Neues Soloalbum von Kim Gordon: Sprengen und Scheitern
„The Collective“ heißt das neue Soloalbum von US-Künstlerin Kim Gordon. Sagt ihre Musik etwas aus über die gesellschaftliche Atmosphäre in den USA?
Stoische Hip-Hop-Beats aus der Dose, darüber verzerrte, fast industrielle Sounds, die kaum als Gitarren zu identifizieren sind, falls es sich überhaupt um welche handelt. Darüber wiederum die so vertraute, nasale Stimme Kim Gordons im Sprechgesang.
Die elf Stücke auf „The Collective“, dem zweiten Soloalbum der heute in Los Angeles lebenden Musikerin – früher bei der New Yorker Band Sonic Youth –, stellen aufreibende Noise-Musik dar, die aber gleichzeitig erstaunlich gut ins Ohr geht.
Tatsächlich komme ich beim ersten Hören überhaupt nicht auf die Idee, dass dieser Krach auf irgendeine Weise widerständig, herausfordernd, oder gar rebellisch sein könnte.
An Dissonanzen gewöhnt
Die 70-jährige US-Künstlerin Gordon, die auch als Modemacherin, Produzentin, Kuratorin und bildende Künstlerin arbeitet, sieht das ähnlich: „Was wir in den 1980ern mit Sonic Youth gemacht haben – ausgenommen vielleicht unser Album ‚Daydream Nation‘ –, war schon Nischenmusik“, erklärt Gordon im taz-Interview. „Aber inzwischen haben sich die Menschen an dissonante Musik gewöhnt. Ich habe mich an das gehalten, was mich schon immer beeinflusst hat, The Stooges, No-Wave-Sound von Bands wie DNA. Das entspricht mir. Ich kann keine andere Musik machen, höchstens noch etwas, das nach typischem Indierock klingt, aber das interessiert mich nicht.“
Kim Gordon: „The Collective“ (Matador/Beggars/Indigo)
Trotzdem suche ich bei Kim Gordon instinktiv nach Bedeutung, nach Kommentaren zur Zeit, nach dem Stand der Debatte über die polarisierte US-Gesellschaft. Titel wie „I Don’t Miss my Mind“, „Believers“ oder „I’m a Man“ laden auch dazu ein. „Mein Song ‚I’m a Man‘“, erklärt Gordon, „bezieht sich auf ultrakonservative US-Politiker wie Josh Hawley.
Auf männliche, weiße Gruppierungen, die sich die traditionellen Rollenbilder der 1950er Jahre zurückwünschen. Und der Songtext handelt davon, wie verloren Männer sind, wenn sie nicht mehr die Rolle des Beschützers, des Retters spielen können. Sie sind zu Konsumenten geworden, zum Ziel von Marketing, wie vorher die Frauen.“
Vom Wolkenkratzer in die Tiefe stürzen
Die TV‑Serie „Mad Men“ bringe diese Entwicklung auf den Punkt und symbolisiert sie schon im Vorspann, bei dem ein Mann im Anzug vor einem Wolkenkratzer in die Tiefe stürzt. Gordon bemitleidet solche Männer, auch wenn sie, nicht nur in den USA, gerade wieder auf dem Vormarsch sind.
Allzu viel Bedeutung sollte man den neuen Songs von Kim Gordon aber nicht beimessen. Ihr Antrieb für die Musik sei vor allem Langeweile gewesen, sagt sie im Interview. Sie hatte gerade kein Kunstprojekt, und die Arbeit an ihrem Debütsoloalbum hatte ihr großen Spaß gemacht. Dies hatte sie, wie auch jetzt „The Collective“, zusammen mit dem Produzenten Justin Raisen aufgenommen, der auch mit Stars wie Charlie XCX und Youngstern wie Yves Tumor arbeitet.
Der Titel „The Collective“ beziehe sich auf Jennifer Egans Buch „Candy Haus“, in dem die Menschen ihre Erinnerungen per App in die Cloud hochladen und teilen können, irgendwie habe es aber auch etwas mit der Beziehung von Performerin und Publikum zu tun. Auf der Bandcamp-Seite für „The Collective“ gibt Kim Gordon ein stärkeres Statement ab, als es ihr im 20-minütigen Zoomtalk zu entlocken ist.
Paranoia ist überall
„Mit dem Album wollte ich den totalen Irrsinn ausdrücken, der mich umgibt. In diesem Moment weiß niemand wirklich, was die Wahrheit ist, wenn Fakten die Menschen nicht mehr überzeugen; wenn jeder auf seiner eigenen Seite steht und damit ein allgemeines Gefühl von Paranoia schafft. Um zu beruhigen, zu träumen, dem mit Drogen zu entkommen, mit Fernsehshows, Shopping, dem Internet, ist alles leicht, glatt, bequem, zur Marke gemacht. Das hat in mir den Wunsch ausgelöst, etwas zu sprengen, etwas Unbekanntem zu folgen, vielleicht sogar zu scheitern.“
Lässt sich in der Musik besser scheitern als in der bildenden Kunst, Frau Gordon? „Vielleicht. Auf jeden Fall erreicht man mit Musik mehr Menschen. Was ich durch die Songs ausdrücke, ist alles sehr intuitiv und nicht sehr geplant. Aber mein Instinkt ist es immer, Menschen mit Musik herauszufordern. Zu sagen: Nimm das!“
Noch einmal: Gordons neues Album hört sich durchaus stilbewusst an. Zum Beispiel beim Auftaktsong „Bye Bye“: Sein Text listet Reisevorbereitungen auf, genussvoll trocken vorgetragen zu stumpfen Beats, mit industriell anmutenden Kracheinlagen und sich in die Höhe schraubenden Quietschgeräuschen.
Die Musik klingt nicht so sehr düster, eher ernst und dringlich, ein reizvoller Kontrast zur Aufzählung banaler Alltagsdinge, die es einzupacken gilt: Zigaretten, T-Shirts, Jeans, Vibrator. Und der Hundesitter muss auch noch verständigt werden. Im Videoclip, inszeniert von Fotografin Clara Balzary, sehen wir Gordons Tochter Coco, die Kleinigkeiten im Drugstore klaut, sich dann in einem Motelzimmer duscht und aufbrezelt – um schließlich von Kim Gordon im Pick-up abgeholt zu werden, von dessen Beifahrersitz sie bei der nächsten Gelegenheit flieht.
Eine traurige Geschichte. Kann Coco nicht mit Freunden ausgehen und einen guten Abend haben? Was erzählt das über das Verhältnis von Mutter und Tochter? „Es wird nicht ganz klar, wovor sie flieht. Und mich selbst habe ich in dem Moment nicht als ihre Mutter gesehen, die sie im Auto irgendwo hinfährt, eher als Autoritätsperson, die gekommen ist, um sie mitzunehmen. Es war die Idee der Regisseurin.“
Kim Gordon ist durchaus freundlich und lächelt viel, während sie am heimischen Esstisch sitzt und in die Webcam schaut. Das macht es nicht weniger enttäuschend, wie dünn die Gedanken sind, die sie zu ihrer Kunst entwickelt. Dieser Kunst, die ästhetisch so ansprechend ist. Vielleicht etwas zu ansprechend.
Es erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei Kim Gordons neuem Soloalbum um wasserdichte, längst etablierte Ästhetik handelt, die zwar Spaß macht, aber eines nicht hat: Sprengkraft. Kim Gordon ist selbst zur Marke geworden, im Interview bestätigt sie das lapidar: „Ich möchte keine Marke sein, aber ich bin es ganz offensichtlich, zumindest in einem gewissen Maße. Aber ich möchte es lieber offen lassen, was die Leute in mir sehen. Man kann so was nicht kontrollieren, und man wird verrückt, wenn man zu viel über so etwas nachdenkt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies