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Neues HochschulgesetzMachtfrage um Mitentscheidung

Antidiskriminierung und Transparenz werden mit dem neuen Hochschulgesetz gestärkt. Rot-Rot-Grün und Verbände ringen darum, wer mitreden darf.

Sprachprüfung an der FU Berlin in Vor-Corona-Zeiten: Studierende wollen mehr Mitsprache Foto: Peter Udo Maurer

Berlin taz | Nach einem langen Beteiligungsprozess gehen die Forderungen der Beteiligten deutlich auseinander: Bis Ende der letzten Woche konnten die Verbände der Hochschulangehörigen nämlich zum neuen Entwurf des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) Stellung nehmen. Auf der einen Seite sind das Grüne und Linke sowie die Studierenden und Gewerkschaften, die sich einen grundlegenderen Wandel wünschen. Auf der anderen Seite befinden sich die Senatsverwaltung, die SPD und die Hochschulleitungen, die eher an den bisherigen Strukturen festhalten wollen. „Wir können die Hochschulen jetzt nicht in Grundordnungsdebatten stürzen, denn aktuell steht die Pandemie im Vordergrund“, erklärt etwa Ina Czyborra, wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, gegenüber der taz.

Dennoch wird sich an den Hochschulen einiges ändern, wofür es durchaus Lob gibt: Mit Nachhaltigkeitskonzepten sollen die Hochschulen der Klimakrise begegnen, Diversitätsbeauftragte und Antidiskriminierungsstellen sollen dafür sorgen, dass sich die Vielfalt Berlins auch in den Hörsälen vor und hinter dem Podium wiederfindet und wohl fühlt. Junge Eltern, Pflegende und Berufstätige werden sich über die ausgeweitete Möglichkeit des Teilzeitstudiums freuen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen sollen künftig weniger prekär lehren und forschen. Und um den akademischen Betrieb nachvollziehbarer und demokratischer zu gestalten, sollen Hochschulgremien unabhängige Informationen von einem sogenannten Gremienreferat erhalten. Weiterhin sollen Hochschulverträge mit dem Land Berlin transparenter verhandelt werden.

Andererseits enttäuscht der BerlHG-Entwurf viele Erwartungen, womit ein jahrzehntelanger Konflikt wieder deutlicher hervortritt, dessen Wurzeln in der Studierendenbewegung der 68er liegen. Denn die Studierenden von heute, vertreten durch den Zusammenschluss der Berliner Asten, sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beharren auf ihrem Anliegen: gleiche Macht für Professor:innen, Studierende und (nicht-)wissenschaftliches Personal in Hochschulgremien.

Als Zugeständnis an die Studierendenbewegung hatte man 1969 den Professoren ihre Allmacht an Universitäten genommen und dies ins Westberliner Hochschulgesetz geschrieben. Doch das Bundesverfassungsgericht urteilte 1973, Pro­fes­so­r:in­nen müssten in allen Gremien die absolute Mehrheit der Sitze innehaben, damit die Forschungsfreiheit nicht gefährdet sei. Die derzeitige Mehrheit der Professorenschaft führe dazu, dass an der Hochschulspitze Studierende oder Mit­ar­bei­te­r:in­nen keine Mehrheiten finden können, wenn nicht alle anderen Gruppen und mindestens ein:e Pro­fes­so­r:in ihr Anliegen teilen.

„No Comment“

Im Zentrum des Streits um mehr Teilhabe steht zudem die sogenannte Erprobungsklausel. Sie erlaubt seit 1997, dass Hochschulen vom Gesetz teils abweichen dürfen, „um neue Modelle der Leitung, Organisation und Finanzierung zu erproben, die dem Ziel einer Vereinfachung der Entscheidungsprozesse und einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, insbesondere der Erzielung eigener Einnahmen der Hochschule, dienen“.

Zwar steht der Paragraf in leicht reduzierter Form als „Innovationsklausel“ im vorgelegten Gesetzentwurf von Staatssekretär Steffen Krach (SPD), doch Studierende, Gewerkschaften sowie Grüne und Linke fordern ihre Abschaffung. In der Vergangenheit seien damit die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Gremien zugunsten der Hochschulleitung deutlich eingeschränkt worden.

Die Hochschulleitungen bezeichneten den Gesetzentwurf in ihrer Pressemitteilung als „Misstrauensvotum“ gegenüber den Hochschulen, der mit neuen Verantwortlichkeiten zu Kostensteigerungen führe. Da die Abweichungsmöglichkeit vom Gesetz nun stark reduziert sei, würde dies und viele neue Vorgaben die Hochschulen „massiv zurückwerfen“. Viele De­ka­n:in­nen der Berliner Universitäten schließen sich dieser Kritik an. Der Senat mische sich zu sehr in die Hochschulbelange ein, Berlin als internationaler Wissenschaftsstandort würde geschwächt. „Wir schätzen diese Schwächung als so umfassend ein, dass ein vollständiger Neubeginn des Verfahrens unter kontinuierlicher Beteiligung der Universitäten unabdingbar erscheint“, heißt es in der Stellungnahme.

Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Krach bereits: „Mir fehlt jegliches Verständnis dafür, wenn Hochschulleitungen in der Verbesserung von Beschäftigungsverhältnissen, Stärkung von Gleichstellung, Diversität und Gremienarbeit eine Gefahr sehen. Das sehe ich entschieden anders.“ Auch Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken, reagierte auf Twitter kühl auf die Kritik: „Die Prä­si­den­t:in­nen der Hochschulen waren von Anfang in die Erarbeitung des Gesetzentwurfes eingebunden. Dass es jetzt so eine PR gibt und darüber hinaus kaum Vorschläge für die Verbesserung von Studium, Forschung, Personal und Finanzen kommen. No Comment.“

Gemeinsam entscheiden

Statt der Fortsetzung der Erprobungs- oder Innovationsklausel sollten die Hochschulangehörigen nach einer großzügigen Übergangsfrist zukünftig gemeinsam entscheiden, wo sie von der Gremienstruktur im Hochschulgesetz abweichen wollen, fordert Eva Marie Plonske, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Im Gesetz müsse man einen konkreten Rahmen schaffen, in dem Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und Zuständigkeiten gesetzt werden. Innerhalb dessen sei es sinnvoll, den Hochschulen Flexibilität zu ermöglichen. „Wissenschaft funktioniert im Team. Die beste Struktur für Hochschulen kann sich nur durch die gemeinsame Suche nach dem besten Weg ergeben. Deswegen halte ich ein paritätisches Grundordnungsgremium immer noch für den richtigen Weg, auch wenn dies in der Koalition leider kein Konsens ist“, sagte sie der taz.

In eine ähnliche Richtung gehen auch die Forderungen von Larissa Klinzing von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: „Wir kommen bei dem Thema ‚Gute Arbeit‘ nur dann voran, wenn es nicht bei der Hochschulleitung und den Professoren liegt, sondern in den Gremien gleichberechtigt Entscheidungen getroffen und die Blockaden gegen Dauerstellen für qualifizierte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aufgebrochen werden.“

Für die wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen mit selbstständigen Aufgaben in Forschung und Lehre brauche es faire Mitbestimmung. Die Schaffung einer neuen Stellenkategorie, wie sie Grüne, SPD und Linke einführen wollen, sei dabei ein erster Schritt zu besseren Arbeitsbedingungen. „Wir haben ein Heer von guten Leuten im Mittelbau und können diesen derzeit nur das Durchhangeln auf Kettenverträgen anbieten. Die wenigsten erreichen eine Professur, viele fliegen aus dem System. Wir vergeuden die Menschen mit den besten Ideen“, so Tobias Schulze.

Die Uhr tickt

Bei der neuen Stellenkategorie sowie mit der Einführung des Promotionsrechts für Fachhochschulen sind sich die Fraktionen von Rot-Rot-Grün einig, doch hat jeder der Koalitionspartner noch eigene Ziele. Schulze möchte eine Anerkennung von Leistungen, die Studierende in Berlin und Brandenburg abseits der Heimathochschule erbracht haben, ohne dass diese eine gesonderte Prüfung belegen müssen.

Die Grünen streben Nachbesserungen bei Diversität und dem Aufbau der Fachbereiche an und Ina Czyborra (SPD) meint, die Innovationsklausel müsse bleiben. Ehe man die Sitzverhältnisse in Hochschulgremien antaste, müsse man die Gerichtsentscheidungen in Bundesländern wie Thüringen abwarten, wo eine paritätische Gremienzusammensetzung gesetzlich festgeschrieben wurde.

Auf die Frage, wie viel Macht jeweils Hochschulleitung, Pro­fes­sor:in­nen, Studierende und Mit­ar­bei­te­r:in­nen in ihren Institutionen haben sollen, hat Rot-Rot-Grün noch keine gemeinsame Antwort gefunden. Doch die Uhr tickt: Auf Basis der Stellungnahmen der Verbände lässt Staatssekretär Steffen Krach einen neuen Entwurf ausarbeiten, der dann im Abgeordnetenhaus beraten wird. Noch vor der Sommerpause will die Koalition das neue Gesetz beschließen. Bis dahin müssen sie sich einigen, denn anschließend beginnt der Wahlkampf, und die Machtfrage weitet sich auf ganz Berlin aus.

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