Neues Album der Band Wilco: Geradlinige Freude
Wohin marschiert dieser Zug? Die Band Wilco aus Chicago testet in „Ode to Joy“, was in ausufernder US-Rockmusik noch für Leben steckt.
Wie viele Jahre lässt sich das Gleiche tun, ohne dass man zynisch wird? Oder verzweifelt? Oder albern? Nach gut zwei Jahrzehnten mit seiner Band Wilco und einem guten Dutzend Veröffentlichungen hatte sich Jeff Tweedy offenbar für Letzteres entschieden. Unangekündigt und als gratis Download veröffentlichen Wilco im Sommer 2015 ein neues Album mit dem Titel: „Star Wars“ – eine willkürliche popkulturelle Referenz. Das Cover: weiße Katze gemalt unter weißer Rose – eine Übung in Trash. Die Songs: ein spontaner Übungsraum-Mitschnitt? Testet eine Band hier aus, wie weit ihr guter Ruf sich dehnen lässt? Wer als Erstes über diesen Scherz lachen würde? Nicht die Presse jedenfalls, die „Star Wars“ ungerührt auf die Liste der Jahresbesten setzte. Wie so viele Wilco-Alben in den Jahren zuvor.
Fast könnte man glauben, Tweedy sei noch immer in dieser albernen Phase. Wie sonst kann er das jüngste Album seiner Band „Ode to Joy“ nennen? Während 700 Meilen südöstlich von Wilcos Heimat Chicago ein Typ in Washington sitzt, der mit verstörender Genugtuung einen Keil tiefer und tiefer in das Land treibt mit seinen Tweets. Schiller und Beethoven zitieren, während der Hass wächst und der Planet aus den Angeln zu kippen droht? Albern aber sind diese elf Stücke nicht. Im Gegenteil.
Am Anfang steht ein Schlag. Ein elementarer Schlagzeugbeat, so nah und unmittelbar aufgenommen, dass man die Maserung des Sticks zu sehen, die Vibration der Felle zu spüren glaubt. In seiner maximalen Schlichtheit setzt der Rhythmus des Auftaktstücks den Ton des gesamten Albums: aufgeräumt, geradlinig, ernsthaft. Mehr als jedes andere verlässt sich dieses Wilco-Album auf herzschlagartige Rhythmen („Everyone Hides“), auf gleichmäßiges Stampfen („We Were Lucky“), industrielles Pulsieren („Quiet Amplifier“). Ist das Krautrock als Slow-Motion-Americana?
Friedlicher Protest oder Marsch der Autorität?
Wilco: „Ode to Joy“ (dBpm Records/ADA/Warner Music)
Der reduzierte Eins-zwei-Beat vieler Stücke transportiere etwas Marschartiges, räumt Tweedy ein. Und damit etwas Verstörendes. Niemand wisse, ob es der Rhythmus eines friedlich marschierenden Protestzugs ist oder das sich ausbreitenden Autoritäre eines neuen Politikstils. Und plötzlich ist „Ode to Joy“ keine leichtfertige Zumutung mehr, sondern ein Appell, sich private Gefühlshochs nicht nehmen zu lassen von dieser Zeit, nicht vor ihr einzuknicken in Schwermut, sondern festzuhalten an den Selbstbefreiungs- und -erfindungsversprechen, die US-Rockmusik für viele noch immer bereithält.
Niemand erwartet mehr, dass Wilco dazu wildes Wirbeln bemühen. Vielleicht ist Tweedy mit Punkrock groß geworden, aber schon in den frühen 90ern siedelt er mit der Band Uncle Tupelo auf Neo-Folk- und Alternative-Country-Terrain über. Seine damalige Band bringt einer neuen Generation den US-Folk-Kanon näher.
Mit Wilco wandelte Tweedy die Folk-Bezüge ab 1995 von einer Begrenzung zum vagen Bezugspunkt. Und verbreiterte mit zurückgelehnten Rootsrock-Alben und einer unüberschaubaren Zahl an Co-Produktionen und Soloalben Schritt für Schritt seine Hörerschaft. Inzwischen wurden Filme über diese Band gedreht, Bücher geschrieben – ein paar Jahre verkaufte in Toronto eine Firma Sandwichs, die allesamt nach Wilco-Songs benannt waren.
In den vergangenen 15 Jahren prägte den Sound neben Tweedy vor allem Nels Cline. Von Haus aus Jazzgitarrist und keinem klanglichen Abenteuer abgeneigt, spielt Cline seit den frühen 80ern an der Seite etwa von Ikonoklasten wie Thurston Moore und Elliott Sharp, mit all jenen Künstlern also, die experimentierfreudig sind. Zuletzt veröffentlichte Cline eine feuerspeiende 4-CD-Box mit dem Free-Jazz-Multiinstrumentalisten Anthony Braxton. Auf Wilcos neues Album „Ode to Joy“ steuert Cline verträglichere, aber doch erfrischende Ideen bei. Ohne seine flirrenden Gitarrenpassagen etwa würde Tweedys gemächlicher Walzer „Love Is Everywhere (beware)“ nicht annähernd so anmutig glänzen.
Niemand braucht weitere Wilco-Alben, erklärt Tweedy selbstkritisch und hat nach 25 Jahren vermutlich recht. Ebenso richtig ist aber, dass in diesem Jahr bündelweise Musik veröffentlicht wurde, die man weit weniger braucht als „Ode to Joy“.
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