piwik no script img

Neues Album der Band SaultVon der Erfahrung, Schwarz zu sein

In Musik gefasstes Empowerment: „Untitled (Black is)“ von der britischen Band Sault ist das antirassistische Protestalbum der Stunde.

Mit erhobener Faust: Cover des neuen Albums von Sault Foto: Foto: Untitled (Black Is)/Sault

Falls man momentan nur ein Album hören wollte, dann sollte es dieses sein: „Untitled (Black is)“ der britischen Band Sault. Das ist der passende Soundtrack für diese Wochen, diese Monate, dieses Jahr, in dem Wut lauter geworden ist, so laut, dass sie in den Köpfen nachhallt.

Die Wut der Schwarzen nach dem gewaltsamen Tod George Floyds, die Wut der Schwarzen, die auch die anderen, auch die Weißen wachrüttelte und auf die Straßen treibt, die dafür sorgt, dass blonde Teenager Black-Lives-Matter-Transparente auf Demonstrationen tragen, dass koloniale Denkmäler gestürmt werden, nicht nur in den USA, dass offen über Polizeigewalt wie strukturellen Rassismus diskutiert wird, nicht nur in den USA, und dass dabei vermehrt denen zugehört wird, die zu beidem ihre Erfahrungen haben.

Sault ist eine britische, keine US-Band – und ein Mysterium. Mitte Juni spielte DJ Gilles Peterson „Untitled (Black is)“ in seiner BBC-Radiosendung, noch bevor es irgendwo sonst jemand hatte. Und zwar – allein das spricht schon Bände – komplett. Als den „ersten Klassiker der Ära der,Neuen Realität' “ bezeichnete Peterson das Album vorab auf seinem Twitter-Account.

Alles beides verbreitete sich rasch über die bekannten Kanäle, und all diejenigen, denen Sault schon vorher oder ab dann ein Begriff war, scrollten sogleich auf der Website der Sendung zu Minute 38, um es sich anzuhören.

Das Album

Sault: „Untitled (Black is)“ https://saultglobal.bandcamp.com

Wenige Tage später war das Album, auf dessen Titel Schwarz auf Schwarz die erhobene Faust der Black-Power-Bewegung zu sehen ist, auch auf der Website der Band verfügbar, ergänzt mit sechs Zeilen Text, der sich auf Deutsch so übersetzen lässt: „Wir präsentieren unser erstes Album,Untitled', um damit einen Moment zu markieren, in dem wir als Schwarze Menschen und als Menschen Schwarzer Herkunft um unsere Leben kämpfen. Ruhe in Frieden, George Floyd und all jene, die unter Polizeigewalt und systemischem Rassismus leiden. Es verändert sich etwas … Wir passen auf. SAULT x.“

Für Sault-Verhältnisse sind diese wenigen Zeilen geradezu spektakulär ausführlich. Normalerweise äußern sie sich – abgesehen von ihrer Musik – gar nicht. Über die Band ist kaum etwas bekannt. Im Mai vergangenen Jahres war wie aus dem Nichts die Debüt-EP „5“ beim Indie-Label Forever Living Originals erschienen. Im September folgte „7“. Mittlerweile gilt als mehr oder weniger belegt, dass sich Sault aus dem Londoner Produzenten Dean „Inflo“ Josiah Cover, der Sängerin Cleo Sol und der Rapperin Kid Sister zusammensetzt.

Ob weitere Mu­si­ke­r*innen beteiligt sind und wenn ja wer, darüber kann nur spekuliert werden. Fotos der Band existieren logischerweise auch nicht.

Geheimniskrämerei hat im Pop schon Tradition. Im Falle von Sault ist diese Form der Anti-Inszenierung aber unbedingt politisch zu verstehen. Auch das „Wir“ in dem Statement auf der Band-Website meinte ja nicht nur sie selbst als MusikerInnen, sondern als Teil eines großen Ganzen. Sault geht es nicht um persönliche, individuelle Geschichten, sondern darum, der globalen Erfahrung, Schwarz zu sein, Gehör zu verschaffen.

Album kostenfrei herunterladen

Möglichst viel Gehör. Dazu passt, dass Sault auch in Sachen Vertrieb einen Sonderweg gehen. Das Album lässt sich auf ihrer Website www.sault.global kostenfrei herunterladen. Vinyl kann über Bandcamp vorbestellt werden, die Einnahmen werden gespendet, heißt es.

Tatsächlich benannt werden auf „Untitled (Black is)“ aber doch zwei Personen, die am Album mitgearbeitet haben. Zum einen ist das der britische Songwriter und Soulmusiker Michael Kiwanuka beim Afrobeat-Song „Bow“, der den Bogen über den afrikanischen Kontinent spannt, rhythmisch-musikalisch wie textlich; zum anderen die Dichterin Laurette Josiah, die im Spoken-Word-Stück „This Generation“ ihrer Hoffnung Ausdruck verleiht, das nun der Zeitpunkt und die Generation gekommen sei, die Veränderungen herbeiführen könnte: „We’ve walked the walk / We have talked the talk / Nobody’s listening / Nobody listened / Nobody cared / Nobody cared / This generation cares.“

Überhaupt ist es ein Kaleidoskop der Genres, das Sault auffächert. Gospel ist dabei, Funk, Soul, Disco, Afrobeat, Spoken Word, R&B, HipHop, Dub. Die Rolle des Künstlers und der Künstlerin sei es, die Revolution unwiderstehlich zu machen, hat die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Cade Cambarayou einmal gesagt.

Gospel ist dabei, Funk, Soul, Disco, Afrobeat, R&B, HipHop, Dub

Sault scheinen sich das zu Herzen genommen zu haben. Musikalisch sind sie wahrhaft unwiderstehlich, rhythmisch, melodisch, ohrwurmtauglich, absolut einprägsam, was dann aber auch die Textebene betrifft. Das ist der Trick von Sault – Aufmerksamkeit durch Musik herstellen und dann Botschaften übermitteln. Die Worte zu überhören ist praktisch unmöglich.

The revolution has come

Das beginnt schon gleich beim Auftaktsong „Out the Lies“ mit seinen mantraartig vorgetragenen Zeilen – „The revolution has come (Out the lies) / Still won’t put down the gun (Out the lies)“. Das klingt wie bei einem Protestchor auf der Straße, nur melodischer, hakt sich aber genau so zwischen den Ohren fest.

So setzt es sich fort in den anderen 19 Tracks – darunter ein rein instrumentaler. Im souligen „X“ etwa, das von Malcolm X handelt. Der Song endet mit dem berühmten, kontrovers diskutierten Zitat des Aktivisten nach dem Attentat auf John F. Kennedy: „The chickens have come home to roost“, was so viel bedeutet wie, dass Gewalt eben Gewalt säe.

Um Gewalt, genauer gesagt Polizeigewalt geht es wiederum in „Wildfires“, die vermutlich noch nie so traurig-schön besungen wurde wie hier von Cleo Sol. „We all know it was murder“, singt sie, aber auch, dass sie immer wieder aufstehen werde, niemals sich fürchten, trotz aller Tränen, immer sich kümmern. Jene Buschfeuer, die Sol metaphorisch lodern lässt, entfachen ein Bild des Widerstands. „Untitled“ ist ein hochpolitisches Album, ein antirassistisches Protestalbum.

Black is beautiful

Noch mehr als von Wut aber erzählt es von Kraft, von Resilienz. Es ist in Musik gefasstes Empowerment. Als nicht-schwarze Person solle man zuhören und lernen, heißt es, sich selbst zurücknehmen, darum soll dieser Text auch mit den Worten von Sault enden, aus dem titelgebenden Stück „Black is“:

„We all know black is beautiful / You know, well now you do / Black is excellent too / In me, in you / Black is shiny and new / Black is older than earth / All at the same damn time / Black is sweet / Black is ours / Black is love / Black is God / God is us. / Don’t be afraid / We can make a change and we can make it different / The anger, it breaks my heart to see this and then we know we have to try / Please let the right people do what they have to / You be strong, educate yourself, powerful / Learn when you grow up, be your own master / You can be your own boss / You can have your own company, you can have your own business / You don’t need to work for anyone but yourself.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!