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Neues Album von Tyler, the CreatorTanzen statt Filmen

Tyler, the Creator bricht meist mit dem Gewohnten. Auf seinem neuen Album „Don’t Tap the Glass“ fordert er zum Tanzen auf.

Tyler, the Creator Foto: Sony Music

Konzerte und Zoos haben im 21. Jahrhundert mehr gemeinsam als man denkt. Ob ein Gorilla träge im Gehege sitzt, eine Schlange im Terrarium eine Maus verschlingt oder ein Star sich auf der Bühne abrackert, ist erst mal egal. Hauptsache, man kann mit dem Smartphone draufhalten, um alles zu dokumentieren.

Was den einen das blöde An-die-Scheibe-klopfen im Zoo, ist den anderen das aufdringliche Ins-Gesicht-Filmen. Bleibt die Frage: Was dagegen tun? Und würde sich, Stichwort Maus-verschlingen, 2025 noch jemand trauen, einer Fledermaus bei einem Konzert den Kopf abzubeißen wie Ozzy Osbourne (Gott habe ihn selig).

Wahrscheinlich nicht. Erstens, weil es makaber ist und zweitens, weil es noch vor Konzert­ende viral gehen würde und dann niemand mehr über die Musik spricht. Der kalifornische Künstler Tyler, the Creator, Skater, Stil­ikone, Rowdie und vieles mehr, hat schon mal eine riesige Schabe verschlungen. Das ist bestens dokumentiert im Musikvideo zu seinem Song „Yonkers“ – und mittlerweile 14 Jahre her.

Damals war er Anfang 20 und ihm und seinen Freunden vom HipHop-Kollektiv Odd Future ging es vor allem um den größtmöglichen Schock. Auch vor der Kamera. Seitdem hat sich vieles verändert am Auftreten, der Musik und den Interessen von Tyler, the Creator. Seine bis ins tiefste Innere reichenden Selbstreflexionen sind untermalt mit komplexen Soundgebilden voller Soul- und Funk-Verweise.

Das Album

Tyler, the Creator: „Don’t tap the Glass“ (Columbia/Sony)

Er ist einer der wenigen jüngeren Rapper, die das Medium Album noch ernst nehmen. Eigentlich. Doch dann ist gerade ohne Ankündigung „Don’t Tap the Glass“ erschienen, sein achtes Werk. Es ist ein erneuter Bruch mit dem von ihm Gewohnten und das hat auch mit Enttäuschung zu tun.

Er habe, schreibt Tyler in einem mit dem Album veröffentlichten Post im Netz, seine Freunde gefragt, warum sie nicht mehr in der Öffentlichkeit tanzen. Die Antwort: Sie haben Angst davor, gefilmt und so vielleicht zum Meme zu werden. „Don’t Tap the Glass“ ist ein Aufbegehren gegen diese Art von Selbstzensur.

Beipackzettel zur Musik

Damit das auch wirklich aufgeht, beginnt der Auftaktsong „Big Poe“ mit einer blechernen Stimme, die drei Regeln aufstellt: 1. „Body movement, no sitting still“, 2. „Only speak in glory, leave your baggage at home“ und 3. „Don’t tap the glass“. Man kann das als Beipackzettel zur Musik verstehen, die wie ein angstlösendes Medikament funktioniert.

„Burn this shit down“ spuckt Tyler einem kurz darauf mit aufgekratzter Stimme entgegen, während im Hintergrund ein Beat läuft, der bei jeder Blockparty funktionieren könnte. Wir haben es hier mit einem ekstatischen Dance-Album zu tun, das einerseits Wut kanalisiert und andererseits Schamgrenzen verschiebt. Musik, die wirkt wie ein Mischkonsum aus MDMA und Xanax.

Tyler, the Creator, der die meisten Songs komponiert und auch selbst produziert hat, bedient sich hier inhaltlich und soundästhetisch an Genres wie Funk und an Party-Rap-Evergreens wie „Jump“ von Kriss Kross und wirft all das in einen Häcksler.

Heraus kommt Musik, die unbedingt Bewegung provoziert, aus der aber immer eine Rest-Verschrobenheit mitschwingt. Schön ist, dass das Album alle Phasen einer gelungenen Party abdeckt, inklusive des latent depressiven „Don’t you worry Baby“, dem perfekten Rausschmeißer.

Und was erzählt Tyler auf der Reimebene? Sagen wir mal so: Er lässt die Musik für sich sprechen, rumpelt und pöbelt ansonsten vor allem vor sich hin. Er ist mit seinem Album dadurch Party-Rap-Legenden wie Sugar Hill Gang und 2 Live Crew näher als den großen Storytellern. „Don’t Tap the Glass“ ist die perfekte Pose in Tylers Œuvre, ein wirkungsvoller Zwischenruf. Das beste inhaltliche Statement ist hier die Gesamtproduktion. Wer dazu nicht tanzt, sondern nur filmt, wird diese Musik nie zu fassen bekommen.

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