Neuer „Tatort“ aus Dresden: Von mutigen Männern und feigen Frauen
Der Dresdner „Tatort“ beginnt wie ein plattes Geschlechterklischee, dann entwickelt er sich zu seinem Gegenteil. Das ist erzählerisch gut gelungen.
Für mich ist das nicht irgendein „Tatort“. „Unter Feuer“ ist mein erster – der erste, den ich nicht fluchtartig verlasse, sobald die Titelmelodie ertönt. Ein Kindheitstrauma, könnte man sagen, oder einfach eine grundsätzliche Abneigung gegen das Sonntagabendritual mit Mord und Totschlag. Nun habe ich mich also hineingewagt in diese deutsche Kultur und wurde tatsächlich überrascht.
Los geht es auf einer Dresdner Landstraße, an einem Ort, an dem man eigentlich nichts, und schon gar keinen Mord erwartet. Eine scheinbar routinemäßige Verkehrskontrolle endet abrupt, als die Zuschauenden, aus der Perspektive der Polizei, mit dem Anfahren des nächsten Autos plötzlich in den Lauf einer Pistole gucken. Schüsse fallen, ein Polizist sackt tödlich getroffen zusammen, während sein Kollege mutig das Feuer erwidert.
Die beiden Polizistinnen am Tatort jedoch – sie fliehen. Und das, obwohl auch der zweite Polizist lebensbedrohlich getroffen wird. Ernsthaft? Die mutigen Männer kämpfen, und die feigen Frauen rennen? Was hier wie ein plattes Geschlechterklischee beginnt, entwickelt sich im weiteren Verlauf zu seinem Gegenteil.
„Unter Feuer“, So., 20.15 Uhr, ARD
In der sächsischen Hauptstadt nehmen die zwei Kommissarinnen Winkler und Gorniak die Ermittlungen auf. Leonie Winkler wird dabei immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt – ihr Bruder wurde damals im Einsatz erschossen und das scheint auch in diesem Fall eine Rolle zu spielen.
Hier kämpft niemand unberührt und allein
Neben diesen schweren Szenen der Vergangenheit gibt es aber auch Momente des Aufatmens. Als Person, die um Krimis gern einen großen Bogen macht, war ich umso dankbarer für den schauspielerischen Witz des Chefs der Polizeiwache, Herr Schnabel. „Sie müssen mich über solche Neuigkeiten informieren, insbesondere wenn ich auf einer Familienfeier bin!“ Mit seinem nuschelnden Dialekt vermittelt er mir auch direkt ein kleines Gefühl von Heimat.
Nicht nur schauspielerisch, auch technisch und erzählerisch ist der Film gut gelungen. Eine dramatische Slow-Motion-Szene im Regen schreit nach Klischee – und erfüllt es doch wieder nicht. Als am Tatort die Spuren durch den plötzlichen Sturm zu verwischen drohen, werden Zelte aufgespannt. Die Regentropfen fliegen über die bedeutungsschweren Gesichter. So sieht jeder schuldig aus. Eine Aufnahme, die auch dank der richtigen Filmmusik elektrisierend wirkt, mitreißt.
Als Winkler mitten im Einsatz eine Panikattacke erleidet, wird klar: Hier kämpft niemand unberührt und allein. Und auch eine überzeugende Kommissarin verliert ihre Stärke nicht, wenn sie sich verletzlich zeigt. Selbst Schnabel erhält am Ende eine Tiefe, die über die Figur des heiteren und unbekümmerten Bosses hinausgeht.
Die neue Wokeness muss der „Tatort“ allerdings auch beim Gendern beweisen. „Es waren vier Männer – ach, Entschuldigung, es können ja auch Frauen sein. Also vier Täterähinnen“, berichtet einer der Polizisten. Ein Witz, der wohl kaum ein Schenkelklopfer ist.
Trotzdem gelingt es dem Film, sich geschickt um die üblichen Klischees herumzumanövrieren. Zwar bleibt der „Tatort“ dem klassischen Krimigenre mit seinen typischen Action- und Dramaszenen treu, doch er schafft es gleichzeitig, die Figuren differenziert und authentisch darzustellen.
Ich muss zugeben, dass meine Abneigung gegen das deutsche Ritual nicht ganz gerechtfertigt war. Ohne die Mordszenen würde ich es glatt ein zweites Mal gucken.
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