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Neues Buch von Alejandro ZambraVon Vätern und Söhnen

In „Nachrichten an meinen Sohn“ führt der chilenische Autor Alejandro Zambra die Erfahrung des Vaterseins zu einem hybriden Erzählband zusammen.

Zambra erinnert an Kindheit und Jugend in der Diktatur und danach. Alltagsszene im Parque Forestal in Santiago de Chile, 2001 Foto: Eva-Christina Meier

Seit ein paar Jahren schon lebt der 1975 in Santiago de Chile geborene Schriftsteller Alejandro Zambra in der mexikanischen Hauptstadt. Dort ist er Vater geworden, bereitet dem kleinen Sohn Silvestre nun ein mexikanisches Frühstück aus Quesadilla mit Heuschrecken und spaziert mit ihm durch den Bosque de Chapultepec. Auch von diesem neuen Alltag mit Kind erzählt seine jüngste Veröffentlichung „Nachrichten an meinen Sohn“. Risikofreudig und reflektiert lässt sich Zambra auf das literarische Wagnis ein.

Mit Silvestres Geburt und seinen ersten 365 Tagen beginnt das Buch. Der erste Teil handelt von den einschneidenden Veränderungen im Leben des Chilenen und seiner Partnerin, der mexikanische Schriftstellerin Jazmina Barrera – vom frühen Aufstehen, quälenden Cluster-Kopfschmerzen, der Pandemie und dem neuen Vergnügen an Kinderbüchern. Die spanischsprachige Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel „Literatura infantil“.

Doch es wäre kein Buch von Alejandro Zambra, wenn all diese alltäglichen Beobachtungen aus der Vater-Perspektive nicht zwangsläufig in Beziehung zu vielfältigen Lektüren oder dem Prozess des eigenen Schreibens gesetzt würden, um dem Lauf der Erzählung immer wieder eine überraschende Wendung zu verleihen. Mit dem konstanten Wechseln der Ebenen wird das Private mit dem Öffentlichen verbunden.

Literarische Stimme seiner Generation

Der chilenische Schriftsteller gilt als scharfsinniger Chronist der Gesellschaft seines Geburtslandes. Mit „Die Entdeckung der Kindheit“ (2012), „Bonsai“ (2015) oder zuletzt „Fast ein Vater“ (2021) hat er seiner Generation, die ihre Kindheit unter der Diktatur Pinochets und die Jugend in den ernüchternden Übergangsjahren erlebte, eine literarische Stimme verliehen.

Alejandro Zambra: „Nachrichten an meinen Sohn”. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 239 Seiten, 25 Euro

„Nachrichten an meinen Sohn“ scheint nun eine versöhnlichere Facette des Autors hervorzukehren. Hellsichtig stellte Alejandro Zambra schon 2017 in einem taz-Gespräch fest: “… eigentlich schreibt man doch immer am selben Buch. Was sich verändert, ist die Welt und man selbst natürlich auch.“

Im zweiten Teil ändert das Buch seinen Erzählstil. Neue Protagonisten tauchen auf. „Schimpfkanonade“ erzählt von der engen Kinderfreundschaft zwischen Dario und Sebastián, der allein mit seiner Mutter aufwächst. In der Nachbarschaft macht ihn das zum Sonderling. Doch Dario findet dieses Familienleben ohne Vater besonders interessant.

Die zwei Jungen treffen sich bald täglich zum Spielen oder Fernsehen, meist bei Sebastian, dessen Mutter Lali erst spät aus dem Büro nach Hause kommt. Ein besonderes Vergnügen bereitet es den Freunden, in andere Rollen zu schlüpfen und sich gegenseitig unflätige, vulgäre Briefe voll wüster Beschimpfungen zu schreiben. Durch ein unglückliches Missverständnis wird ihre Verbindung dadurch für viele Jahre unterbrochen.

Lokal verankerte Sprache

Spätestens in dieser Kurzgeschichte zeigt sich eindrücklich, wie viel Bedeutung der Autor einer lokal verankerten Sprache und dem präzisen Jonglieren mit Worten beimisst. Für Susanne Lange, die Übersetzerin, mag dies eine beachtliche Herausforderung dargestellt haben, und nicht immer überträgt sich Zambras chilenisch geprägter Wortwitz problemlos ins Deutsche.

Nicht nur die Entscheidung, den chilenischen „Estallido“, jene Oktober 2019 einsetzenden Massenproteste, die an anderer Stelle des Buches erwähnt werden, negativ konnotiert mit „Ausschreitungen“ zu übersetzen, wirft Fragen auf.

Erinnerung an die eigene Kindheit und Jugend

In „Nachrichten an meinen Sohn“ weckt die intime Betrachtung der veränderten Lebenssituation beim Autor auch Erinnerungen an seine eigene Kindheit und Jugend in Chile.

Während „Wolkenkratzer“, eine autobiografisch anmutende Erzählung, noch den Blick auf ein konfliktreiches Vater-Sohn-Verhältnis wirft, schaltet sich gegen Ende des Buches nun Silvestres chilenischer Großvater regelmäßig per Videocall dem mexikanischen Familienalltag zu. Der neue Austausch mit dem Vater veranlasst Zambra nachträglich, einige Kapitel seiner Kindheit umzuschreiben.

Dem weit verbreiteten Drang, dem eigenen Vater darin eine herausragende Rolle zu geben, widersteht der Schriftsteller allerdings nicht.

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