Neues Boulevardtheater in Woltmershausen: Überraschung!

Die Entscheidung, eine Dependance des Weyher Theaters im geplanten Bremer Tabakquartier zu eröffnen, hat Bremens Kulturszene irritiert.

Szene aus einem Boulevardtheaterstück, in der vier Männer um einen Tisch sitzen

Witzischkeit kennt kein Pardon: Das Weyher Theater hat sich auf den Boulevard spezialisiert Foto: Oliver Berkhausen

BREMEN taz | Er blieb aus, der Orkan der Begeisterung, als das Immobilienunternehmen Justus Grosse verkündete, das Weyher Theater werde eine Dependance im zu entwickelnden Tabakquartier in Woltmershausen eröffnen. Ein 385-Plätze-Theater will der Investor schlüsselfertig übergeben, die geschätzten neun Millionen Euro für den Umbau der Lagerhalle auf dem Areal der einstigen Zigarettenfabrik also selbst tragen. „Wir unterschreiben einen langjährigen Mietvertrag“, bestätigt der Weyher-Intendant Kay Kruppa.

Da der Bauherr und Bremens Kultursenator bereits im Dezember den Bau eines 400-Plätze-Theaters für die freie Szene im Tabakquartier verkündet hatten, ging allerdings ein Rauschen der Irritation durch die kulturinteressierte Szene Bremens. Kann es sein, dass ein vornehmlich kommerziell orientiertes Boulevardtheater das Forum für die eher nach künstlerischen Kriterien arbeitenden Theatermacher der Stadt ersetzt? „Nein, das hat nichts miteinander zu tun, es wird ein Zentrum der freien Künste entstehen und voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2021 eröffnen“, beruhigt Kulturbehördensprecherin Alexandra Albrecht.

Mit der Finanzierung sehe es dank Sponsorenzusagen sehr gut aus. Tobias Pflug, Leiter des Theaters Schlachthof und Vorstandsmitglied des Landesverbandes für darstellende Künste in Bremen, hat in der kulturbehördlichen „Denkzelle Infrastruktur“ mitgegrübelt und bestätigt: „Das Boulevardtheater nimmt uns weder Raum noch Geld. Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz hat uns gegenüber alle Sorgen entkräftet.“

Allerdings: „Ein eigenes Theater wird es im Zentrum der freien Künste nicht geben“, das stellt Joachim Linnemann, geschäftsführender Gesellschafter bei Justus Grosse, klar. Vielleicht könne aber die neue Probebühne der Bremer Philharmoniker, die diese 2024 direkt neben dem Boulevardtheater beziehen sollen, auch für Theater genutzt werden.

Alleine entschieden

Weil die Weyher die Halle 1 nutzen werden, zögen die Bremer Künstler nun in den denkmalgeschützt historischen Fabrikbereich auf 4.000 Quadratmeter gleich gegenüber ein, erklärt Linnemann: „Im Gegensatz zur riesigen Halle ist das auch der bessere, da kleinteiliger zu gestaltende Ort, die Künstler haben ja den Bedarf an vielen Räumen angemeldet.“ Eine Eröffnung könne er sich 2023 vorstellen. Sein Unternehmen werde wie für die Weyher auch für die Bremer Künstler die Immobile umbauen, dann an die Kulturbehörde vermieten, die an die Nutzer weitervermiete.

Warum das bisher nicht kommuniziert wurde? Weil die Entscheidung fürs Weyher Theater ein Alleingang war und Bremens Kulturpolitiker völlig überrascht hat. Auch den Weyher-Intendanten Kruppa: „Wir hatten das Tabakquartier zum Expandieren nicht auf dem Plan. Justus-Grosse-Geschäftsführer Clemens Paul ist Fan von uns, hat uns angesprochen, dann ging alles ganz schnell.“

Begeistert darüber zeigte sich vor allem Kultursenator Andreas Bovenschulte, „grandios“ sei all das, „ein guter Beitrag zum kulturellen Leben in Bremen“. Obwohl er als ehemaliger Bürgermeister Weyhes wissen sollte, dass die dortige Bühne für ein handwerklich solides, aber biederes bis derbes Lach­animationstheater steht. Den Eindruck, künstlerisch geistvoll das kulturelle Leben bereichern zu wollen, vermittelt sie nicht.

Wenig angetan ist daher Theater-Bremen-Intendant Michael Börgerding: „Das Bremer Boulevardtheater hat jedenfalls nichts mit der lokalen Freien Szene zu tun. Es wird vermutlich sein Publikum finden. Uns wird es nicht wehtun, aber das Theaterschiff, das Packhaustheater, das Fritz, das Metropol Theater oder das GOP werden das anders sehen.“

Knut Schakinnis hat zumindest keine Angst. Er verantwortet die nostalgischen Schlagertheaterabende auf dem Theaterschiff und bedient im Packhaustheater mit Stücken wie „Triebe Tratsch & Trockenhaube – jetzt wird zurückgeföhnt“ ein ähnliches Schwank­niveau wie die Weyher-Kollegen, bei denen Stücke „Ab heute bin ich Jungfrau“ und „Männer allein zu Haus“ betitelt sind. „Aber Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Schakinnis, „ich habe das Waldau-Theater überlebt, auch das neu eröffnete Fritz und GOP und werde auch das Boulevardtheater überleben. Unser Publikum mag in Teilen das gleiche sein, aber ich schätze, dass es genau so häufig wie bisher zu uns kommt und zusätzlich Angebote in Woltmershausen nutzen wird.“

Das Vorsprechen läuft

Kruppa ist sehr optimistisch. Am Weyher Marktplatz ist sein Haus seit 20 Jahren ein Publikumsmagnet. „Wenn man bedenkt, dass wir dort jährlich 80.000 Besucher haben, in Weyhe aber nur 32.000 Menschen wohnen, ist schnell auszurechnen, wie viel Publikum wir in Bremen erreichen können. Der Hansestadt fehlt ein Haus für den klassischen Boulevardbereich.“ In Großstädten wie Dresden existierten auskömmlich sogar mehrere Häuser.

Erste Bremer Premiere ist für September 2021 geplant. Was? Das verrät Kruppa nicht. Er ist Regisseur, Schauspieler, Sänger und Autor. Wie im Stammhaus will er mit dem Kollegen Frank Pinkus eigene Stücke ­schreiben, etwa eines über Pusdorf, hat aber vor allem Klassiker von Ray Cooney, Neil Simon, Ken Ludwig im Fokus. Derzeit läuft das Vorsprechen für das Bremer Ensemble. 15 Schauspieler sollen engagiert werden. 20 sind es derzeit in Weyhe – und die sollen dort bleiben. Auch an einen Austausch von Stücken sei nicht gedacht, so Kruppa.

Und was erhofft sich die freie Bremer Szene für ihren zentralen Anlaufpunkt? „Der Raumbedarf von Künstlern ist spartenübergreifend immens“, so Tobias Pflug. Entstehen müssten Übungs- und Aufnahmeräume für Musiker, Ateliers für bildende Künstler und Probensäle für Theaterleute.

Lebendigkeit im Sinne der Vermarktung

Es sollte keinen künstlerischen Leiter geben, der Ästhetiken präferiert oder ausschließt. Mit Verwaltungskräften, Koordinatoren und einem „Vergabebeirat“, so Emigholz im Dezember, könnte ein Haus entstehen, das ganz unterschiedlichen Akteuren offen steht. Um die Arbeit zu erleichtern, so Pflugs Vision, sollen sich auch freie Werkstätten ansiedeln; ein Maschinenpark für Veranstaltungstechnik und ein offener Kostümfundus müsste aufgebaut werden.

Dass Gewinnmaximierung bei der Ansiedlung freier Kunst und boulevardesker Unterhaltung beim Quartiersentwickler keine Rolle spielt, habe auch nachvollziehbar pragmatische Gründe, meint Pflug. Um möglichst hohe Miet- und Kaufpreise mit Immobilien erzielen zu können, darf das Tabakquartier kein seelenloses Viertel sein, sondern muss mit urbaner Lebendigkeit prunken. Linnemann peilt den Bau von etwa 1.500 Wohnungen an. Neben Büro- und Gewerbeflächen sind ein Hotel, Restaurants, Party- und Sportmöglichkeiten sowie eine Kita eingeplant.

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