piwik no script img

Neues Buch von Erica FischerZurück in die Zukunft

„Feminismus Revisited“ hält keine Referate über die gute alte Zeit. Das Buch weckt die Neugier für die Kämpfe jüngerer Generationen.

Fischers aktivistische Heimat ist die autonome Frauenbewegung der 70er-Jahre Foto: Massimo Cortini

Jung gegen Alt. Netzfeministinnen gegen 70er-Jahre-Feministinnen. Anne Wizorek gegen Alice Schwarzer. Diese Gegensatzpaare füllen seit einigen Jahren Medien und Podien. Nur, ist dieser Konflikt nicht konstruiert?

Gut, die inhaltliche Divergenz zwischen Anne Wizorek und Alice Schwarzer ist offensichtlich. Nur ist es eben etwas substanzlos, den Ursprung der Kontroverse im unterschiedlichen Alter der beiden Feministinnen zu suchen. Jung und Alt stehen nicht per se in Feindschaft zueinander.

Erica Fischers neues Buch „Feminismus Revisited“ (Berlin Verlag 2019) ist Beleg für Kontinuitäten in feministischen Positionen seit dem Beginn der Neuen Frauenbewegung. Der Titel des Buches ist wörtlich zu verstehen: revisited – die Publizistin war schon mal da und kommt jetzt wieder zurück, schaut sich noch einmal um.

Fischers aktivistische Heimat ist die Autonome Frauenbewegung der 70er Jahre. In Wien gründete die Österreicherin die Aktion Unabhängiger Frauen (AUF) mit, aus der 1974 die gleichnamige Frauenzeitschrift entstand. Österreich hatte so ein feministisches Sprachrohr, noch vor Deutschland mit der Courage und Emma.

Frauen*kampftag bei taz.de

Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.

Blick auf jüngere Feminstinnen

Die Aktivistin Fischer war also schon früh auch als Publizistin tätig, damals übrigens im Gegensatz zu heute völlig ohne Aussicht auf ein Veröffentlichen in größeren Medien oder gar gegen ein Honorar. Gehör bei einem größeren Publikum verschaffte sie sich erstmals 1976. In der Talkrunde „Club 2“ im ORF sprach sie über sexualisierte Gewalt und stritt sich ausgiebig mit einem Polizisten, der sich zu Ausführungen über „vergewaltigungswillige Frauen“ hinreißen ließ. Der Skandal machte Fischer berühmt.

Personen, die in den 70er Jahren noch nicht einmal geboren waren, ist die 75-Jährige vor allem durch ihr 1994 erschienenes Buch „Aimée & Jaguar“ bekannt – genauer, durch die Verfilmung mit Maria Schrader und Juliane Köhler in den Hauptrollen. Die Geschichte einer lesbischen Liebe zwischen einer Jüdin und einer Nazimitläuferin zur Zeit des Nationalsozialismus wurde zu einem Weltbestseller, übersetzt in 20 Sprachen.

Das Buch

Erica Fischer: "Feminismus Revisited", erschienen im März 2019 im Berlin Verlag.

Nun blickt die seit Mitte der 90er Jahre in Berlin lebende Autorin mit Neugier auf die jüngeren Feministinnen. „Dank der klugen Stimmen und Texte junger Frauen ist mein Interesse am Feminismus neu erwacht“, schreibt sie zu Beginn ihres Buches. Jung, das ist aus Sicht von Erica Fischer auch die 48-jährige Mithu Sanyal – aus Per­spektive einer 20-Jährigen wohl eher eine „steinalte“ Feministin. Aber genau das ist es – eine Frage der Perspektive. Diese versucht Fischer mithilfe von neun Gesprächspartner*innen in ihrem Buch immer wieder zu wechseln und zu variieren.

Ein ganzes Kaleidoskop an Perspektiven

Wir treffen bei Erica Fischer alte Bekannte wie Mithu Sanyal und Hengameh Yaghoobifarah, beide taz-Kolumnist*innen. Fischer spricht auch mit der Sexarbeiterin Marleen, der Journalistin Katrin Rönicke, der Transperson Parisa Mandana, der Politikerin Agnieszka Brugger und drei jungen Aktivistinnen aus Niederösterreich.

So entsteht im Buch ein ganzes Kaleidoskop an Perspektiven – ostdeutsch, muslimisch, trans, of Color, sexarbeitend – und an Themen: von Schwangerschaftsabbrüchen, Gewalterfahrungen, Sexismus, Lohnungleichheit, Rassismus, Transfeindlichkeit, Religion, Mutterschaft bis hin zu Krieg und Frieden.

Fischer beschreibt die Begegnung mit den jeweiligen Protagonist*innen aus ihrem sehr persönlichen Blick. Sie gesteht sich und ihren Leser*innen etwa ein, dass sie eine der drei Niederösterreicherinnen, die sie trifft, schön findet. „Die Vollkommenheit von Noras zarter Gestalt, ihr offener Blick und die Schlüsselbeine über ihrem Ausschnitt lenken mich ab von dem, was sie sagt, ich gebe es zu. Ich muss mich daran erinnern, dass auch ich einmal so glatte Arme und Schultern hatte. Und doch war ich unglücklich.“

Neue Räume durch Freimütigkeit

Reflexionen wie diese zeigen nicht nur die Offenheit der Gesprächspartner*innen, von denen manche über zum Teil sehr intime Verletzungen sprechen. Fischer zeigt sich in solchen Momenten immer wieder selbst als verletzliche Person, die nicht nur aus der Ferne bewertet, sondern sich ins Verhältnis setzt, mit aller Ehrlichkeit.

Dogmatismen sind Fischers Sache nicht. Während der Student*innenbewegung 1968 schreckte sie das aggressive Auftreten der Männer und Frauen ab – bis sie zu wissen glaubte, dass das Patriarchat an allem schuld sei: „Erst später erkannte ich, dass diese Erklärung zu kurz griff, aber das spielte damals keine Rolle. Die Erleichterung über diese Erkenntnis verlieh mir Flügel.“

Dass sie früher ein „gewisses Ressentiment“ gegenüber Transfrauen empfand, gibt sie aufrichtig zu. Auch, dass sie erst später begriff, was eine Person dazu bringt, eine Geschlechtsangleichung vorzunehmen. „Feminismus Revisited“ ermöglicht durch Freimütigkeiten wie diese einen Raum, der atmet und Platz für Zweifel und ehrliches Selbstbefragen lässt.

Dass diese Offenheit in sozialen Medien durch Beschimpfungen wie „TERF“ (trans exclusionary radical feminist) fehlen, kritisiert sie entsprechend: „Im derzeitigen Konflikt sehe ich berücksichtigenswerte Argumente auf beiden Seiten. Ich habe gelernt, zuzuhören und dazuzulernen, sollte ich erkennen, dass meine vertrauten Meinungen revisionsbedürftig sind.“

„Freundlich und respektvoll“

Also trifft Erica Fischer sich für ihr Buch mit Hengameh Yaghoobifarah. Yaghoobifarah ist aktuell sicherlich eine der umstrittensten, sehr meinungsstarken feministischen Stimmen. Fischer beschreibt zunächst ihre Scheu, die etwa 50 Jahre Jüngere anzusprechen. „Hengameh würde denken: Häh? Was will denn die Olle von mir?“ Es ist die Scheu einer Person, die nicht in der queerfeministischen Blase lebt und diese vorsichtig erkundet.

Fast scheint Fischer überrascht zu sein, als Yaghoobifarah beim gemeinsamen Gespräch „freundlich und respektvoll“ ist. Genau das kann im besten Fall passieren, wenn Menschen sich kennenlernen und einander zuhören, es entsteht Nähe.

Fischer gibt ihren Ge­sprächs­partner*innen sehr viel Raum, um über ihre politischen Kämpfe und Perspektiven zu berichten. Mitunter wird so an mancher Stelle das Buch etwas zäh für diejenigen, die die Debatten der letzten Jahre sehr intensiv verfolgt haben. So manche Ausführung zu Ermächtigungsaspekten der Sexarbeit konnten an anderer Stelle schon vernommen werden.

Was Fischer aber durch die vielen Zitate schafft, ist eine praktische Umsetzung des „Raumgebens“, giving space, als Form von feministischer Solidarität. Von Akteur*innen mit einer hohen Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit wird immer wieder gefordert, sie sollten denjenigen, die dort zu wenig stattfinden, Gehör verschaffen. Fischer tut dies nicht mit großer Geste und Ankündigung, sondern schlicht aus Interesse.

Eine reflexion über Fischers Leben

Zwischen bekannten Positionen und Argumente finden sich aber auch immer wieder neue Aspekte, etwa beim bereits erwähnten Thema Sexarbeit. Im Austausch mit der Expertin entsteht die Forderung nach einer Supervision von Sexarbeitenden. Nicht als Traumatherapie, sondern als Möglichkeit, über Alltagserfahrungen zu sprechen: „Marleen und ihre Kolleg*innen sprechen über ihre Arbeit. Aber eben vielleicht nicht über alles, worüber zu reden ihnen guttun würde.“

Es ist an vielen Stellen wohltuend, aktuelle feministische Debatten mit dem Blick einer Frau zu betrachten, die aufmerksam auf die jüngere Generation blickt und dabei immer wieder auch an frühere Kämpfe und Inszenierungen erinnert, die noch heute Aufsehen erregen würden. Inspiration könnte etwa eine Aktion aus den 70ern für die Fristenlösung von Schwangerschaftsabbrüchen sein: „Einmal legten wir blutgetränkte Tampons ins Weihwasser der Stephanskirche (es war kein richtiges Blut) und trugen bei einer Demonstration eine ans Kreuz genagelte Sexpuppe mit.“

„Feminismus Revisited“ ist nicht nur ein Zuhören, was Jüngere zu alten feministischen Forderungen zu sagen haben. Das Buch ist auch eine Reflexion über Fischers eigenes Leben, im Exil geboren, im postnazistischen Wien aufgewachsen. Wie sie dort aufgenommen wurde, beschreibt eine kleine Szene: Ihre Mitschüler*innen nannten sie „Kaninchen“, weil ihre Mutter nach britischer Art ein Salatblatt aufs Pausenbrot legte.

Die Kraft der ehrlichen Empörung

Fischer berichtet von sexualisierter Gewalt, die sie verdrängt hatte. Von persönlichen Konflikten mit ihrer Mutter. Von ihrer Unsichtbarkeit als ältere Frau. Von ihrer Recherche zum Buch „Aimée & Jaguar“. Wie das ­Schreiben des Buches überhaupt erst dazu geführt hat, dass sie sich mit der eigenen jüdischen Familiengeschichte auseinandergesetzt hat. Welche Dreistigkeit sie darin findet, dass Lilly Wust als aktive Profiteurin des Naziregimes „die Deutschen“ hasste und ihre beiden Söhne als Juden in eine Schule eingeschrieben hatte.

Auch wenn Erica Fischer über die Jahre sicherlich altersmilde geworden ist, wie sie sagt, scheinen in Passagen wie der über „Aimée & Jaguar“ durchaus auch die Kraft der ehrlichen Empörung durch. Es gibt schließlich noch einige Forderungen der feministischen Bewegung, die Fischer noch längst nicht als eingelöst sieht. Sie stört sich an der ökonomischen Ungleichheit „als zentrales Element der phallokratischen Ordnung“, an der Vermischung von Fremden- und Frauenfeindlichkeit.

Am Ende fordert Erica Fischer in ihrer Bestandsaufnahme des Feminismus nichts weniger als einen Umsturz: Wie könnte eine feministische Revolution aussehen? Die Frage ist so aktuell wie ein im Buch veröffentlichter Essay dazu, den sie bereits 1989 schrieb. Dass eine Aktivistin diese Frage auch noch 30 Jahre später umtreibt, sie sich eingesteht, nicht alles dazu bereits gelesen und gehört zu haben – darin liegt die Kraft des Buches. Wenn die Feminist*innen von heute ähnlich wach altern, sieht die Zukunft gar nicht so übel aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!