Neues Album von Fontaines D.C.: Ich fühl nix mehr, tut echt gut

Nietzsche? Kafka! Hauptsache, Postrock. „Romance“, das sensationelle neue Album der Iren Fontaines D.C., muckt gegen die innere Vergletscherung auf.

Auf der Treppe zum Erfolg: Fontaines D.C. in London Foto: Simon Wheatley

„Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat doch so etwas gesagt wie: Kunst sollte in der Lage sein, den gefrorenen See in unserem Inneren zu schmelzen. Wir alle haben diese Welt in uns, aber sie erfriert, wenn wir sie nicht nähren. Und wenn wir diesen See aufbrechen, sehen wir erst, was da ist, und sind mehr als nur ein Teil der physischen Welt.“

Na gut, Carlos O’Connell, Gitarrist der irischen Postrock-Band Fontaines D.C., liegt hier ein bisschen falsch. Das Zitat stammt von Franz Kafka, er sprach von Büchern, von einer Axt und einem gefrorenen Meer in uns. Aber egal: O’Connell glaubt an die Kraft des Rock ’n’ Roll! Und erklärt im taz-Interview, warum das neue Album seiner Band „Romance“ heißt:

„Für mich bedeutet Rock ’n’ Roll, das System infrage zu stellen. Aber Rockmusik ist keine Alternative. Du kannst singen ‚Ich hasse das System‘, aber dann frage ich dich: Was bietest du mir stattdessen an? Anarchie!? Nein, Rock ’n’ Roll ist deine Karriere, und darum bist du ein netter Kerl und veränderst gar nichts.“

Genau hinsehen

Deshalb heißt ihr Album „Romance“, „weil die Musik eine andere Perspektive anbieten will: Sich selbst zu erlauben, mehr in den Dingen zu sehen. Vieles erscheint so flach, aber wenn wir genauer hinsehen, können wir überall eine Tiefe entdecken. Diese Trockenblumen, die hier auf dem Tisch stehen: Sie könnten für jemanden ein Grund sein, weiterzuleben. Solche Gründe kommen aus uns heraus, und wir wenden sie auf die Welt an. Aber diese Fähigkeit verlieren wir immer mehr, weil alles so strukturiert ist, alle Wege, unsere Lebenswege, sind so vorgegeben.“

Fontaines D.C.: „Romance“ (XL Recordings/Beggars/Indigo)

Das Loblied von der befreienden Kraft der Musik. Es ist genauso wahr wie verlogen. Musik kann uns ebenso inspirieren und vielleicht sogar aus inneren Zwängen befreien, wie sie uns ein billiger Ersatz für echte Freiheit sein kann.

Und trotzdem haben diese Worte Gewicht, denn sie fallen im Interview zu einer Sensation von einem Album, wie es im Post-Punk lange nicht mehr zu hören war. Elf Songs sind auf dem neuen Werk der aus Dublin stammenden Band Fontaines D.C. (D.C. steht für Dublin City, inzwischen haben aber alle Bandmitglieder Irland verlassen), und keiner dieser Songs schwächelt auch nur ein bisschen.

Düster schwelender Auftakt

Beginnend mit dem düster schwelenden Auftakt „Romance“, der mit seiner knapp zweieinhalb Minuten Dauer eher ein Intro als ein eigener Song ist, bis zum finalen „Fa­vou­rite“, das so sonnig auf seinen E-Gitarren dahinsurft, dass es schon manchem zum Sommerhit geworden sein dürfte, seit es im Juni als Single erschienen ist. Dabei ist es eigentlich ein bitterer Abschiedssong, aber vieles auf diesem Album ist nicht das, was es zuerst zu sein scheint.

„Romance“ ist das erste Album, das die fünfköpfige Band nicht komplett im Proberaum fertiggestellt hat. 80 Prozent, erklärt Schlagzeuger Tom Coll, seien fertig gewesen, als sie sich mit Produzent James Ford (Depeche Mode, Pet Shop Boys) zusammengesetzt hätten, innerlich bangend, was da auf sie zukäme.

„Es hatte etwas Beängstigendes für uns, nicht mehr die volle Kontrolle über Musik zu haben. James Ford hat so eine Keyboard-App auf dem Telefon, damit hat er dauernd Melodien komponiert und uns dann vorgesungen. Er hat uns ständig dazu inspiriert, mit Melodien zu spielen.“

Händchen für Arrangements

Es war die Arbeit von Produzentengenie Ford, die diese Songs so zum Abheben gebracht hat, und das hat er geschafft, ohne ihnen ihre Bedeutungsschwere auszutreiben. Das dringliche Songwriting der Band (nach eigener Auskunft wurden die Songs jeweils von verschiedenen Bandmitgliedern komponiert, während sie früher eher gemeinsam beim Jammen entstanden sind), gepaart mit dem Soundgespür von James Ford und einem fantastischen Händchen für Arrangements.

Was hier vor allem heißt: Pausensetzung, Instrumente in der je richtigen Lautstärke zu schichten und gelegentlich ein Piano einzustreuen. Das ist es, was den Zauber dieser elf Songs ausmacht, die beim Hören direkt in die Blutbahn gehen und wohltuend sind wie eine gute Droge.

Es ist Musik, die keiner Ergänzung mehr bedarf, die alles mitbringt, aber auch nicht zu viel, wie die großartig simplen Zeilen der melancholischen Ballade „In The Modern World“: „In the modern world, I don’t feel anything, and I don’t feel bad“. Alles gesagt. Oder auch nichts. Es kommt auf die „Romance“ an, darauf, was wir daraus machen.

Zeitlosigkeit als Waffe

Auffällig ist dabei, wie zeitlos das alles klingt, im buchstäblichen Sinne: Dieses Album hätte irgendwann in den letzten, sagen wir, 30 Jahren entstanden sein können. „Bug“ könnte fast ein Oasis-Song sein, es bräuchte nur ein kleines Drehen am Sound der Gitarre und einen anderen Sänger. „Fa­vou­rite“ klingt wie ein verschollener Song einer US-Westküsten-Skatepunkband.

Wie viel Fontaines D.C. ist hier überhaupt noch drin? Es war der Wunsch der Band, nicht mehr über Irland zu singen oder darüber, wie es ist, als Ire in London zu leben. Endlich universelle Musik zu machen, an die je­de*r anknüpfen kann. Es ist ihnen mehr als gelungen, und Fontaines D.C. haben dabei sogar die Wut und die Verzweiflung mitgenommen, für die sie bekannt sind.

Aber diese Gefühle klingen jetzt nicht mehr roh und schmerzhaft. Sie fühlen sich immer noch existenziell an, aber sie kommen nicht mehr brüsk und direkt daher wie sogar noch auf dem letzten Album „Skinty Fia“, das schon um Welten poppiger klang als das wüste Debütalbum „Dogrel“ von 2019.

Die letzten Ritzen ölen

„Romance“ ist ein raffiniertes Meisterwerk, das aber die Intimität und Verletzlichkeit aufgibt, für die zweifellos viele diese Band geliebt haben. Ein Stück exquisiter musikalischer Designerware, das bis in die letzte Ritze geölt und gefeilt ist und darum abgeht wie Schmidts Katze.

Das ist Musik, die auf großen Bühnen stattfinden und uns nicht mehr aus dem Kopf gehen wird, weil sie uns selbst in der Shoppingmall noch in die Ohren gespült werden wird. Was allerdings die schlechteste Voraussetzung ist, um irgendein Eis in uns zu brechen oder zu schmelzen.

Dennoch, „Romance“ ist ein Meisterwerk, das uns große Freude schenken wird, und vielleicht sogar den einen oder anderen Grund, weiterzuleben. Aber was hat Kafka geschrieben, in seinem Brief an Oskar Pollak: „Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? […] Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, […] wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“

Freuen wir uns jetzt auf die große „Romance“-Party. Aber wenn wir damit durch sind, bitte wieder die ersten drei Alben von Fontaines D.C. hören. Deren Songs haben die stärkere Kraft, an dem zu rühren, was in uns gefroren ist.

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