Neuer Film von Paolo Sorrentino: Die Blicke der anderen
Paolo Sorrentino erzählt in seinem neuem Film „Parthenope“ von den Wirkungen der Schönheit seiner Protagonistin. Schauplatz ist wieder einmal Neapel.

Auf den ersten Blick stellt man sich Schönheit als etwas vor, das das Leben bereichert. Aber man erfasst auch schnell, dass diese Bereicherung einen Preis hat. Die Besessenheit von Schönheit kann ablenken, irritieren, in die Irre führen. Macht die Schönheit einer Stadt ihre Bewohner glücklich? Macht die Schönheit einer Frau ihre Verehrer glücklich? Und was macht sie selbst, die Schönheit, glücklich?
„Parthenope“. Regie: Paolo Sorrentino. Mit Celeste Dalla Porta, Gary Oldman u. a. Italien/Frankreich 2023, 136 Min.
„Parthenope“ ist ein eigenartiges Biest von einem Film. Wie man es vom Regisseur von „La grande bellezza“, „The Young Pope“ und „Die Hand Gottes“ schon kennt, gleicht er visuell einem Festmahl: Fast jede einzelne der Aufnahmen ist von ausgesuchter Raffinesse. Der Blick der Kamera, egal ob er sich den luftigen Interieurs einer neapolitanischen Villa, dem düsteren Gepränge einer Kirche oder der transparenten Weite eines Meerblicks zuwendet, kommt stets mit dem Gestus daher, dem Publikum einen Schatz zu präsentieren.
Aber bei all dem Hang zur Ästhetik eignet dem Film auch etwas Vorläufiges und Collagenhaftes: Die einzelnen Episoden, die er erzählt, wirken zerrissen, wenn nicht gar unzusammenhängend. Sein laszives Tempo schlägt manchmal in Trägheit um, anderes wirkt übereilt. Alles ist immer ein bisschen zu üppig.
Wie bei Fellini
Es beginnt mit Szenen wie aus dem Fellini-Methoden-Buch. Man schreibt das Jahr 1950. Ein alter dicker Mann mit schwarzer Sonnenbrille und weißem Leinenanzug steht neben einer Goldkutsche auf einer Art Floß vor seiner Villa am Golf von Neapel. Er habe die Kutsche aus Versailles überführt, erklärt er einem staunenden kleinen Jungen.
Dessen Mutter ist hochschwanger und bringt bald in den flachen Wellen der kleinen, privaten Bucht am Fuße dieser Villa eine Tochter zur Welt. Aus den Fenstern und Balkonen klatschen Menschen in altertümlicher Kostümierung dazu Beifall.
Der schmächtige Vater, der abseits der Geburtshelfer ebenfalls im Wasser steht, fragt den dicken Mann im weißen Anzug nach dem richtigen Namen für das Mädchen. Und der weist mit dem Arm zur Stadt Neapel hin und ruft: „Parthenope! Wir nennen sie Parthenope!“
Die Stadt Neapel und die Sirene Parthenope sind mythologisch miteinander verbunden: Als letztere sich aus Verzweiflung darüber, Odysseus nicht betören zu können mit ihrem Gesang – er hat sich bekanntlich an den Schiffsmast binden lassen –, ins Meer stürzte, sei ihr Körper da aufgetaucht, wo heute Neapel liegt.
Überall Verehrer
Weiter geht es ins Jahr 1968 und Sorrentino präsentiert seine Parthenope (Celeste Dalla Porta in ihrer ersten großen Kinorolle) als junge Frau, die mit ihrer Schönheit alle Blicke gleichsam magnetisch auf sich zieht. Fast komödiantisch setzt er das in Szene: Da ist das Straßencafé, in dem sich ihr ein Ballett aus Köpfen zuwendet.
Empfohlener externer Inhalt
Da ist das Ruderboot, in dem die ganze Besatzung aus Männern in Sportkleidern wie in Ehrfurcht erstarrt, als sie die schöne Frau auf ihrem Balkon erblickt. Sogar aus der Luft lässt man sie nicht in Ruhe: Dort kreist ein besonders obsessiver Verehrer im Hubschrauber, der wieder und wieder einen Emissär schickt, der Parthenope um eine Rendezvous bittet.
Eigentlich würde man angesichts dieser Hauptfigur einen Film über Liebe und Leidenschaft erwarten. Aber Sorrentino geht es erstaunlich wenig um Gefühlsgeschichte. Er interessiert sich weniger für das Innenleben seiner Hauptfigur als für Wechselwirkung, die ihre Schönheit auf ihre Umgebung hat.
Moderne Freizügigkeit
Dabei gesteht er ihr durchaus Charakter zu. Er zeigt sich nicht nur in einem selbstbestimmten Umgang mit ihren Verehrern, von denen sie die einen ohne viel Umschweife ablehnt, andere aber mit sehr moderner Freizügigkeit annimmt. Sie nutze ihre Schönheit gar nicht richtig aus, wirft ihr im Lauf des Films mal jemand vor.
Und in der Tat, als sie nach einem Unglücksfall in der Familie ihr Studium abbricht und sich bei einer alten Diva (Isabella Ferrari) für eine Schauspielerinnen-Karriere unterweisen lässt, entdeckt sie die engen Grenzen, die diesem „Ausnutzen von Schönheit“ gesteckt sind. Die Diva selbst verhüllt ihr Gesicht Tag und Nacht – sie will es niemandem mehr zeigen, aus Angst, man halte sie dann nicht mehr für begehrenswert.
Begegnungen wie diese verleihen dem Film die Anmutung einer Pikareske, eines „Schelmenromans“, mit Parthenope als erfahrungshungriger, naiver Protagonistin, die die Widersprüchlichkeiten des Lebens in verschiedensten kulturellen und sozialen Schichten kennenlernt.
An der Seite eines Mafioso-Liebhabers wohnt sie dem öffentlichen Vollzug einer Hochzeitsnacht bei, mit dem zwei verfeindete Clans ihre Aussöhnung besiegeln wollen. Später recherchiert sie für ihre Doktorarbeit zum Blutwunder von Neapel, lässt sich auf die Verführungskünste des eitlen Kathedralen-Priesters ein und weckt durch ihren eigenen Organismus das Blut aus der Erstarrung.
Studium der Anthropologie
Denn was Sorrentinos Film außerdem noch von anderen Filmen über schöne Frauen unterscheidet, ist die Tatsache, dass Parthenope ihr Studium an der Universität durchaus ernst nimmt. Ihr Fach ist die Anthropologie. Die schöne junge Frau wird die Musterstudentin eines kauzigen Professors (Silvio Orlando), der seinen Studenten den Toilettengang mit den Worten untersagt, sie sollten an der Universität stets „gepinkelt und geschissen“ erscheinen.
Aber nie kommt es zu einer erotischen Annäherung zwischen ihnen: „Sie sind mir ähnlich“, sagt der hässliche kleine Mann zu seiner modellhaft schönen Studentin schließlich. Was er damit meint, gehört zu den Mysterien dieses Films. Die Lust dazu, darüber nachzudenken, dürfte entscheidend dafür sein, ob einem der Film gefällt.
Sorrentino präsentiert seine Passion für neapolitanische Stadtgeschichte und die Erfahrungen von Jugend und Vergänglichkeit hier etwas weniger stringent als noch in seinem stark autobiografisch geprägten „Die Hand Gottes“ (2021). Fast scheint es so, als würde sich sein eigener Blick angesichts der Schönheit seiner Hauptdarstellerin verkrümmen und verzerren.
Aber letztlich bezwingt er den Fluch, indem er die Blicke der anderen auf Parthenope bloßstellt. Dabei entstehen Vignetten, die manchmal wie Werbefotografie daherkommen, aber dank ihrer sorgfältigen Ausstattung mit Epochen-Details in Kleidern, Frisuren und Körperhaltungen eine große atmosphärische Dichte annehmen. Sie sind gesättigt von Melancholie – Melancholie nicht als gefällige, bittersüße Geschmackszutat, sondern als Ausdruck einer tiefsitzenden, existenziellen Verzweiflung.
Spezieller Sog des Films
Wer sich auf den Strom der Bilder Sorrentinos einlassen kann, wird dennoch den speziellen Sog erleben, den seine wilde Mischung aus Anekdote, Mythos und Biografie erzeugt. Den historischen Cholera-Ausbruch, den Neapel 1973 noch erlebte, bebildert er durch einen Straßenreinigungswagen, der mit seinen beweglichen Spritzen einem antiken Fabelwesen gleicht und sich dem Trauerzug entgegenstellt, in dem Parthenopes Bruder nach seinem Selbstmord zu Grabe getragen wird. Später sieht man in Zeitlupe protestierende Studierende, die mit Molotowcocktails eine Polizisten-Schranke angreifen, ohne weitere historische Einordnung.
Parthenope selbst verlässt schließlich ihr geliebtes Neapel für eine akademische Karriere in Norditalien. Im Epilog wird sie von der großartigen, 78-jährigen Stefania Sandrelli verkörpert, die nach ihrer Emeritierung als Besucherin zurückkehrt. Vor ihrem wehmütigen Auge entfaltet sich das neapolitanische Stadtspektakel mit johlenden Fußballfans und flanierenden Passanten wie eh und je. Und tatsächlich ist es schade, dass der Film dann vorbei ist.
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