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Neuer Oppositionsführer in ItalienExkommunist setzt sich durch

Der frühere Wirtschaftsminister Pier Luigi Bersani siegt bei den Urwahlen für den Vorsitz der oppositionellen Demokratischen Partei mit gut 50 Prozent der Stimmen.

Mit dem neuen Oppositionsführer Bersani hoffen viele auf einen starken Kontrahenten zu Berlusconi. Bild: dpa

ROM taz | Italien hat einen neuen Oppositionsführer. Bei den am Sonntag von der Demokratischen Partei abgehaltenen Urwahlen für den neuen Parteichef konnte sich der 58-jährige Pier Luigi Bersani mit gut 50 Prozent klar gegen seine beiden Mitbewerber durchsetzen. Der seit Februar als Übergangsparteichef amtierende Dario Franceschini erhielt etwa 33 Prozent, während der Außenseiterkandidat Ignazio Marino mit rund 16 Prozent ein überraschend gutes Ergebnis erzielte.

Zum Erfolg wurden die Urwahlen für die Demokratische Partei allein schon wegen der hohen Beteiligung. Mehr als drei Millionen Mitglieder und Anhänger gaben in den 10.000 Wahllokalen ihre Stimme ab. Teilnehmen durften alle Italiener sowie regulär in Italien lebende Ausländer über 16 Jahre. Diese mussten bereit sein, 2 Euro zu entrichten und eine Erklärung zu unterzeichnen, in der sie sich als Wähler der Partito Democratico (PD) bekannten.

Die hohe Beteiligung steht für die Sehnsucht großer Teile der oppositionell gesinnten Wählerschaft, eine Partei zu bekommen, die sich gegen Silvio Berlusconi in Stellung bringt, statt ihre Energien in internen Auseinandersetzungen zu verschleißen. Dieses hatte die im Herbst 2007 aus der Fusion der Linksdemokraten mit der Mittepartei Margherita entstandene PD seit Berlusconis Wahlsieg im April 2008 ununterbrochen getan.

Die Auseinandersetzungen überschatteten auch die Urwahlen. Der frühere Christdemokrat Dario Franceschini hatte schon dem ersten PD-Vorsitzenden Walter Veltroni als Vize gedient. Gemeinsam mit Veltroni hatte er das Modell einer "fluiden" Partei nach US-amerikanischem Zuschnitt verfochten. Zugleich sollte diese Partei ohne weitere Bündnispartner die Mitte der Wählerschaft erobern, kurz: "allein mehrheitsfähig" sein.

Pier Luigi Bersani dagegen setzt auf bewährte Politikmuster. Bersani, noch in der glorreichen KPI groß geworden, stammt aus der Emilia Romagna, der Kernregion der italienischen Linken - einer Linken, die dort seit Jahrzehnten regiert und durch eine lange Schule des politischen Pragmatismus gegangen ist. Bersani, von 2006 bis 2008 Wirtschaftsminister, will zurück zu soliden Parteistrukturen.

Statt der Fixierung auf Urwahlen will er die Ortsvereine aufwerten. Zugleich gibt er sich überzeugt, dass Berlusconi nur zu schlagen ist, wenn die Partei Bündnisse sowohl zur christdemokratischen Mitte hin als auch an ihrem linken Rand eingeht. Wenn der neue Chef Erfolg haben will, muss er jedoch auch das deutliche Votum für Ignazio Marino zur Kenntnis nehmen.

Der Chirurg kam erst bei den Wahlen 2008 als politischer Seiteneinsteiger ins Parlament. Selbst bekennender Katholik, streitet Marino vehement für größeres Selbstbewusstsein der PD gegenüber dem Vatikan bei Ethik- und Bürgerrechtsthemen wie Sterbehilfe und Homoehe. In den Großstädten wie Rom oder Mailand überzeugte er damit deutlich mehr als 20 Prozent der Parteianhänger. Auf einem anderen Politikfeld wird Bersani von sich aus die Partei nach links rücken: Er will sie wieder klar als Vertreterin der Interessen der Arbeitnehmer positionieren.

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3 Kommentare

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  • DA
    Dr. Axel Ridder

    Antwort auf: Unzeit-gemaess

    Das ist ja gerade der Punkt, dass Parteien keine eigenen Meinungen haben, sondern nur Personen. Nicht aus Parteien ist die Demokratie im alten Griechenland entstanden, sondern aus dem Wettbewerb von Ideen von Personen. Parteibuerokraten sind auch Personen, die aber das autonome Verbandsinteresse von Parteien vertreten. Eine Minderheit von Parteimitgliedern versucht, an die Macht zu kommen oder Wahlen zu manipulieren.

    Warum waren die Wahlen in den USA so ergreifend? Ohne Vorwahlen waere vielleicht McCain oder ein Bush-protegee an die Macht gekommen, weil sich neue Ideen in Parteien so schwer durchsetzen.

    Warum wohl gibt es in Europa so viele Parteineugruendungen?

    Amerikas Vorwahlen waren ein Grundkurs in Demokratie.

    (Uebrigens wer sich fuer eine Partei registrieren laesst, kann sich nicht auch fuer eine andere Partei registrieren lassen. Selbst eine grosse Partei bringt niemals noch 3 Millionen Extramitglieder auf, siehe obigen Artikel)

  • U
    Unzeit-gemäß

    Ich halte nichts von dem System offener Vorwahlen.

     

    Vorwahlen, bei denen auch Nicht-Mitglieder stimmberechtigt sind, verlagern das politische Gewicht hin zu jenen jenen, die ihre Informationen über das Parteileben und die verschiedenen Meinungen nur aus ZWEITER HAND haben: nämlich aus den Medien.

     

    Die Diskussion in den Ortsvereinen wird umgangen und tendenziell überflüssig. Die Partei WIRBT nicht mehr für EIGENE Positionen, sondern nominiert von vornherein, den, der am dichtesten am aktuellen Meinungstrend ist - eine VORselektion, die den Wettbewerb der Ideen abwürgt bevor er überhaupt beginnt. Demoskopie statt Demokratie sozusagen.

     

    (Ferner gibt es natürlich die Möglichkeit 'feindlichen Übernahme' durch Aktivisten anderer Parteien.)

  • DA
    Dr. Axel Ridder

    Italien hat das geschafft, was den Deutschen bis jetzt noch nicht eingefallen ist. Der Artikel nennt es Urwahlen, die Wissenschaft nennt es Vorwahlen, die Amerikaner nennen es primaries: nicht nur Parteimitglieder oder die Parteibuerokratie, sondern auch Parteisymphatisanten stellen die Kandidaten auf. Das wuerde fuer eine Erneuerung der Parteistrukturen in der BRD oder in ganz Europa sorgen. Bitte lesen Sie meinen Beitrag "Vorwahlen statt Ueberhangmandate: mehr Demokratie wagen"

    http://bit.ly/3SO8pt