Neues EU-Gesetz zu Lieferketten: Mehr Verantwortung für Unternehmen

Die EU will Unternehmen dazu verpflichten, auch bei ihren Zulieferern dafür zu sorgen, dass Menschenrechte und Umweltschutz eingehalten werden.

sehr lange rote Stoffbahnen liegen diagonal auf einem Feld, ein Mensch hebt den Stoff an

Rotes Tuch: Ob etwa bei Textilproduktion, hier in Bangladesch, fair zugeht, ist schwer herauszufinden Foto: Joy Saha/imago

BERLIN taz | Wenig spektakulär verlief die Abstimmung im Rechtsausschuss am Dienstag über den Kompromiss zur EU-Lieferketten-Richtlinie mit gerade einmal 25 abstimmenden EU-Parlamentariern. Sie vertreten die wichtigsten Fraktionen im Parlament. Nach 10 Minuten sind alle Punkte angenommen. Das Prozedere täuscht über die schlaflosen Nächte, die die Mitglieder damit verbracht haben, rote Linien auszuhandeln, und die Brisanz, die das Thema hat.

Die Missstände entlang der Lieferketten sind groß. Der Druck, günstig zu produzieren, und mangelnde Durchsetzung von Gesetzen führt vielerorts zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen bei Zulieferern. Sklavenarbeit auf Kakaoplantagen, Landvertreibungen für Ölbohrungen, Luftverschmutzung, Kinderarbeit in Textilfabriken – die Liste ist lang.

Zivilorganisationen mobilisieren schon lange dafür, dass Unternehmen, aber auch Investoren Verantwortung übernehmen dafür, wie ihre Gewinne erwirtschaftet werden – also entlang der Wertschöpfungskette. Auch einige Unternehmen der „risikoreichen“ Branchen, der Textil- und Schokoladen­industrie setzen sich für ein Lieferkettengesetz ein. Sie wollen Rechtssicherheit und gleiche Regeln für andere, am besten sollten Selbstverpflichtungen, an die sie sich sowieso halten, Gesetz werden. Größte Gegner der Richtlinie sind die Wirtschaftsverbände – vor allem auch aus Deutschland. Sie fürchten Bürokratie und Wettbewerbsnachteile.

Entwurf abgeschwächt

Die EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten in Lieferketten wird kommen. Im Wesentlichen müssen Unternehmen dann Risiken analysieren und Maßnahmen ergreifen, um Missstände zu beheben. Offen ist noch, wie weit sich die Interessen der Wirtschaftsverbände und Konservativen gegenüber den ­linken Kräften im Parlament durchsetzen werden. Schon jetzt ist der Kompromiss von den Parlamentariern deutlich abgeschwächt gegenüber dem anfänglichen Entwurf. Er ist Basis für die Verhandlungen mit den EU-Mitgliedsstaaten, denen eine weitaus schwächere Regulierung vorschwebt. Das sind die Punkte, die für Streit sorgen:

Was Wirtschaftsverbände beim deutschen Lieferkettengesetz erfolgreich verhindert haben, steht in der EU noch zur Debatte: zivilrechtliche Klagerechte auf Schadensersatz für Betroffene, deren Menschenrechte verletzt wurden, sowie für NGOs und Gewerkschaften. Außerdem soll nach Wunsch der Parlamentarier eine Aufsichtsbehörde Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Umsatzes gegen regel­brüchige Unternehmen erheben können.

Nicht durchgesetzt hat sich im Rechtsausschuss die Forderung, dass die Beweislast umgekehrt werden soll, also nicht länger Opfer die Beweise von Verletzungen erbringen müssen, sondern Unternehmen ihre Unschuld beweisen sollen. Das hätte die Schwelle zum Zugang zur Justiz für Betroffene gesenkt. Wirtschaftsverbände und auch Deutschland hatten sich im Rat außerdem dafür eingesetzt, dass eine sogenannte „Safe Harbour“-Klausel eingebaut wird, sie würde Ausnahmen zivilrechtlicher Haftung festlegen, etwa für Unternehmen, die sich an Selbstverpflichtungsinitiativen beteiligen.

Firmenchefs sollten rechtlich belangt werden können

Die EU-Parlamentarier wollen auch den Finanzsektor miteinbeziehen – allerdings nur noch dessen direkte Beziehungen und ohne Haftung. Dennoch sorgt der Kompromiss weiterhin für Ablehnung beim EU-Rat. Der hatte vorgeschlagen, dass es Mitgliedsstaaten freigestellt werden soll, ob Sorgfaltspflichten auch für Investoren gelten.

Ursprünglich hatte die Gesetzesinitiative auch einen Fokus auf Unternehmensführung. Firmenchefs sollten rechtlich belangt werden können, ihre Bezahlung kontrolliert werden. Gehalten hat sich im Entwurf der EU-Parlamentarier die Forderung, dass Unternehmensleiter an das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens gebunden werden sollen. Die Auszahlung ihrer Boni soll in Zukunft auch daran gekoppelt werden, wie gut sie ihre Firmen nachhaltig machen. Eine Einigung mit den EU-Mitgliedsstaaten dazu ist nicht in Sicht.

Weiterer Diskussionspunkt ist die Reichweite des Gesetzes. Der Entwurf umfasst bereits mehr Unternehmen als das deutsche Lieferkettengesetz, das Firmen mit mehr als 3.000 und nächstes Jahr mehr als 1.000 Beschäftigten betrifft. Das befürworten auch die EU-Mitgliedstaaten. Nach Wunsch der Parlamentarier hingegen soll die Regelung für Firmen mit 500 und später mit 250 Beschäftigten gelten.

Beschränkung auf direkte Zulieferer

Außerdem sind Nicht-EU-Firmen mit mehr als 150 Millionen Umsatz betroffen, von denen 40 Millionen in der EU erwirtschaftet wurden. Gegenüber Forderungen aus der Zivilgesellschaft und dem linken Lager, alle Unternehmen zu verpflichten, hat sich auch der Kompromiss nicht durchgesetzt, zumindest bestimmte Risikobereiche zu definieren, den Abbau von Mineralien, die Textil- oder Kakaoindustrie etwa. Dafür sollen von der Regelung betroffene Unternehmen nach dem aktuellen Entwurf neben ihren Zulieferern aber die gesamte Kette kontrollieren, also auch Verkauf, Vertrieb und Logistik. Stimmen aus dem Rat und den Wirtschaftsverbänden fordern eine Beschränkung auf direkte Zulieferer.

Nach der Annahme des Kompromisses im Rechtsausschuss muss nun noch das EU-Parlament zustimmen. Das gilt als sicher. Im Sommer sollen Verhandlungen mit den Regierungen der Mitgliedstaaten im EU-Rat aufgenommen werden und die Richtlinie bis zum Jahresende verabschiedet werden.

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