Neues Ressort für Debatten in der „Zeit“: Welchen „Streit“ wollen sie?
Die Wochenzeitung hat ein neues Ressort mit dem Titel „Streit“. Für eine bessere Debattenkultur. Und was meinen die damit?
Ob wir überhaupt noch miteinander reden können, fragt man sich seit ein paar Jahren auf Podien. Ein Riss gehe durch die Gesellschaft, es gebe keine produktiven Debatten mehr. Das finden so einige, auch Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der im Branchenportal Meedia das neue Zeit-Ressort „Streit“ bewirbt.
Di Lorenzo findet die Debatte in Deutschland „vergiftet“, der Diskurs werde „von den Rändern her bestimmt“ und sei „geprägt vom unbedingten Vorsatz, die jeweils andere Seite misszuverstehen“. Dagegen soll es nun „Zeit Streit“ geben, um „den Begriff Streit wieder positiv zu besetzen und ihm eine kleine, feine Bühne zu bieten, auf der man hart in der Sache, aber verbindlich im Ton diskutieren kann“, sagt Lorenzo.
Eine spannende Frage ist, ob es hier überhaupt etwas zu reparieren gibt. Das kann man aus Shitstorms und erhitztem Schlagabtausch auf Social Media natürlich schließen. Ob Menschen außerhalb ihrer Netz-Avatare und Autor*innen-Personae wirklich nicht mehr miteinander sprechen können, ist derweil ungeklärt. Möglicherweise bleibt etwas ganz anderes unerfüllt: Das Bedürfnis der bürgerlichen Mitte, im Streit nett und freundlich zu bleiben. Aber nehmen wir mal an, es stimmt und die Debattenkultur muss besser werden, dann ist die Frage, wie.
Die Zeit zum Beispiel hat für ihr neues Ressort den US-Kolumnisten Bret Stephens eingekauft, der künftig sechsmal im Jahr über ein Thema seiner Wahl schreiben wird. Bret Stephens ist seit 2017 Kolumnist der New York Times und schrieb vorher beim Wall Street Journal über Außenpolitik. Berühmt ist Stephens auf zweierlei Art. Einerseits dafür, dass er sich als Konservativer gegen US-Präsident Trump positioniert. Und zweitens, weil er sich in Sachen Klimawandel um eine provokante Position bemüht.
Jeder denkbare Standpunkt
So erkennt Stephens zwar den wissenschaftlich nachgewiesenen Klimawandel an – auch als menschgemachten –, bezieht aber trotzdem regelmäßig Stellung gegen die Klimabewegung. So kritisierte er 2017 in der New York Times die „Gewissheit“, mit der politische Bewegungen vor verheerenden Auswirkungen des Klimawandels warnen. Stephens Argument: „Wenn weniger Gewissheit über die Zukunft des Klimas bestünde, dann hätten vielleicht mehr Amerikaner ein Interesse daran, vernünftig darüber zu diskutieren.“
Einige sehen darin eine industriefreundliche Strategie, um den Klimawandel zwar nicht zu leugnen, aber doch das Thema politisch wirksam herunterzuspielen. Andere vermuten, dass Stephens einfach die „unbeliebte Meinung“ als Nische für sich kultiviert – entsprechend der im US-Diskurs typischen ultraliberalen Vorstellung, dass jeder auch nur im Entferntesten vorstellbare Standpunkt von jemandem eingenommen und vertreten werden muss. Kürzlich äußerte sich Stephens dann noch zur aktuellen Streitkultur in den USA und rückte sie in die Nähe des Deutschlands der 1930er.
Auf Nachfrage, welche Debattenkultur Bret Stephens in die Zeit tragen soll, teilt Ressortleiter Jochen Bittner mit: dieser Standpunkt sei hoffentlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das stimmt. Aber es stimmt nicht gerade hoffnungsvoll bezüglich der Zeit-Streitkultur.
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