Neuer Klimaplan der EU-Kommission: Radikale Ziele für drei Euro pro Bürger
Im Europaparlament hat die Kommission fast einhellige Zustimmung zu ihren Energiegesetzen bekommen - die Debatte darüber hat begonnen.
So entspannt hat man den Kommissionspräsidenten selten gesehen. José Manuel Barroso schien schon beim Betreten des Europaparlaments zu wissen, dass sein kurz zuvor von der Kommission beschlossenes Klimapaket von den meisten Abgeordneten wohlwollend aufgenommen würde. Und so war es dann auch. Weder Konservative noch Sozialisten, Liberale, Linke oder Grüne hatten ernsthafte Einwände.
Lediglich ein paar skurrile Außenseiter meldeten Bedenken an. So unterhielt etwa der britische Ukip-Abgeordnete Graham Booth das Hohe Haus mit Spekulationen über eine neue Eiszeit. "Was machen wir, wenn es kälter wird?", fragte er Barroso. "Sollen wir dann plötzlich wieder mehr CO2 produzieren? Es ist doch bekannt, dass viel mehr Menschen an zu viel Kälte sterben als an zu viel Wärme." Bei diesen Worten lehnte sich der Kommissionspräsident in seinem Sessel zurück und lachte aus vollem Hals - wie ein Mann, der die Schlacht schon gewonnen hat.
Dabei geht sie nun erst los. Denn die Mitgliedsstaaten werden in den nächsten Wochen das Kleingedruckte lesen und ausrechnen, welche Kosten auf sie und ihre wichtigsten Industriezweige zukommen. Die Abgeordneten werden das Gleiche tun. Spätestens seit der langen Debatte über die Chemikaliengesetzgebung Reach ist klar, dass ihnen die Nöte der Unternehmer und Beschäftigten in ihrem Wahlkreis allemal näher liegen als die mögliche Umweltbelastung für künftige Generationen.
Wie teuer das ganze System aus Emissionshandel, Emissionsreduzierung und einem deutlich erhöhten Einsatz von erneuerbaren Energien für Unternehmen und Verbraucher wird, kann jetzt natürlich noch niemand sagen. Es wird vor allem davon abhängen, wie sich Öl- und Gaspreis entwickeln und ob sich beim nächsten Klimagipfel 2009 in Kopenhagen die USA und Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien dem Emissionshandel anschließen.
Branchen wie der Energiesektor, der erhöhte Kosten an den Verbraucher weitergeben kann, sollen von 2013 an Verschmutzungsrechte auf Auktionen kaufen müssen. Dadurch könnte sich der Strompreis nach Berechnungen von Experten um 15 bis 20 Prozent verteuern. Dem stehen andere Modellrechnungen gegenüber, nach denen das gesamte Paket die Bürger mit lediglich 3 Euro pro Woche belasten wird - gegenüber 50 bis 60 Euro durch die Folgeschäden, die durch starke Klimaveränderungen entstehen. Doch das sind zunächst nur recht spekulative Modellrechnungen, die auf einem Gesetzespaket basieren, das noch viele weiße Flecken enthält.
Klar ist nur, dass in der dritten Phase des Emissionshandels ab 2013 die Einsparziele beim CO2-Ausstoß nicht mehr auf die Nationalstaaten umgelegt, sondern EU-weit berechnet werden. Neue Industriezweige wie Produzenten von Aluminium und Ammoniak werden einbezogen. Auch weitere Gase wie Lachgas und Fluorkohlenwasserstoff sollen berücksichtigt werden. Starten will die EU-Kommission mit Verschmutzungsrechten im Wert von 1.974 Millionen Tonnen CO2, was dem Durchschnittswert der Jahre 2008 bis 2012 entspricht. Von diesen Rechten sollen "ungefähr 60 Prozent" auf Auktionen versteigert, der Rest soll frei verteilt werden. Die Auktionseinnahmen fließen den Mitgliedsstaaten zu, ärmere Länder sollen relativ mehr profitieren als reiche. Die Mittel sollen dem Klimaschutz zugutekommen.
Der enorm brisanten Frage, welche Industriezweige zunächst noch kostenlos versorgt werden und wie viel sie bekommen, weicht die Kommission aus. Bis 2020 sollen alle Sektoren einbezogen sein und sämtliche Verschmutzungsrechte auktioniert werden. Doch auch hier hält sich die Kommission ein Hintertürchen offen: "Andere Industriezweige und der Flugverkehr werden schrittweise an das System herangeführt. Ausnahmen kann es für Industriezweige geben, die unter besonderem Druck durch Wettbewerber in Ländern stehen, die keine Systeme zur Reduzierung von CO2 haben." Das Hauen und Stechen der Mitgliedsstaaten untereinander, das durch ein EU-weites Auktionssystem beseitigt werden sollte, könnte dann auf der Ebene einzelner Industriestandorte weitergehen.
Die Chemikaliendebatte und die geplante Gesetzgebung für den CO2-Ausstoß von Pkws hat schon einen Vorgeschmack davon gegeben, welche EU-Mitgliedsstaaten sich dann schützend vor die heimischen Industriestandorte stellen werden. Es dürften dieselben sein, die sich in Bali besonders lautstark für Klimaschutz ins Zeug legten.
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