Neuer lybischer Regierungschef: Aus dem Exil an die Macht
Die libysche Nationalversammlung hat einen langjährigen Gegner Gaddafis zum Regierungschef gewählt. Ali Sidan setzte sich mit 93 der 179 Stimmen knapp durch.
KAIRO taz | Ali Sidan haftet das Image an, gerne die Hemdsärmel hochzukrempeln. Ein Charakterzug, den der neue libysche Regierungschef jetzt sicherlich gebrauchen kann. Denn ihm steht eine Aufgabe bevor, an der sein Vorgänger, der Akademiker Mustafa Abushagur, nach nur 25 Tagen im Amt gescheitert ist: Im Libyen nach Gaddafi die erste Regierung zu bilden.
Dass er nur knapp mit 93 der 179 Stimmen des Allgemeinen National-Kongresses, des libyschen Parlaments, gewählt wurde, macht seine Aufgabe nicht gerade leichter. Sidan gilt, anders als sein Vorgänger, der von der Muslimbruderschaft unterstützt worden war, als Liberaler. Er hatte unter Gaddafi in den 1980er Jahre als Karrierediplomat gearbeitet, bevor er sich vom Regime lossagte und nach Genf ins Exil ging, um sich dort der Opposition anzuschließen.
Während der libyschen Übergangsregierung diente der Menschenrechtsaktivist als Verbindungsmann nach Europa. Ihm wird nachgesagt, eine entscheidende Rolle dabei gespielt zu haben, den ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zu überzeugen, die Aufständischen gegen Gaddafi zu unterstützen.
Sidan, 1950 geboren, gilt als politisch ehrgeizig. Bewiesen hat er das, als er bei der Wahl eines Übergangspräsidenten antrat, wobei er allerdings unterlag. Sidan muss ein technokratisches Kabinett bilden und zugleich die politischen Gruppierungen im Parlament befrieden. Dabei ist er für sein Verhandlungsgeschick bekannt. Schwierig wird es auch, für sein Kabinett auf bekannte Gesichter zurückzugreifen. Die in der Verwaltung erfahrenden Gaddafi-Leute sind diskreditiert, den wenigen Exilpolitikern wird mangelnde Erfahrung innerhalb des Landes nachgesagt.
In seiner ersten Rede versprach Sidan, in weniger als den vorgegebenen zwei Wochen eine handlungsfähige, effektive Regierung zu bilden, um schnell mit der Arbeit zu beginnen.
Die Libyer erwarten nun, dass die neue Regierung die Milizen unter ihre Kontrolle bringt und die Wirtschaft und Infrastrukturmaßnahmen endlich wieder ankurbelt. Denn anders als die anderen erfolgreichen Länder des arabischen Aufstandes hat Libyen kein finanzielles Problem. Alle zehn Tage wird das Land durch die Öleinnahmen um eine Milliarde Dollar reicher. Was bisher fehlt, ist eine Regierung, die entscheidet, wofür das Geld ausgegeben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken