Neues Album von Kanye West: Vor allem ein Publicity-Stunt
Zwischen Twittershitstorm und Erschöpfungssyndrom: HipHop-Superstar Kanye West hat sein neues Album „Ye“ veröffentlicht.
![Kanye West bei einem Konzert Kanye West bei einem Konzert](https://taz.de/picture/2768803/14/Kanye_West.jpeg)
„HipHop ist die erste Kunstform, die von freien schwarzen Menschen erschaffen wurde. Niemand hat dies mehr für sich genutzt als Kanye West“, erzählte der Comedian Chris Rock vor einigen Tagen vor Journalisten und Fans des HipHop-Superstars aus Chicago.
Der hatte zur Promoparty in Wyoming gebeten, um bei Minusgraden die Veröffentlichung seines neuen Album „Ye“ zu feiern. Ein Publicity-Stunt unter vielen. Im April hatte sich Kanye West auf Twitter in einen Rant gesteigert, um dann ein Selfie zu posten, auf dem er eine rote, von Donald Trump signierte Kappe trägt. Schließlich behauptete der 40-Jährige gar, Schwarze hätten der Sklaverei aus freien Stücken zugestimmt. US-Autor Ta-Nehisi Coates warf West vor, die historische Erfahrung des schwarzen Amerikas zu negieren und eine von der Geschichte unbelastete, weiße Form von Freiheit anzustreben.
Kanye West, Sohn eines Black-Panther-Aktivisten, fand sich in der Rolle des Verräters an der emanzipatorischen Sache wieder. „Hört euch das Album ohne Vorurteile an“, schloss Chris Rock deshalb seine Rede in Wyoming.
Machen wir. An der Oberfläche bedient „Ye“ den Skandal. West verzichtet zwar darauf, den Namen Trump zu droppen, dafür plaudert er Sexfantasien mit dem Pornostar Stormy Daniels aus. Kurz danach erklärt er, wie seine Tochter ihn dazu gebracht habe, Frauen zu respektieren. Tiefpunkt des Albums ist aber eine Serie von Umwertungen: HipHop-Mogul Russell Simmons, dem mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorwerfen, wird von West zum #MeToo-Opfer stilisiert. Auf dem Cover des Albums verwandelt West seine Depression zur Schlüsselqualifikation: „I hate being bipolar, it’s awesome.“ Eine Künstlerpersönlichkeit zwischen Burnout und manischer Schaffenskraft zu konstruieren, ist nicht besonders originell. Aber West verkörpert sie bis zur Schmerzgrenze der Authentizität. 2016 musste er eine Tournee wegen psychischen Problemen und akuter Erschöpfung absagen.
Ästhetik der Depression
„Ye“ setzt dies fort. Das Album zeigt eine Ästhetik der Depression, die zuerst eine Depression des Ästhetischen ist: dreißig Minuten und sieben Stücke, eher Notiz- als Tagebucheinträge. Die ausladenden Refrains, Wests Markenzeichen, fehlen, die Tracks bleiben Skizzen. Auch das Sounddesign hält keine Überraschungen bereit. Nur einmal hat sich sein Produzent Francis and the Lights bei einem Stück des ägyptischen Elektronikers Kareem Lotfy bedient, worauf dessen Label PAN mit einer Copyright-Klage reagieren will. Business as usual im HipHop-Superstar-Dasein.
Tragisch ist, dass sich Kanye West auf „Ye“ der depressiven Alternativlosigkeit fügt. Vor zehn Jahren hat er „808 & Heartbreaks“ veröffentlicht, sein erstes Bekenntnis zu Depression und Melancholie. Es war ein Aufbruch: Mit Autotune und Synthesizer ließ er den Zwang zur autobiografischen Realness von Gangsta-Rap und Backpacker-Alternative-HipHop hinter sich und wurde so zur Blaupause all derjenigen Rapper, die sich heute mit perfekt abgestimmter Kombination aus Skinny-Jeans und Premium-Sneakern durch das von Social Media dominierte Rap-Game bewegen. Da will auch „Ye“ unbedingt weiter mitspielen. Aber dieses Game hat schon längst einen neuen Zwang zum Realismus aus Verausgabung, Bekenntnisprosa und quantitativem Feedback hervorgebracht, von dem eine Folge die steigende Zahl depressiver Erkrankungen ist.
Anstatt die eigene Unfreiheit zu akzeptieren, begreift sich West als Maverick, als Einzelgänger, und erzielt genau den Effekt, der die anderen selbststilisierten Freiheitskämpfer zwischen Feuilleton und FDP-Vorsitz kennzeichnet: Es ist stinklangweilig, ihnen zuzuhören.
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