Neuer Verein für Selbsthilfe: Superarm und super drauf
KundInnen der Berliner Tafel in Neukölln haben den Verein „Die Superarmen“ gegründet und helfen denen, die noch weniger haben. Jetzt suchen sie einen Raum.
Die 70-Jährige residiert mit einem kleinen Trupp am Rande des Hofs unter einem Gartenpavillon. Jemand hat Geburtstag und hat Käsekuchen mitgebracht, die Sonne scheint, es wird gescherzt. Das sind sie, die „Superarmen“ – und wie jeden Donnerstag treffen sie sich bei der Essensausgabe von „Laib & Seele“ der Berliner Tafel.
2015 fing alles an, erzählt Vieten, die Vereinsvorsitzende. „Da haben wir als kleines Dankeschön für die Tafelmitarbeiter Osterkörbchen gebastelt. Die haben sich gefreut!“ Die Rentnerin schüttelt so begeistert den Kopf, dass die Silber-Ohrringe fliegen. Ermutigt von diesem Erfolg stellten ein paar Tafel-KundInnen ein Sommerfest auf die Beine. 2017 wollten sie dann das Katzenhaus in Lichtenrade unterstützen, in dem eine Kundin ehrenamtlich tätig ist, und organisierten einen Stand beim Straßenfest am Richardplatz mit Grill, Tombola, Trödel und Live-Musik.
„1.000 Euro haben wir eingenommen, aber wir hatten über 900 Euro Kosten.“ Wieder fliegen die Ohrringe, diesmal aus Empörung. „Ob wir denn kein Verein wären, haben sie beim Ordnungsamt gefragt, dann wäre die Standmiete viel niedriger.“ Die Idee war geboren und im Januar gründeten sieben Tafel-KundInnen die „Superarmen“.
Resoluter Einsatz für noch Ärmere
Inzwischen sind sie zu zehnt, 20 dürften es ruhig werden, so Vieten – gern gesehen wären auch Jüngere und Menschen mit anderen Sprachkenntnissen. Ziel des Vereins: gegenseitige Hilfe, etwa beim Ausfüllen von Anträgen für Rente, Grundsicherung oder Wohngeld. „Unser Herbert hat auch eine Dame versorgt, eingekauft und sie zum Arzt begleitet. Aber sie ist grade verstorben.“
Vieten selbst kümmert sich um eine Frau, die von ihrem Pflegedienst schlecht betreut werde und einen Rechtspfleger habe, der ihr die Katzen verboten habe. „Wir gehen jetzt mit ihr zum Amtsgericht, wollen ihre Pflege übernehmen.“ Das traut man der energischen Frau durchaus zu, obwohl sie selbst auf einen Rollator angewiesen ist für längere Strecken.
Die hat sie in letzter Zeit öfter zurückgelegt, vor allem für den größten Traum der „Superarmen“: ein eigener Raum als Treffpunkt zum „Quatschen und Spielen“, mit Beratungsstunden für Hilfesuchende. „Es soll auch ein Platz sein, wo Leute für kleines Geld ihren Geburtstag feiern können“, erklärt Vieten. Mit der Raummiete, so hofft sie, könnten sie dann vielleicht sogar die Miete tragen.
„Wir sind arm, aber super dran, weil wir Freunde haben“
Um Startkapital zu sammeln, machen die „Superarmen“ jetzt jeden Sonntag einen Flohmarktstand beim Hansamarkt in Weißensee. Die Verkaufsobjekte sammeln sie bei Wohnungsentrümpelungen, allein dafür ist Vieten viel unterwegs. Das Traumhäuschen hat sie auch schon gefunden, ein verwunschenes Gartengrundstück mitten im Kiez. Selbstredend hat sie schnell herausgefunden, wem es gehört, und einen „lieben Brief“ an den Besitzer geschrieben. Leider habe er noch nicht geantwortet.
Dennoch: Allein das Aktivsein wirkt. „Ich bin so happy, dass ich gebraucht werde“, sagt Vieten. „Das hält jung und fit.“ So erklärt sie auch den Namen des Vereins: „Wir sind zwar arm, aber super dran, weil wir Freunde haben.“
Vereinskollege Wolfgang Retzlaff stimmt zu. Der Grafiker, der 20 Jahre lang eine Country-Zeitschrift herausbrachte und damit nicht schlecht verdiente, wie er sagt, gestaltet das Vereinsheft Neukölln Cool mit Berichten über den Verein, den Kiez und Anzeigen der lokalen Geschäfte. Und das, obwohl er beinahe blind ist. „Wenn ich das nicht mehr machen kann, möchte ich nicht mehr leben“, sagt der 66-Jährige. 250 Euro Rente plus Grundsicherung bekomme er. „Wenn ich das hier nicht hätte“, er zeigt auf die Ausgabestelle der Tafel, „dazu die Suppenküche jeden Tag, wäre das Leben echt beschissen. Hätte nie gedacht, dass es so weit kommt. Ich habe immer geschuftet!“
50 Jahre Arbeit und dann?
Vieten nickt. 50 Jahre hat sie gearbeitet, „viel in Teilzeit wegen der Kinder“; mit 14 eine Lehre als Hauswirtschafterin, dann lange Köchin in einer Kita, zuletzt Pförtnerin in der Senatsverwaltung für Bildung. Nicht mal 1.000 Euro Rente habe sie nun, die Hälfte gehe für die Miete drauf. Arm fühlt sie sich trotzdem nicht, „ich kann gut mit Geld umgehen“. Und sparsam kochen, auch dank der Zutaten von der Tafel. „Das reicht fast für die ganze Woche.“
Nur selten, so Vieten, gebe es hier zu wenig Essen, meistens sei genug da für die rund 80 KundInnen. „Das war früher manchmal anders“, erinnert sie sich – seit 6 Jahren kommt sie her. Stundenlang hätten die Leute in der Schlange gestanden, noch dazu auf der Karl-Marx-Straße in aller Öffentlichkeit. Heute gibt es die Stühle im Hinterhof, von den Superarmen besorgt. Jeder zahlt 1 Euro und kriegt eine Nummer, die aufgerufen wird. „Darum müsste eigentlich auch keiner mehr so zeitig kommen.“ Vieten zeigt auf die Uhr, es ist 12, die Essensausgabe beginnt nicht vor 2.
Warum es trotzdem schon so belebt im Hof ist? „Viele Arme sind doch eher einsam. Und wir sind ja eine gute Gemeinschaft.“
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