Wir sehen uns auf der anderen Seite

Gute Kommunikation in verrückten Zeiten: Die Gorillaz liefern mit ihrem neuen Album „Song Machine. Season One: Strange Timez“ einen bissigen Kommentar zur Coronapandemie

Gruppenbild mit Kaninchen: Jamie Hewlett, Damon Albarn und die Gorillaz Foto: Warner

Von Stephanie Grimm

Kinder, wie die Zeit verstreamt: Vor genau 20 Jahren wurde die Debüt-EP der virtuellen Popband Gorillaz veröffentlicht: Vier Cartoon-Figuren, Murdoc Niccals, Russel Hobbs, Noodle und Sänger 2D (dem Britpopstar Damon Albarn seine Stimme lieh) stehen im Zentrum des Geschehens. Mit eingängigem Songs, schrägen Clips und fabulierten Backstories passten die Gorillaz bestens zum Start des neuen Millenniums. Es begann bekanntlich mit einem Bug, der dann keiner war.

Den Ohrwurm lieferte dann das erfolgreiche Debütalbum „Gorillaz“ (2001) mit dem Smashhit „Clint Eastwood“. Zugleich wirkte die Idee wie ein Novelty-Gimmick, der bald auserzählt sein würde. Aus Langeweile hatten sich Albarn – seinerzeit Sänger der Londoner Band Blur – und Comiczeichner Jamie Hewlett für das außergewöhnliche Projekt zusammengetan. Trotzdem war ihre Idee, eine erfundene Band gibt relevantere Gegenwartskommentare ab als der real existierende Celebrity-Zirkus, einfach zu gut.

Vorgespult um zwei Jahrzehnte – und mit „Song Machine, Season One: Strange Timez“ erscheint heute das beste Album der Gorillaz überhaupt; nach dem zurückgenommenen Vorgänger „The Now Now“ (2018) hat es wieder eine stattliche Gästeliste, diverse KünstlerInnen sind dabei. Die Tracks machen dadurch unerwartete Echoräume auf: So antwortet Rapper 6LACK in „The Pink Phantom“ mit sanft autogetunter Stimme einem fast lebensmüde klingenden Elton John, der croont „I’ll be waiting for you on the other side“.

In den Genregrenzen sprengenden Songs stecken Punk, Elektronik, Grime und HipHop. Neben zeitgenössischen Sounds aus Südafrika, wie sie die Künstlerin Sanelisiwe Twisha alias Moonchild Sanelly in das düster schleppende, aber elastische „With Love to an Ex“ einbringt, stehen geschichtsträchtige Zitate: etwa der melancholische Optimismus von New Order; Peter Hook, ehemals Bassist der Band, hinterlässt in „Aries“ markante Spuren.

Nur, dieser große Wurf von einem Popalbum will eigentlich gar keines sein. Im Januar, als mit „Momentary Bliss“ das erste Stück veröffentlicht war, verglich Albarn der BBC gegenüber den neuen Modus Operandi der Gorillaz mit der Realisierung einer TV-Serie: „Wir sind nicht mehr darauf beschränkt, Alben zu machen. Stattdessen bringen wir Episoden und Staffeln raus.“ Seither sind alle paar Wochen Häppchen – neue Songs mitsamt zugehörigen Videoclips – erschienen.

Ausnahme ist der soghafte Song „How Far?“ mit dem Rapper Skepta und der Afrobeat-Legende Tony Allen am Schlagzeug. Mit Letzterem hatte Albarn immer wieder gearbeitet, unter anderem im Bandprojekt The Good, the Bad & the Queen. Nach Allens Tod im April erschien der Track nur mit einem Foto des 79-jährigen Schlagzeugers; die ins Bild gezeichneten Bandmitglieder zollten Tribut, jeder auf seine Weise: 2D mit gebrochenen Herz-Emojis, Murdoc mit erhobenem Glas.

„Song Machine“ bringt nun die sieben bislang veröffentlichten mit weiteren neuen Songs zusammen. Die Bündelung schafft Synergien, die elf Tracks (die empfehlenswerte Deluxe-Edition umfasst sechs weitere) klingen wie ein gutes Mixtape aus einer erschöpften Gegenwart. Anders als bei manchen der nervösen Vorgänger lässt das Kaleidoskop an Einflüssen diesmal kein diffuses Einerlei entstehen. Vielleicht Ergebnis des gestaffelten Veröffentlichungsmodus. Eine andere Erklärung wäre, dass Albarn, den man sich eher als Machertypen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne denn als detailverliebten Produzenten vorstellen muss, im Lockdown mehr Zeit für die Arrangements hatte. Diesmal nehmen fast alle Tracks einen jeweils eigenen Charakter an; und die Gäste tragen Idiosynkratisches dazu bei.

Das Album ist zugleich auch eine Art Tagebuch der bisherigen Phasen von Corona. Cruiste Albarn im Clip zum sehnsuchtsvollen „Désolé“ im Februar noch mit der malischen Songwriterin Fatoumata Diawara dolce-vita-mäßig über den Comer See, entstand „Strange Timez“, veröffentlicht im September, per Mailaustausch mit Cure-Sänger Robert Smith. Dessen gramgebeugt klingende Stimme erdet die unruhigen Sounds. Der Songtext erzählt derweil von einer „Surgical glove world/Bleach-thirsty world“. Im Clip ist Smiths Gesicht auf den Mond projiziert; entrückt und besorgt schaut er zurück zur Erde.

Was könnte besser in eine instabile Welt passen als eine Band, die sich wie die Gorillaz problemlos in neue Zusammenhänge stellen lässt und so nicht zuletzt auch Zeitgeist-Seismograf ist? Der Spaß am postmodernen Zitatspiel, der Anfangs durchblitzte, hatte sich bei den Gorillaz bald erschöpft; Dystopisches rückte immer stärker in den Vordergrund. Gleichzeitig hielten Albarn und Hewlett die Assoziationen gerne abstrakt. Zwischendurch sah der Comicautor seinen illustratorischen Input angesichts der immer eindrucksvolleren Allstar-Produktionen in der Regie von Albarn zu sehr in den Hintergrund gedrängt.

In der Frühphase der Arbeit an „Humanz“ (2016) hatte man sich einem durchgeknallt anmutenden Gedankenspiel hingegeben: Was, wenn dieser bizarre Präsidentschaftskandidat Trump die Wahl gewinnen würde? Als die Realität jedes noch so abgründige Szenario in den Schatten gestellt hatte, editierte Albarn allzu deutliche Referenzen aus der Musik heraus.

Auch „Song Machine“ klingt im guten Sinne unentschieden. Einige Songs haben etwas Tröstliches, in dem sie unterschiedlichste Gefühlsregister aufrufen; Abgründe beschränken sich nicht nur auf die Text­ebene, sondern sickern in die Klangpalette mit ein. Nicht zuletzt ist das neue Album aber auch ein Plädoyer für Kommunikation entlang nicht ausgelatschter Pfade. In diesem Spannungsfeld liefern die Gorillaz tatsächlich mal wieder einen gegenwartsrelevanten Kommentar zur Zeit.

Gorillaz: „Song Machine, Season One: Strange Timez“ (Parlophone/Warner); am 12./13.Dezember spielen sie drei Live-Performances (in verschiedenen Zeitzonen). Info: gorillazlivenow.com