Neues HipHop-Album von Neonschwarz: Bass im Ananasland
Feine Sahne Fischfilet spielt nun doch in Dessau – Neonschwarz ist ihre Vorgruppe. Die Bands zeigen die politische Wirkungskraft von linker Musik.
Ein Dienstagmorgen in einer Bar in Hamburg-Ottensen. Alle vier Mitglieder der Hamburger HipHop-Crew Neonschwarz haben sich zum Interview eingefunden: Marie Curry, Johnny Mauser, Captain Gips und Spion Y. Gesprochen wird über ihr neues Album. „Clash“ heißt es, und es ist ein fulminantes Werk geworden. Bei manchen Songs bläst einen der kraftvolle Sound geradezu um, dazu sind eingängige Hooks, coole Scratches und Samples zu hören. HipHop-Profis wie Ulliversal, Nvie Motho und Riffsn haben Neonschwarz brillante Beats geschmiedet.
Und noch eine Neuerung: Neugierig wie nie zuvor verlässt das Quartett nun gelegentlich seine vertraute Rap-Basis für Ausflüge in die weiten Welten des Pop. „Großen Anteil an den Songs hat Produzent Magnus Wichmann“, sagt Marie Curry. „Er ist kein HipHop-Nerd, sondern in vielen Stilen zuhause. Das tat uns gut, er brachte seine Ideen mit ein. Wir haben die Songs über einen langen Zeitraum entwickelt und uns dann eine Woche in seinem Studio in Leipzig eingenistet, um alles Material fertigzustellen.“
Spätestens nach der Absage des Bauhaus-Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet, die jetzt doch in Dessau auftreten dürfen, mit Neonschwarz als Vorband, zeigt sich, wie viel politisches Wirkungspotenzial in aktueller Musik stecken kann – sie bietet eine gute Möglichkeit, Haltung zu beziehen. Mit der linken Punkbank aus dem Nordosten Deutschlands sind Neonschwarz schon zusammen aufgetreten. Und auch sonst gibt es eine Nähe.
Neonschwarz: „Clash“ (Audiolith/Broken Silence);
Live: 9. 11., Anna & Arthur, Lüneburg, 10. 11., Speicher, Husum, 23. 11., Gleis 22, Münster, 24. 11., Halle 02, Heidelberg, 7. 12., Tante Ju, Dresden
Seit ihrer Gründung 2012 gelingt es den linken Rappern fernab von Szene-Nischen ein größeres Publikum für fortschrittliche Positionen jenseits aller Parteilinien zu begeistern. Das neue Album „Clash“ lockt mit partytauglichen Tracks und überrascht dann mit Texten gegen Nazis, Homophobie, Kapitalismus. Dabei treten Neonschwarz nicht wie verbissene Prediger in Erscheinung, sie packen ihre Haltung stets in lässige Reime. Früher gehörten dazu auch Schilderungen von Utopien, vom wünschenswerten Zusammenleben.
Nazis sind scheiße
Auf „Clash“ ist von Utopien allerdings nicht so viel übrig: „Wir entwickeln diesmal weniger Visionen, sondern setzen uns mehr mit gegenwärtigen Zuständen auseinander“, sagt Johnny Mauser. „Vor allem mit dem Rechtsruck.“ Der beschäftigt Neonschwarz schon länger. „Wenn die AfD im Osten zweitstärkste Kraft ist, haben wir als politisch denkende Menschen und Rapper automatisch den Drang, darüber einen Text zu schreiben“, sagt Johnny Mauser. „Sollten sich deshalb Grundaussagen bei uns wiederholen, ist das nicht schlimm. Man kann nicht oft genug sagen, dass Nazis scheiße sind.“
Johnny MauserMitglied von Neonschwarz
In den neuen Songs klingt hier und da zwar an, dass der Rechtstrend ermüdet, aber Kampfeslust und Hoffnung gewinnen letztlich die Oberhand. „Jeder von uns ist mal verzweifelt, wenn irgendwo Nazis marschieren“, sagt Johnny Mauser. „Und ein paar Tage später läuft man mit 16.000 Menschen auf einer Demo für die Seenotrettung von Geflüchteten durch Hamburg und schöpft wieder Hoffnung. Es geht hin und her, das spiegelt sich auf dem Album wider.“
Besonders am Herzen liegt der Band der Track „Der Opi aus dem 2. Stock“. Er handelt von einem Schoah-Überlebenden, der zurückgezogen in Deutschland lebt. „Das ist der Song, über den wir am meisten diskutiert haben“, sagt Captain Gips. „Uns ist klar, dass wir die Gefühlswelt eines Schoah-Überlebenden nicht annähernd nachempfinden können. Trotzdem wollen wir mit unseren bescheidenen Mitteln an diese Menschen erinnern und die Kontinuität des Antisemitismus thematisieren.“
Tolle Basslaufs und Old-School-Vibes
Als Erstes war die jazzige Hookline gesetzt, die Neonschwarz-DJ Spion Y für den Song ins Spiel brachte. Sie basiert auf dem Eins-Zwo-Klassiker „Die Omi aus dem 1. Stock“ von 1999. Dann kam der Text. „Wir haben für den Song nochmal ausführlich recherchiert, uns vor allem mit Zeitzeugenberichten beschäftigt“, sagt Marie Curry. Für Neonschwarz-Verhältnisse ist das Stück auffällig düster. Der Text berührt, Anmaßung kann man der Band nicht vorwerfen: „Immer bereit zur Flucht, weil er Vertrauen niemals hatte / Neben seinem Bett steht die gepackte Tasche“.
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Auf dem Album findet sich aber auch Leichteres. Zum Beispiel der Dicke-Hose-Rap „Gleis 13“, die Erinnerung an den schönsten Sommer des Lebens in „Maradona“ sowie „Verrückt“, ein Dancefloor-Filler mit Soul-Schlagseite für alle, die als durchgeknallt gelten. Ein Highlight ist „Ananasland“. Nicht nur wegen seines tollen Basslaufs und den Old-School-Vibes, sondern auch, weil die Band treffsicher und humorvoll das ach so alternative Leben in hippen Stadtteilen aufs Korn nimmt.
Sie selbst wohnen auf St. Pauli, wissen genau, wovon sie rappen – und meinen sich vermutlich in mancher Zeile auch selbst: „Altbau-Attitüde, locker leben nur mit Mühe/Kinderfinger nähen auch für deine Kids im Biodiscounter die Jutetüte/18 Euro pro Quadratmeter / Mama, Papa, Oma, bitte darf ich das? / Diesen Lifestyle musst du dir dann leisten können/ Doch die Modekette nebenan scheiße finden.“
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