Neues Album von Haftbefehl: Gute Beats schon verbraten
Der Offenbacher Gangstarapper Haftbefehl ist im crossmedialen Powerplay. Aber hat es sein neues Werk „Das schwarze Album“ auch verdient?
Ein Haftbefehl-Bingo gibt es noch nicht; es zu erfinden wäre eine gute Idee. Wenn der Offenbacher Rapper Neues veröffentlicht, rauscht es im Blätterwald: Die Süddeutsche kommt als Erstes vorbei und berichtet vorab, Spiegel und Arte ziehen nach. Amazon-Prime haut eine Dokumentation mit Lobhudeleien von Wichtikus Moritz von Uslar raus. Grund für den Rummel ist „Das schwarze Album“, Nachfolgewerk von “Das weiße Album“ von 2020. In Wahrheit ist es aber erst mal egal, was genau Haftbefehl veröffentlicht, die Medien sind eh elektrisiert.
Alle wollen ihn vorzeigen. Und er kooperiert zwar auch, richtig Lust darauf hat er nicht. Bleibt distanziert, unnahbar, abwesend auf Social Media und in TV-Beiträgen. Gerade diese Unnahbarkeit scheint den Wunsch auf eine Nacherzählung seiner Geschichte und den Wille zur Interpretation noch zu verstärken. Nun beginnt das Haftbefehl-Bingo. Folgende Punkte gilt es abzuhaken, wenn Medien über Haftbefehl schreiben: Hat Sprache bereichert (Jugendwort Babo). War Drogendealer, floh in die Türkei, wurde zum Star (Erfolgsgeschichte). Vom Antisemitismus vergangener Tage hat er sich distanziert (Läuterung). Aggression und Schmerz in den Texten (Feinfühligkeit). Nacherzählung vom Alltag in marginalisierten Vierteln (Blockpanorama).
Misogyne Textpassagen
All diese Plotpoints machen den 35-jährigen Haftbefehl zur prägendsten deutschen Straßenrapper-Gestalt. Jedoch: „Das schwarze Album“ fällt nicht so gut aus wie erwartet. Der viel beschworene Mix aus Sprache und Slang ist weniger herauszuhören als früher. Durch die klare Artikulation kommen leider auch misogyne Passagen zum Vorschein. Die Produktion ist auf hohem Niveau, plätschert aber immer wieder lieblos dahin, als wären die besseren Beats bereits für „Das weiße Album“ verbraten worden.
Haftbefehl: „Das schwarze Album“ (Universal)
Was Haftbefehl am besten kann, verballert er bereits in den ersten fünf Songs. In „Kaputte Aufzüge“ inszeniert er sich als nüchterner Beobachter, der mittels Sprechgesang Leid vertont. Mit „Wieder am Block“ und „Crackküche“ mimt er den wütenden, verzweifelten Angeber. In diesen Songs verschmelzen seine charakteristische Narration mit dem erlebnisorientierten Sound. Danach wird es textlich teils banal und musikalisch richtig grausig, etwa wenn Gastkünstler Schmyt in Deutschpop-Manier abjohlt und lahme Aufpeitscherparts einrappt. Vor allem die Gastbeiträge sind es, die das Album schwächen.
Relevant bleibt Haftbefehls Musik trotzdem. Das beweisen die gelungenen Songs und die omnipräsenten Themen aus dem Haftbefehl-Bingo. Nur: „Das schwarze Album“ wird auf der To-do-Liste vermutlich in Zukunft fehlen. Es gibt Interessanteres zu besprechen.
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