Neues Album von Anohni: Zerrissene Gegenwart

Empört, wütend und sensibel auf die Weltlage schauen: Antony Hegarty heißt nun Anohni und ihr Album heißt programmatisch „Hopelessness“.

eine Frau, fotografiert mit einem Rotfilter

Wütend wegen der Erderwärmung: Anohni alias Antony Hegarty Foto: Alice O'Malley

Das Ernsthafte ins Frivole zu rücken, war einer der grundlegenden Gedanken, die Susan Sontag 1964 in ihren Anmerkungen für die Kunst und das Lebensgefühl des Camp entwickelt hat. Die US-amerikanische Künstlerin Anohni, vormals Antony Hegarty, geht weit darüber hinaus. Ihre Musik ist Wucht, Theatralik, Ironie, Zuckersüße. Und doch steckt in all dem Überschwang, so wie Sontag es für Camp bemerkte, purer Ernst.

„4 Degrees“ lautet der lapidare Titel eines ihrer Songs, sie singt „Es sind nur vier Grad“. Bizarrerien wie „Ich will die Fische im Meer mit dem Bauch nach oben schwimmen sehen“ schließen sich der Strophe an, der Song handelt von den realen 4 Grad Erderwärmung. Der Gesang bleibt ungreifbar, man weiß nicht, ob Mann oder Frau, wird bald von einem bombastischen Orchester überwältigt und von zittrigen Synthesizergeweben umschlossen.

Der Glasgower Elektroproduzent Hudson Mohawke und der New Yorker Avantgarde-Schrauber Oneohtrix Point Never erschaffen den Sound, die Stimme kommt von Anohni. Eine Sie, die nun in Erscheinung tritt und die in den vergangenen Jahren mit Antony and the Johnsons reüssierte. Vergangene Woche also erschien „Hopelessness“ – das erste Album als Anohni.

Von Ambivalenz geprägt

Von Ambivalenz war die Künstlerin schon immer geprägt. Beginnend mit ihrer eigenwilligen Stimme, die fragil zittert und bebt, dabei aber so tiefsinnig erscheint und gedrückt aus der Kehle kommt. Lou Reed, Entdecker des in Großbritannien geborenen Musikers Antony Hegarty, bezeichnete sie einmal als Engel. Ein Reed’scher Engel, hochsensibel.

In den vier Studioalben, die sie damals als Antony zwischen 2002 und 2010 in verschiedenen Konstellationen herausbrachte, scheute sie sich nicht vor dramatisierenden Orchestereinlagen oder eingängigen Moll-Harmonien am schwarzen Konzertflügel zu Titeln wie „Swanlights“. Wirklich toll ist das Cover von John Lennons „Imagine“. Nur Gitarre und Antonys zitternder Gesang.

Zart klingen Saiten und Stimme zusammen, und noch bevor man der fragilen Interpretation auch nur ein Fünkchen Hoffnung abringen kann, schleicht sich ein tinnitusartiger, leicht schwankender Störton wie aus einem metallenen Hohlkörper in den Hintergrund. Dieses psychische Flimmern verlässt das feine Akustikarrangement nach einer Strophe wieder.

Drohnenkrieg, Überwachung & Erderwärmung

Anohni: "Hopelessness" (Rough Trade)

live: 28. Juni "Tempodrom" Berlin, 29. Juni "E-Werk" Köln

Von Unterwerfung, Missbrauch und Selbstzerstörung handeln nun Ahnonis Texte, und aus diesen Tiefen entstand auch die Gefühlsduseligkeit ihres letzten Studioalbums „Swanlights“. Anohnis Blick ins Innere hat sie zu einem empörten Aufschauen auf die Weltverhältnisse gewandelt. Drohnenkrieg, Überwachung, Erderwärmung – wütend benennt sie in den elf Songs des Albums Missstände der Gegenwart.

Keine lyrischen Umschnörkelungen, kein bibberndes Vibrato im Gesang, sondern direkte Anklage. „Obama“ singt sie schwer und zäh um einen Ton kreisend und hält dem US-Präsidenten vor: „Executing without trial / Punishing the whistleblowers / Those who tell the truth.“ Einst freute sie sich über Obamas Amtsantritt, nun ist sie von seiner Realpolitik ernüchtert.

Antonys Jammer ist zu Anohnis Wut geworden. „Ich bin befreit“, wird sie im Guardian über ihren Gefühlswandel zitiert. Und diese Wut ballt Anohni in „Hopelessness“ gemeinsam mit den klangmächtigen Elektronikproduzenten Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never zur musikalischen Wucht. Doch sie bleibt im Pop: „Hopelessness“ sei, wie sie dem Guardian sagte, „Sugar to your ears“.

Nervende Zuckrigkeit

Diese Zuckrigkeit schmerzt und nervt manchmal auch. „Drone Bomb Me“, der Auftaktsong des Albums, zelebriert Anohnis schwülstigen Pop in all seiner Bittersüße. „Choose me / Let me be the one / The one that you choose tonight“ sind Anohnis sehnsuchtsvolle Worte, deren „choose me“ flehend gedehnt sind. Mit gläsernen Synthesizern und aufgelösten Akkorden beginnt der Track, baut sich zu fanfarenhafter Orchesterwucht auf. Davon mitgerissen, befremden die Zeilen: „Drone bomb me / Blow me from the mountains into the sea.“

Denn Anohni legt diese Worte in den Mund eines afghanischen Mädchens, voller Begehren sehnt es sich als fiktive Figur die eigene Tötung durch eine Drohne herbei. Hier wird eine Rhetorik offenbar, die auf diesem Album zum Muster wird: Gesang, Lyrics und Sound reißen mit, doch dann spaltet sich der Text wieder von jenen musikalischen Verheißungen ab und hält der Gegenwart den Spiegel vor: „Daddy, I know you love me“ beginnt sie etwa im Song „Watch me“. „Watch me in my hotel room / Watch me watching pornography“. Der liebende Vater ist der überwachende Staat.

Zu „Drone Bomb Me“ gibt es auch ein Video. Darin nimmt eine tränenüberströmte Naomi Campbell in einem Kellerraum, gekleidet in Camouflage-Catsuit von Givenchy und hohen Lacklederstiefeln, die Rolle Anohnis und jenes afghanischen Mädchens ein. Sequenzen zeigen eine Gruppe schwarzer Männer mit nacktem Oberkörper, die Quentin Tarantino nicht sklavenhafter hätte darstellen können. Vor Schmerz verrenken sie ihre Körper und ziehen Grimassen.

Anohni ruft mit diesem Video böse Geister wach: Die gealterte Naomi Campbell als Stellvertreterin für eine Sängerin, die als androgyner, männlicher Antony bekannt wurde und für ein afghanisches Kriegsopfer, Sklaverei der Vergangenheit, Folter der Gegenwart, psychische Abgründe und Fashion vermischen sich zu einem überwältigenden Taumel.

„I always look for hope“, sagte Antony einmal auf dem Live-Album „Cut the World“, als er/sie sieben Minuten lang über sein/ihr Konzept des Future Feminism räsonierte. Zu ihrer Hoffnung zählte auch, dass Frauen die Welt regieren und wir uns Jesus als Frau vorstellen sollen. Jetzt, 2016, ist Anohni mit dem Titel ihres neuen Albums bei „Hopelessness“ angekommen und schließt auch hoffnungslos ab. „I am a virus“ ist ihre Erkenntnis zum Finale, und sie gilt für die ganze Menschheit. Eingebettet wird diese Klage in eine süßliche Klangwolke mit A-cappella-Einlagen.

Als absolute Gegenwart bezeichnet Rough-Trade-Manager Geoff Travis das Album. Anohnis Gegenwart ist ein zerrissenes, ein bedrohliches Jetzt.

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