Neues Buch von Claus Leggewie: Identitäre, Eurasier, Dschihadisten
In „Die Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co.“ warnt Claus Leggewie vor der Bedrohung des Westens durch apokalyptische Bewegungen.
Zu den wichtigsten Aufgaben einer Politikwissenschaft, die sich als Aufklärungswissenschaft versteht, gehört es, Politik und Öffentlichkeit den Spiegel der Kritik vorzuhalten. In diesem Sinne kann Politikwissenschaft sich niemals gemein machen mit dem Status quo – und wird insofern auch stets eine Wissenschaftsdisziplin sein, die sich im Idealfall mehr Feinde als Freunde macht.
Dass Claus Leggewie mit seinem neuen Essay „Die Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co.“ dieses Risiko in Kauf nimmt, ist ihm bewusst, da er schon gleich in der Einleitung all die abwiegelnden Einwände (nach denen es sich bei Breivik und Co. um „Spinner“ handeln oder man die „realen Gefahren“ aus den Augen verlieren würde, wenn man sich ihnen widmet) gegen sein zentrales Argument vorwegnimmt, ihnen aber entgegenhält, was nicht zu entkräften ist: Die weltpolitische Konstellation ist so bedrohlich, dass die Zeit des Lavierens vorbei sein muss, will man den Kern des westlichen Versprechens auf Freiheit und Gleichheit nicht für lange Zeit aufgeben oder gar verlieren. „Europa hat Feinde, und dieses Buch benennt sie“, schreibt Leggewie.
Leggewie, der vielen LeserInnen als abwägender Fernsehkommentator bekannt ist, sieht sehr klar, dass die Herausforderungen, vor die Rechtsextremismus und Islamismus die demokratischen Gesellschaften stellen, nicht verloren werden dürfen. Nicht, weil man selbst in der antagonistischen Logik von Freund-Feind denken würde, sondern weil der Gegner einem diese Logik in Verbindung mit einem gigantischen Inhumanitätspotenzial und dem Willen zur Vernichtung aufzwingt.
Insofern ist es unerlässlich, „Gegnerforschung“ zu betreiben, wie Leggewie schreibt, und hierfür antidemokratische Kampfschriften ins Visier zu nehmen, die eigentlich kaum jemand – mit Ausnahme der jeweiligen Anhänger – freiwillig lesen würde. Die Gegner, die Leggewie in den Blick nimmt, sind allesamt Feinde der Aufklärung und der Demokratie, ihnen sind Freiheit und Gleichheit verhasst und Europa und der Westen ein Inbegriff ihrer Feindschaft.
Wahnhafte Konzepte
Auf den ersten Blick hat Leggewie nur ein Buch über drei andere Bücher beziehungsweise längere Texte geschrieben: über die „europäische Unabhängigkeitserklärung“ des Norwegers Anders Breivik, die „Vierte Politische Theorie“ des Russen Aleksandr Dugin und den „Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand“ des Syrers Abu Musab al-Suri. Breivik fordert eine Erneuerung des „christlichen Abendlandes“, Dugin ein eurasisches Imperium unter russischer Führung und al-Suri den Heiligen Krieg gegen die westliche Welt.
Leggewie nimmt alle drei Werke zum Anlass und Ausgangspunkt, die Denk- und Weltbilder ihrer Autoren zu rekonstruieren, ihre für bestimmte politische Strömungen repräsentativen Elemente herauszudestillieren und ihre Resonanzräume, gerade auch in der virtuellen Welt, zu erkunden. Leggewie ist dabei weit entfernt von Panikmache, da er sehr klar sieht, dass das konkrete Machtpotenzial der drei Vordenker differiert und auch ihr realer Machtzugang stark variiert. Dennoch mobilisieren alle drei in ihren Sphären erhebliche Anhängerschaft und inspirieren gerade all jene, deren Weltbild sich von offenkundigem Irrationalismus und auch faktischer Falschheit nicht irritieren lässt.
„Wichtige Übereinstimmungen“ sieht Leggewie bei allen dreien in ihrer „narzisstischen Persönlichkeit“, die geprägt sind von apokalyptischem Denken, einer dichotom-manichäischen Weltsicht und einer fundamentalen „Sakralisierung des Politischen“. Wichtig an diesen psychologischen Kategorien ist, dass sie nicht im landläufigen Sinn als Entschuldigung oder gar Entpolitisierung zu verstehen sind, sondern begriffen werden muss, dass die Ideen, für die Breivik, Dugin und al-Suri eintreten, nicht nur politisch bekämpft werden müssen, sondern dass es sich bei ihren Fantasien eben um wahnhafte Konzepte handelt, deren Brutalität und Irrationalität nur verstanden werden kann, wenn man ihren apokalyptisch-vernichtenden Zug begreift.
Berlin, 2006: Die Piratenpartei gründet sich, sie möchte die Demokratie neu erfinden. Aber die Piraten scheitern an ihrer inneren Zerrissenheit, sie fliegen aus den Landtagen. Was von ihren Ideen bleibt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 10./11. September. Außerdem: 15 Jahre nach dem 11. September 2001 hat die amerikanische Bevölkerung noch immer Angst. Unsere Reporterin hat die Gedenkstätte von 9/11 besucht. Und: Wir waren mit dem E-Auto auf Usedom. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Denn es ist eine Unterscheidung ums Ganze, zu sehen, dass Breivik und Co. eben deshalb nicht rational widerlegt werden können, weil sie sich selbst kategorisch rationalen Argumenten verweigern: „Wissenschaftliche Wahrheitskriterien spielen keine Rolle, unbestreitbare Tatsachen und Gegebenheiten verflüssigen sich in primitiven Sozialkonstruktionen, generell herrscht ein Klima des Verdachts, der Häme und der Lüge.“
Leggewie betont, dass es sich bei allen dreien um Denker „konservativer Revolutionen“ handelt, die eine metapolitische Strategie verfolgen, bei der trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit zunächst intellektuelle Hoheit im öffentlichen Raum erkämpft werden soll, um so schleichend die politische Hoheit zu erlangen. Zunächst mag man stutzen ob der Analogiebildung zu dem von Armin Mohler, einem engen Vertrauten von Ernst Jünger und Carl Schmitt, erfundenen Begriff der „Konservativen Revolution“, der eine Reihe von NS-Vordenkern der Weimarer Zeit zu einer intellektuellen Strömung subsumierte.
Stimmt diese begriffliche Adaption von Leggewie, vor aktuellen „konservativen Revolutionen“ zu warnen, zunächst historisch nachdenklich, macht sie aber eine zentrale Gemeinsamkeit deutlich, die trotz allem die Differenzen – die Leggewie vielfältig betont – nicht verwischt: Breivik, Dugin und al-Suri sind, zum Teil in direkter Bezugnahme auf die historische „Konservative Revolution“, angetreten, um Freiheit und Gleichheit zu bekämpfen, sie verneinen die Subjekthaftigkeit des Menschen gegen das völkische oder religiöse Kollektiv und ihnen ist das Konzept des westlichen Individuums verhasst.
Sie sind, wie die Protagonisten der historischen Konservativen Revolution, Feinde der Demokratie, der Aufklärung und jedes Gedankens von Emanzipation. Und sie sind auch Vorbeter eines Weltbildes, das diese Feindschaft bis zur letzten, barbarischen Konsequenz durchsetzen, den völkischen und/oder religiösen Identitätswahn durch Vernichtung exekutieren will – einschließlich der antisemitischen Dimension, die bei keinem der drei Denker fehlt.
Den Bürgerkrieg entfachen
Es handelt sich also um das Projekt eines universalen Antiuniversalismus, der dezentral agiert und unterschiedliche, untereinander auch wieder verfeindete Strömungen umfasst, die sich aber in zweierlei verbunden sehen: in ihrem Herrschaftsanspruch, der universal im Sinne von weltumfassend ausgerichtet ist und ihrer konzeptionellen und weltanschaulichen Quintessenz, die strikt antiuniversalistisch formuliert wird und das Gleichheitspostulat der Aufklärung ablehnt.
Claus Leggewie: „Die Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co.“. Suhrkamp, Berlin 2016, 177 S., 15 Euro
Leggewie argumentiert, dass alle drei Strömungen das Ziel haben, einen Bürgerkrieg in Europa zu entfachen und eine „exterministische Unvernunft“ in Gang zu setzen – einen Terminus, den sich Leggewie aus dem Begriffsarsenal der Nuklearpolitik borgt, um zu zeigen, dass es um eine universale Bedrohung geht, die apokalyptische Züge trägt. Obgleich alle drei nicht von einer gemeinsamen Weltanschauung ausgehen, besteht eine „unheilvolle Konvergenz der Gegensätze“, die sich in ihrer Feindschaft gegen den Westen und allem, was seine Feinde damit assoziativ verbinden, trifft.
Die Konfrontation, die Breivik, Dugin, al-Suri und Co. mit ihren Ideen heraufbeschwören und die sich in öffentlichen Räumen nicht nur, aber besonders der virtuellen Welt verfangen, stellen eine essentielle Bedrohung für Europa dar, weil aus dem Geist des apokalyptischen Wahns schnell reale kleinere oder größere Bewegungen werden, die mit Mord und Terror zur Tat schreiten, wie auch Breivik es selbst getan hat. Leggewie hat ein eminent wichtiges Buch geschrieben, das den weltanschaulichen Raum zeigt, der solche Taten überhaupt erst kreiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen