piwik no script img

Neuer Podcast über den Fall Lina E.Fragen bleiben offen

Lina E. wird die Bildung einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Ein neuer Podcast bereitet die Story auf.

Soli-Demo für Lina E. und gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus im Herbst 2021 in Leipzig Foto: M. Golejewski/Adora

Es ist einer der medienwirksamsten Fälle der vergangenen Jahre: der Fall Lina E., der seit Herbst 2021 vor dem Oberlandesgericht Dresden verhandelt wird. Ihr wird vorgeworfen, Anführerin in einer Reihe linker Angriffe auf Neonazis gewesen zu sein. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten steht um die Angeklagte eine Gruppe unter dem Vorwurf der Bildung einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung vor Gericht – auch wenn die Beweislage noch immer umstritten ist.

Bei all der Medienwirksamkeit wundert es nicht, dass es nun einen aufwändigen Recherchepodcast zum Thema gibt. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) hat gemeinsam mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Serie produziert. Seit Januar erscheint der Podcast unter dem Titel „Der Fall Lina E. Wenn der Kampf gegen Neonazis in Gewalt eskaliert“.

In fünf Folgen werden die Hintergründe zum Fall besprochen: die Tatnacht, Aktivitäten der Neonazis in Thüringen, Linksradikale und das Verhältnis zur Polizei, die Soko Linx in Sachsen, der Kronzeuge oder die Frage, ob Gewalt gegen Neonazis gerechtfertigt ist. Recherchiert und aufbereitet haben den Podcast zwei erfahrene Journalistinnen, die mit der lokalen Politik ebenso vertraut sind wie mit Recherchejournalismus.

Gut recherchiert, Hintergründe sind kontextualisiert

Denise Peikert und Antonie Rietzschel arbeiten beide als Reporterinnen für die LVZ, zuvor auch für überregionale Medien. Die Expertise der beiden tut dem Podcast gut: Die Fakten sind genau recherchiert, die Hintergründe werden kontextualisiert.

Auch das Storytelling funktioniert. Sprecherin Peikert zeichnet wirksame Bilder im Kopf der Hö­re­r*in­nen – beispielsweise das Sicherheitsspektakel, das Polizei und Justiz veranstalten, wenn Lina E. in den Gerichtssaal geführt wird. Das hilft zu verstehen, welche Funktion die Narrative um Lina E. erfüllen – nämlich eine in großen Teilen symbolische.

So erklärt Folge 3, dass die deutschlandweit einmalige Soko Linx eigentlich sonst kaum Ermittlungserfolge verzeichnet. Die gewaltigen Vorwürfe dienen eben auch als Legitimation der fragwürdigen Ermittlungseinheit. Leider bedient der Podcast sich an einigen Stellen selbst dieser Narrative. Zum Beispiel, wenn LVZ-Re­por­te­r*in­nen durch Connewitz laufen und sich dabei aufnehmen, wie sie bunte „Free Lina“-Graffiti und Spendendosen im Viertel entdecken.

Mythos des linksautonomen Connewitz

Sie schließen daraus, dass Lina E. „in Connewitz als Heldin verehrt wird“. Diese Pauschalisierung bedient nicht nur den medial angeheizten Mythos vom linksautonomen Connewitz. Sie verkennt auch, dass es in den Solidaritätsbekundungen mit Lina E. weniger um Heroisierung, als vielmehr um eine linke Praxis geht.

Auch mit dem Extremismusbegriff nehmen die Autorinnen es nicht immer so genau. Mal wird von Linksextremen gesprochen, mal von Linksradikalen. Immer jedoch stehen diese im Verhältnis zu den Rechtsextremen. Damit übernimmt der Podcast die bei Ermittlungsbehörden beliebte hufeisenartige Extremismusdefinition, die von Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r*in­nen schon lange kritisiert wird.

Und das, obwohl es an anderer Stelle sehr wohl eine sehr differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage der Vergleichbarkeit der polizeilichen Statistik von rechtsextremen und linksextremen Straftaten gibt.

Fazit: Das, was polizeilich als linke Straftaten geführt wird, sind oftmals nur Graffiti. An einigen Stellen wünscht man sich mehr Raum, um diese Kontexte zu verstehen. Gerade wenn es um die Kritik an der Soko Linx oder die Heterogenität der linken Szene in Leipzig geht. Auch werden dem Kronzeugen Johannes D. und seinen Aussagen viel Raum gegeben.

Geschichte noch nicht zu Ende

Zwar sind sie für den Prozess und damit den Podcast ein wichtiger Aspekt. Doch zu kurz kommt: Für viele gilt seine Aussage als Rachefeldzug gegen jene, die ihn zuvor wegen Vergewaltigungsvorwürfen aus Strukturen ausgeschlossen haben. Kann man einem mutmaßlichen Sexualstraftäter glauben? Diese Frage wirft der Podcast nur am Rande auf.

Der Podcast

„Der Fall Lina E“, zwei Episoden überall, wo es Podcast gibt, die restlichen für LVZ und RND Abonennt*innen“ von Denise Peikert & Antonie Rietzschel, zu hören überall, wo es Podcasts gibt

Was den Autorinnen gut gelingt, ist vielseitige Perspektiven auf den Fall Lina E. zu Wort kommen zu lassen und dabei den Hö­re­r*in­nen selbst das Urteil zum viel debattierten Fall zu überlassen. Wir hören linke Ak­ti­vis­t*in­nen ebenso wie die Polizei oder einen Soziologen. Nur: Die Perspektive von Lina E. selbst findet gar nicht statt – weder durch Freund*innen, noch durch ihre Verteidiger.

Das wiederum liegt einerseits an dem besprochenen erschwerten Zugang zur Szene. Und daran, dass der Prozess noch nicht abgeschlossen ist – in laufenden Verfahren redet fast niemand mit der Presse. Der Podcast erzählt eine Geschichte, die noch gar nicht zu Ende ist.

Unterhaltung statt Erkenntnisse

Die Folgen sind gut erzählt und korrekt recherchiert – mit dem Fokus auf Nacherzählung des Geschehenen bleibt er aber in erste Linie Unterhaltungsformat, statt neue Rechercheerkenntnisse zu liefern. In einem noch laufenden Verfahren ist das auch schwer möglich.

Deshalb wäre es spannend gewesen, tiefer in die Gerichtsprozesse einzusteigen und Aussagen, Zeu­g*in­nen und Beweise genauer zu beleuchten. Vielleicht hätte man dafür noch ein paar Monate bis zum Prozessende warten sollen. Mehr Zeit, mehr Folgen, mehr Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen und die gleichen Autorinnen – das hätte den Pod­cast noch besser gemacht.

Die taz hat die ersten vier Folgen freundlicherweise zur Verfügung gestellt bekommen. Folge fünf ist in dieser Rezension noch nicht eingeschlossen. Darin soll die Frage der Legitimation von Gewalt gegen Neonazis diskutiert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.