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Neues Album von Albrecht SchraderZwanzig Jahre Nikotin

Eine Kunst hinter der Selbstvermarktung ist möglich. Albrecht Schraders selbstbetiteltes neues Album ist eine Liebeserklärung ans Musikmachen.

Händchen für wunderschöne Kompositionen: Albrecht Schrader Foto: Tim Bruening

„Momentan fühlt es sich an, als würde man neue Songs beim Veröffentlichen in einen digitalen Abgrund werfen … das Einzige, was man hört, ist der dumpfe Aufprall, wenn das Lied auf dem Boden aufschlägt“, Das schrieb kürzlich die Künstlerin Stella Sommer in den sozialen Medien. Damit Musik überhaupt bei den Hö­re­r:in­nen ankommt, müssen Bands und So­lis­t:In­nen mehr tun, als sie nur zu veröffentlichen. Zusätzlich sind sie auch noch Promo-Expert:innen, Netz­wer­ke­r:in­nen und kennen Eigenheiten von Tiktok- und Spotify-Algorithmen.

Unter forcierten kapitalistischen Umständen wie diesen tritt Musikmachen fast in den Hintergrund: „Ist Musik noch unser Ding?“, fragt darum auch der Hamburger Künstler Albrecht Schrader und nimmt diese berechtigte Frage als Titel eines Songs mit auf sein neues Album „Albrecht Schrader“.

Darin allerdings ohne Fragezeichen, denn Schraders Antwort lautet wohl: ja. Um diese zu vernehmen, gilt es auf das Zusammenspiel von Text und Arrangement zu achten, denn dann wird aus der im Raum stehenden Frage eine Liebeserklärung. Ans Musikmachen, ans Künstlerdasein per se. Dafür hat Schrader viele Gäste eingeladen. Unter anderem Dirk von Lowtzow – der Erste, der Schraders Einladung zur Zusammenarbeit für diesen Song angenommen hat, bevor weitere, wie Rocko Schamoni, Saskia Lavaux (Schrottgrenze) und Resi Reiner folgten.

Mit Blick auf das allgemeine Weltgeschehen oder eine kreativitäts- und eigensinnigkeitsfeindliche Musikbranche wäre es momentan nur nachvollziebar, würde man sich dem Zynismus hingeben. Doch genau dagegen wehrt sich Albrecht Schrader. Auch in seiner Musik. Selbst dann, wenn er in Sorge auf sein Heimatland schaut, über „Gefühle in Deutschland“ sinniert und singt: „Gefühle in Deutschland / Stauen sich an / Wollen hinaus / Bleiben hinter Fenstern kleben / Müssen sich / Über alles erheben / Gefühle in Deutschland / Bleiben zu Haus.“

Albrecht Schrader: „Albrecht Schrader“ (Krokant/Indigo);

Live: 5. 3., Hamburg, Nachtasyl,

6. 3., Köln, Jaki,

7. 3., Karlsruhe, Kohi,

8. 3., München, Heppel & Ettlich,

13. 3., Leipzig, Neues Schauspiel,

14. 3., Berlin, Colosseum

Dazu erklärt der Komponist: „Ich möchte mir nicht anmaßen, das Wesen der deutschen Gefühle damit auf den Punkt gebracht zu haben. Aber es hat für mich zwei Aspekte, die, wie ich glaube, sehr den hiesigen Gefühlswelten entsprechen. Und das ist einmal die Verbitterung im Einzelnen und ein Sichreinbeißen. Und es ist dieses sehr ambivalente Aufgehen in der Menge. Beides ist mir bekannt, beides kann sehr gefährlich werden“.

In sich gekehrt und nach außen dringend

Neben einem Händchen für wunderschöne Kompositionen sticht auf seinem neuen Album eines von Schraders Talenten besonders hervor. Der 41-Jährige ist ein feiner Beobachter dessen, was um ihn herum geschieht. Einer, der Verhalten hinterfragt – auch sein eigenes – dabei aber nie überheblich oder verletzend wirkt.

Egal, ob er über Musik selbst, Kindheitsfreundschaften oder über das Rauchen nachdenkt – auch Letzteres erfährt auf „Albrecht Schrader“ eine ambivalente Liebeserklärung, wenn es beispielsweise heißt „Erst das Goldpapier / Dann die Zigarette / Zwischen Zeige- und Mittelfinger / Bei der ersten kratzt es immer / Lass mich auch noch einmal ziehen / Zwanzig Jahre Nikotin.“

Es ist eine eigenwillige Art von Introspektion, mit der Schrader an seine Musik herantritt, die ihr in gleichen Teilen etwas in sich Gekehrtes verleiht, aber auch den Drang vermittelt, nach außen treten und gesehen und gehört werden zu wollen. „Meine Songs entstehen sehr intuitiv. Einmal, zweimal pro Jahr, blockiere mir im Kalender einige Tage. Bin ganz alleine mit meinen Ideen, die sich übers Jahr ansammeln, und schreibe ich Lieder. Im Nachhinein verstehe ich dann erst so richtig, worum es mir da ging“, fasst Schrader selbst seine Methodik beim Songwriting zusammen.

Mit jeder Faser, jedem Ton widersetzt sich Albrecht Schrader allem, was mittlerweile von Musik verlangt wird. Sein Album funktioniert als Ganzes, die Schönheit der Songs lässt sich nicht begreifen, hört man nur Snippets, drei Sekunden des Anfangs, des Endes und der Mitte. Es sind kleine Geschichten, die einen begleiten, auch dann, wenn sie schon an ihrem Ende angekommen sind. Man kann sie sich zu eigen machen, sich selbst darin finden und verlieren.

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