Neuer Spielfilm „Right Now, Wrong Then“: Im Zweifel einfach noch einmal
Eine grandiose Ästhetik des Suffs und des Scheiterns: Hong Sang-soos Spielfilm „Right Now, Wrong Then“ erzählt seine Geschichte doppelt.
Den „17. Film von Hong Sang-soo“ kündigt der Vorspann an. Obwohl ein Großteil der vorherigen 16 auf den größten europäischen Festivals Premiere feierte, ist „Right Now, Wrong Then“ die erste Arbeit des Regisseurs, die in Deutschland einen regulären Kinostart erhält. Hong gehört nicht zu jenen Filmemachern, die sich mit jedem neuen Werk neu erfinden; sondern zu jenen, die sich ein singuläres, nur ihnen selbst zugehöriges Kinoterrain erarbeitet haben, das sie wieder und wieder bearbeiten. Immer gleich und immer anders.
Hong erzählt stets Variationen derselben Geschichte: boy meets girl, boy talks to girl, boy fucks it up. Er bevölkert seine Filme stets mit Variationen derselben Figuren: junge, unreife Männer und Frauen im Künstlermilieu; im Zentrum steht oft, wie auch in „Right Now, Wrong Then“, ein Regisseur von Arthausfilmen.
Auch die dezidiert alltäglichen sozialen Situationen, die die Figuren miteinander ausagieren, kehren leicht variiert immer wieder: Zufallsbegegnungen auf der Straße, gemeinsame Spaziergänge, später am Abend ausführliche Saufgelage. Und schließlich hat Hong im Lauf der Zeit einen unverwechselbaren, aufs Nötigste reduzierten visuellen Stil entwickelt, der die Ruhe weg hat und dem es doch gelingt, vermeintlich simple szenische Anordnungen unter Spannung zu setzen.
Alles nichts Spektakuläres, würde man meinen, und doch das Material, aus dem der Regisseur eines der eigensinnigsten, freisten und außerdem komischsten Werke formt, die es derzeit im Weltkino zu entdecken gibt.
Insbesondere in der Geschichte des Trinkerfilms gebührt dem Südkoreaner bereits jetzt ein Ehrenplatz. Kaum ein anderer Regisseur hat sich so konsequent einer Ästhetik des Suffs verschrieben wie Hong, dessen Kino man fast schon in einer einzigen Einstellung zusammenfassen kann: Zwei Menschen, zumeist ein Mann und eine Frau, sitzen in einem Restaurant oder einer Bar zusammen und trinken Soju, einen koreanischen Reiswein, der offensichtlich ziemlich reinknallt.
Schreiend komisch
Glas um Glas kippen sie herunter, während die statische Kamera sie oft minutenlang ohne einen einzigen Filmschnitt beobachtet. Die Gespräche, die sie dabei führen, sind stets gleichzeitig schreiend komisch und auf einer tieferliegenden Ebene todtraurig.
Denn der Alkohol mag einem zwar kurzfristig die Zunge lösen, befreien kann er einen nicht, schon gar nicht von einem selbst. Trinken ist bei Hong zwar ein sozialer Akt, er führt jedoch nie zur gemeinsamen Enthemmung, sondern stets zum nur scheinbar geteilten Versumpfen. Der Alkohol ist also nur ein weiteres dysfunktionales Kommunikationsmittel. Denn in letzter Instanz ist auch die Sprache besser dazu geeignet, die Menschen voneinander zu trennen, als dazu, sie miteinander in Kontakt treten zu lassen.
Und so klafft der unüberbrückbare Spalt, der zwei Menschen voneinander scheidet, mit jedem Wort, das sie wechseln, mit jedem Drink, den sie teilen, nur umso tiefer. Wenn in „Right Now, Wrong Then“ die junge Hee-jung im Verlauf eines feucht-unfröhlichen Abends dem Regisseur Cheon-soo davon erzählt, wie es ihr einfach nicht gelingen will, Freunde zu finden, ist der von ihrer Selbstoffenbarung heillos überfordert und flüchtet erst einmal vor die Tür, auf eine Zigarette.
Beziehungsunfähige Narzissten
Das ist natürlich ein zutiefst pessimistisches Menschenbild. Hinzu kommt, dass alle Hong-Figuren, und insbesondere alle Hong-Männer, grundsätzlich erbärmliche Kreaturen sind: jämmerliche, beziehungsunfähige Narzissten, die ihrer Umgebung und letzten Endes auch sich selbst mit ihrer Eitelkeit und ihrem Künstlergehabe auf den Geist gehen; und die außerdem mit wohlfeilen Weisheiten über das Leben und die Kunst um sich werfen, hinter denen sich im besten Fall Selbsttäuschung, im schlimmsten manipulatives Kalkül verbirgt.
Dass die Filme trotzdem keinen zynischen Eindruck hinterlassen, liegt daran, dass sie sich nie über ihre Protagonisten erheben, sie nie an einem Ideal der erfüllten Subjektivität, der gelingenden zwischenmenschlichen Beziehung messen. Wenn der Regisseur seinen Figuren ein Gefängnis errichtet, dann nur im Bewusstsein, selbst Insasse zu sein. Es gibt in diesem Kino schlichtweg keine Perspektive außerhalb einer allumfassenden, sojugetränkten Paranoia, in der Hong und seine durchweg begnadeten Darsteller wieder und wieder erstaunliche poetische Schönheiten ausfindig machen.
In „Right Now, Wrong Then“, einem seiner stärksten Filme, der völlig zu Recht 2015 auf dem Internationalen Filmfestival Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde, ist schon die Kennenlernszene toll. Cheon-soo, der in Erwartung eines Filmfestivals einen ziellosen, trägen Tag in einer fremden Stadt verbringt, möchte die Malerin Hee-jung ansprechen, die sich in einer Touristenattraktion einige Meter von ihm entfernt niedergelassen hat; aber zunächst ist es gar nicht so leicht, das Gespräch auf etwas anderes zu lenken als auf die Bananenmilch, die sie trinkt.
Ausgiebiges Saufgelage
Es gelingt ihm schließlich doch, anschließend verbringen sie den Rest des Tages miteinander und scheinen sich dabei zunächst näherzukommen; als sie ihn nach dem ausgiebigen Saufgelage noch zu Freunden mitnimmt, klingt der Abend allerdings eher unbefriedigend aus.
Der eigentliche Clou des Films folgt jedoch noch: Ziemlich genau in der Mitte lässt Hong seinen Film noch einmal neu beginnen: Wieder streift Cheon-soo ziellos durch die Gegend, wieder lernt er in einem historischen Tempel Hee-jung kennen. Was folgt ist derselbe Tag und doch ein anderer.
Der Film verfolgt die beiden durch dieselben Schauplätze; an denen sie dann fast, aber nicht ganz dieselben Dialoge führen. Noch einmal besuchen die beiden erst ein Café und danach Hee-jungs Wohnung. Noch einmal kommt es im Zuge eines alkoholseligen Abendessens zu hilflosen Selbstentblößungen.
Regeln nicht erklärt
Ein vermeintlich simples Spiel, dessen sonderbarer Reiz darin besteht, dass seine Regeln nicht erklärt werden. Weder führt Hong eine Hierarchie in die erzählerische Anordnung ein, indem er zum Beispiel eine der beiden Filmhälften zu einem Traum erklärt; noch fügen sich die vielen kleinen und wenigen größeren Differenzen zu einem eindeutig dechiffrierbaren Muster.
Im ersten Durchgang malt Hee-jung einen Pinselstrich mit orangeroter Farbe, im zweiten mit hellgrüner. Auch wenn einige andere Verschiebungen etwas schwerer wiegende Folgen zeitigen, scheinen sie doch stets ähnlich willkürlich gewählt. Auch der Titel gib nur scheinbar eine Hilfestellung: Von welchem richtigen Jetzt aus könnte man in diesem Film auf ein falsches Früher blicken?
„Right Now, Wrong Then“. Regie: Hong Sang-soo. Mit Jung Jae-young, Kim Min-hee u. a. Südkorea 2015, 121 Min.
Was bleibt, ist das Prinzip der Wiederholung selbst: Im Zweifel machen wir es einfach noch einmal. Dieses „noch einmal“ ist für Hongs Kino auf vielen Ebenen zentral. Schon dass er seine Filme durchnummeriert, ist kein Zufall. Das serielle Prinzip, das sein Werk als Ganzes prägt, schreibt sich in alle seine Film ein, wenn auch nicht immer so explizit wie in „Right Now, Wrong Then“.
Und in gewisser Weise prägt es auch die Psyche seiner Figuren. Denn denen bleibt ebenfalls nichts anderes übrig, als wieder und wieder die gleichen ziellosen Gespräche zu führen, sich wieder und wieder in von Anfang an heillos verfahrene Liebesgeschichten zu stürzen. Wenn alles nichts mehr hilft, tut man, was am wenigsten hilft, und bestellt eine weitere Runde Soju.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!