker verbunden: Die Oberbaumbrücke ist, anders als auf dem letzten Plakat, wieder dabei, der Bundestag verschwunden.
Warum aber auch ein Schlapphut-Agent zu Ströbeles Gefolgschaft gehört und wie die Amis und Briten den Fernsehturm in ihre Gewalt brachten – man weiß es nicht. Und welcher Mediaspree-Turm gerät da eigentlich ins Bröckeln? Hat Investor Hinkel doch schon hinter der East Side Gallery gebaut?
Demokratisch entstanden
„Ganz basisdemokratisch“ sei das Plakat in den vergangenen Wochen entstanden, berichtet Ziska. In mehreren Sitzungen mit Ströbele und anderen Grünen, jeder habe seine Wünsche einbringen können. Man sieht’s: Die Zahl der Schildchen und Sprechblasen ist hoch wie nie. Besonders durchsetzungsstark war Ströbele in seinen Bundestagsjahren offenbar nicht. Viele der Forderungen sind die bewährten: Vermögensteuer, Hanf frei, keine Waffenexporte und der Klassiker – die regenbogenfarbene Homosexuellenbewegung fordert die Entwaffnung der Finanzmärkte.
46 Prozent der Wählerstimmen holte Ströbele 2009 – fast 30 Prozentpunkte mehr als die Zweitplatzierte Halina Wawzyniak von der Linken. Der Sieg wird dem Grünen also nicht zu nehmen sein. Ob Ziska 2017 dem dann 78-Jährigen noch mal ein Wahlplakat zeichnen wird? „Nein, nein“, glaubt die 39-jährige Schönebergerin. „Das wird Ströbeles letzter Wahlkampf.“
Bis dahin bleibt zu bangen: Wird das kleine Kotti-Mädchen auf der Zaunkrone Ströbeles Angriff auf das Gitter unbeschadet überstehen? Wie viel NSU-Sumpf, klebrig am Schuhwerk, wird der Grüne mit ins Paradies schleppen? Und werden die Blümchen den Einzug des Wahlvolks überleben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja