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Neues Buch über ultraorthodoxe JudenEs bleibt kompliziert

Tuvia Tenenbom hat sich für sein neues Buch unter ultraorthodoxen Juden umgesehen. Der 7. Oktober 2023 hat auch dort eine Veränderung gebracht.

Unterwegs im Jerusalemer Viertel Mea Shearim Foto: Hannah McKay/reuters

„In Jerusalems extremen Charedi-Vierteln gibt es keinen einzigen Jungen, der nicht sexuell missbraucht wurde'“, titelte einst die Ha’aretz. Der Vorwurf massenhaften Kindesmissbrauchs ist nicht der einzige, der gegen Israels Ultraorthodoxe erhoben wird. Sie seien Sozialschmarotzer, die sich ihr Thora-Studium vom Staat bezahlen ließen, und ruhten sich auf ihrer Befreiung von der Wehrpflicht aus.

Das Buch

Tuvia Tenenbom: „Gott spricht Jiddisch. Mein Jahr unter Ultraorthodoxen“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 575 Seiten, 20 Euro

Dass eine wachsende Mehrheit der Charedim berufstätig ist und der Wehrdienst in Israel auch für muslimische Araber, Drusen und andere Nichtjuden freiwillig ist, wird dabei gerne übergangen. In seltener Einigkeit pochen Israelfreunde wie Israel­feinde darauf, dass Ultraorthodoxe energische Antizionisten seien, was wahlweise skandalisiert oder gefeiert wird.

Der Theatermacher und Journalist Tuvia Tenenbom kennt die charedische Welt. Als Spross einer Rabbinerfamilie geboren, ist er im ultraorthodoxen Teil Jerusalems aufgewachsen, bis er im Teenageralter nach New York übersiedelte. Für sein neues Reportagebuch „Gott spricht Jiddisch. Mein Jahr unter Ultraorthodoxen“ ist er zurückgekehrt nach Mea Shearim, das berüchtigte Jerusalemer Viertel, in dem Frauen zu züchtiger Bekleidung aufgefordert sind und Autofahrer am Sabbat angeblich gesteinigt werden.

Ein ganzes Jahr hat Tenenbom mit den dortigen charedischen Gemeinden verbracht und ein nuancierteres Porträt dieser jüdischen Strömung gezeichnet, als es etwa Deborah Feldmans beliebte Aussteigerbiografie „Unorthodox“ vermittelt.

Dass auch Tenenbom als Jugendlicher die Charedim verließ, lag an deren Sexualmoral. Die Frage, die ihn damals umtrieb, stellte er nun vielen Bewohnern Mea Shearims: Warum darf ein Mann keine fremde Frau ansehen?

Kompliziert verhält es sich mit dem Antizionismus einiger charedischer Schulen. Ursprünglich aus der religiösen Überzeugung erwachsen, dass erst der Messias einen neuen Judenstaat begründen könne, sammeln sich einige Radikale inzwischen unter der palästinensischen Fahne und liefern sich Scharmützel mit den „Nazis“ von der israelischen Polizei. Dass extreme Antizionisten die Außenwahrnehmung von Mea Shearim bestimmen, gefällt beileibe nicht allen im Quartier. ­

Graffiti übermalen

Tenenbom berichtet über Anwohner, die regelmäßig propalästinensische Graffiti übermalen. Es bleibt der Widerspruch, dass es zwar alte Vorbehalte gegen eine säkulare Staatlichkeit gibt, es ohne die Zionisten aber keinen rettenden Hafen für die aus Osteuropa stammenden charedischen Gemeinden gegeben hätte. Kein Wunder also, dass ein „antizionistischer“ Rebbe mit dem Bekenntnis überrascht: „Ich bin der größte Zionist auf Erden.“

Anders als bei seinen früheren Reportagen wie „Allein unter Deutschen“ oder „Allein unter Juden“, für die Tenenbom teils unter falscher Identität unterwegs war, hat er diesmal auf jegliche Tarnung verzichtet. Gerade ihm als Jiddisch sprechendem Urenkel des Radzyńer Rebbe öffneten sich die Türen Mea Shearims.

Damit gerät seine Entdeckungsreise auch zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie: „Die Charedim sind meine Familie, ob ich will oder nicht, ob sie wollen oder nicht.“ Vielleicht ist das der Grund, weshalb sein neuer Buchtitel gerade nicht lautet: Allein unter Ultraorthodoxen. Allein dürfte Tenenbom sich keine Sekunde gefühlt haben.

Am 7. Oktober, dem Tag des antisemitischen Massakers, weilte Tenenbom wieder in Mea Shearim. Der Angriff traf besonders die Kibbuzim im Süden Israels, Hochburgen der säkularen Linken. Isaac Deutscher schrieb einst: „Kibbuz und Mea Shearim sind die beiden Gegenpole im geistigen Leben Israels.“

Seit dem 7. Oktober verliert diese Sentenz möglicherweise an Erklärungskraft. Nachdem die Bewohner Mea Shearims von den Gräueltaten der Hamas erfahren hatten, so berichtete es Tenenbom der Jüdischen Allgemeinen, „waren sie mit Lautsprechern auf Autos und Motorrädern unterwegs und riefen die Menschen zum Gebet für die Rettung der Nation Israel auf. Ja, der ganze Antizionismus verschwand irgendwie in diesem Moment.“

Ihre erste Reaktion war: „Dass sie uns das antun, was sie unseren Großeltern in Berlin und in Warschau angetan haben.“ Tausende Charedim haben sich daraufhin freiwillig zur Landesverteidigung gemeldet. Tenenboms Buch wird damit zur letzten Momentaufnahme dieses wesentlichen Teils der israelischen Gesellschaft vor der Zäsur des 7. Oktobers.

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2 Kommentare

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  • Guter Artikel !

    Aber man läuft hier schnell Gefahr mal wieder alle über einen Kamm zu scheren,



    denn "DIE" Charedim gibt es nicht, sie wissen vermutlich nicht mal selbst wie viele



    Strömungen es unter ihnen gibt.

    Da ist alles dabei, von der Neturei Karta die am liebsten in den Iran auswandern



    will, weil sie den Staat Israel ablehnen, er kann nur vom Messias wieder erschaffen



    werden über absolut humorlose Typen die krampfhaft jedes Lächeln unterdrücken



    und den Tag nur mit Lesen der heiligen Schriften verbringen, dann gibt es lebensfrohe



    Leute mit Humor ( Aufpassen viele Witze wären hier ein Fall für den Verfassungsschutz ) die beim jüdischen Karneval jeden Ballermann Touristen unter den Tisch saufen würden, bis hin Gruppen die eine gewisse Anhänglichkeit an den



    Tag legen wenn du dich als Deutscher zu erkennen gibst, weil "wir Deutsche" ja von



    Gott auserwählt wurden die Sünder zu bestrafen.

    Nur so mal als kurze Auswahl über die krassesten Blüten die man dort findet.

    Am besten nicht weiter damit befassen ( Kopfschmerzgefahr ) und darüber erleichtert



    sein das keine Gruppierung unter Nichtjuden missioniert und sie auch größtenteils



    Gewaltfrei sind ( was wiederum nur Nichtjuden betrifft.

    • @flaviussilva:

      Ich schließe mich an.

      Ich lese Tenenboms Bücher gern. Er schreibt sehr differenziert und geht immer nah ran.

      Ganz anders als die daueraufgeregte Deborah Feldman.