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Neues Album von NichtseattleDoppelt gegen Windmühlen

Die Berliner Musikerin Nichtseattle hat mit „Kommunistenlibido“ ein elegantes wie abgründiges Indie-Album herausgebracht.

Schlaue Texte, knisternde Musik: Nichtseattle Foto: Noel Richter

Die Vulgärpoesie, wie sie seit einiger Zeit in den vor allem von Jugendlichen genutzten sozialen Medien TikTok und Instagram auftaucht, aber auch bei Poetry Slams dargeboten wird, könnte einem eigentlich egal sein. Diese Nabelschau ist so medioker und trieft vor Pseudotiefsinnigkeit, dass sie gar nicht weiter beachtenswert erscheint. Leider hat die Sache einen Pferdefuß: Jene Poesie bekommt überall Airplay.

So kann noch die untalentierteste Ba­nalphi­lo­so­ph*in einen Vertrag bei einem Buchverlag oder Plattenlabel ihr Eigen nennen. Interessanten Künstlerinnen, wie der Berlinerin Katharina Kollmann, wird das Leben dadurch künstlich schwer gemacht. Kämpft sie doch unter ihrem neuen Pseudonym Nichtseattle gleich doppelt gegen Windmühlen: Einerseits wendet sich Kollmanns Musik gegen generelle Denkfaulheit, andererseits gegen vermeintliche Reflexion, die sich als bloße Farce herausstellt.

Deswegen muss es an dieser Stelle ganz deutlich heißen: „Kommunistenlibido“, das neue, zweite Album von Kollmann unter ihrem Alias Nichtseattle, ist von dem Geplapper einer Rupi Kaur so weit entfernt wie der Pluto von der Sonne. In dem ganzen Platz dazwischen hat dieses Werk mit dem hingebungswürdig komischen Titel viel Raum, um sich auszuleben.

Ambitionierte Flügelhörner

Nichtseattle

Nichtseattle: „Kommunistenlibido“ (Staatsakt/Bertus/Zebralution)

Diesen Raum nutzt Kollmann – die Berlinerin kennen einige auch als Lake Felix – für einen unfassbar eleganten und zugleich abgründigen Indiesound. Die 36-Jährige verbindet im richtigen Maße komplexes Songwriting, ambitionierte Gitarrenriffs und Flügelhörner.

An dem Songwriting werden sich die Geister scheiden. Nichtseattle ist eine Reverenz an eine der ersten Singles der Band Tocotronic, die im Popmainstream noch immer als Referenz für intelligente Texte gilt. Kollmann schlägt als Nichtseattle derweil andere Haken als Toco-Sänger Dirk von Lowtzow.

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Viel eher erinnert „Kommunistenlibido“ an Vor­gän­ge­r*in­nen wie die Österreicherin Eva Jantschitsch alias Gustav oder auch den Peter Licht seines Albums „Lieder vom Ende des Kapitalismus“. Auch bei Nichtseattle klingt alles gekünstelt und artifiziell, gleichzeitig intim, nah und dadurch eben nachvollziehbar: Die große Parole und das absolut Persönliche.

Der eigene Kosmos als Experimentalbühne

„Kommunistenlibido“ ist allerdings keine Befindlichkeitsmusik; ob Trauer, Liebeskummer, angehende Liebe oder nur allgemeine Verwirrung packt die Künstlerin als Spezielles und Allgemeines an. Die Kollmann’sche Relativitätstheorie ist derweil eine, die noch den stärksten Affekt in Relation zur Gesamtsituation zu setzen weiß. So kreisen ihre Icher­zäh­le­r*in­nen zwar immer auch um sich selbst, der Kosmos als Bühne für den großen und kleinen Kummer wird dennoch nie ausgeblendet.

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Die Idee

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Anteil daran hat ganz sicher der Kölner Produzent Olaf Opal, dem mit seinem Mix die Quadratur des Kreises gelungen ist: Nah und fern, intim und distanziert. In diesem Klangkosmos, der durch Frieda Gaweda am bereits erwähnten Flügelhorn und Sebastian Alwin am Schlagzeug mitgeprägt wird, haben die verklausulierten, kodierten Texte von Kollmann genügend Halt zum Wirken.

In „Nicht Heute“ – von Alwin mit fast schon mittelalterlich klingenden Trommeln umrahmt – häuft Kollmann gleich so viele Enjambements aneinander, dass sich der Sinn und die Sprechpositionen erst beim wiederholten Hören allmählich erschließen. Im vielfach geschichteten Gesang, selbst harmonisierend oder auch mal textlich überlagernd, entsteht eine unheimliche Spannung.

Also müssen die Curriculae noch mal neu geschrieben werden: Julia Engelmann raus, Nichtseattle rein. Bis das passiert, darf man sich über die durchaus hemdsärmeligen Videos freuen, die die Songs des tollen Albums „Kommunistenlibido“ bebildern.

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