Neuer Film „Pelikanblut“ mit Nina Hoss: Hexenkräuter wachsen am Rand
Nina Hoss spielt in Katrin Gebbes Film „Pelikanblut“ eine unheimliche Pferdetrainerin. Das namensgebende Tier gilt als Symbol der Aufopferung.
Pferde sind Fluchttiere. Wittern sie eine potenzielle Gefahr, wollen sie eigentlich stehenden Hufes abhauen. Das zu vermeiden, haben sich Reiter*innen und Pferdetrainer*innen zur Aufgabe gemacht: Sie bauen Vertrauen auf, beruhigen, zügeln (im wahrsten Wortsinn) die Angst. Besonders schwer ist es, Polizeipferde an ihre potenziell herausfordernde Umgebung zu gewöhnen – an die Enge von Demonstrationen, die plötzlichen lauten Geräusche, die Explosionen, die Gerüche. Nicht alle schaffen es, ihre Panik hinter sich zu lassen – regelmäßig drehen einige Reittiere durch.
In Katrin Gebbes Drama „Pelikanblut“ arbeitet die Pferdetrainerin Wiebke (Nina Hoss) mit ebendiesen „Problemtieren“: Sie ist Expertin für die (tierische) Angst. An ihrem Hof, auf dem sie mit der Adoptivtochter Nicolina (Adelia-Constance Ocleppo) lebt, versucht sie mit verschiedenen Methoden, das Vertrauen der felligen Patienten wiederzugewinnen. Sie nähert sich ihnen, beobachtet, spricht; und verringert so in Monty Roberts’ Pferdepflüsterer-Manier langsam die Distanz.
„Pelikanblut – Aus Liebe zu meiner Tochter“. Regie: Katrin Gebbe. Mit Nina Hoss, Katerina Lipovska u. a. Bulgarien/Deutschland 2019, 121 Min.
Als Wiebke die Chance bekommt, endlich ein zweites Mädchen zu adoptieren, freut sich die kleine Familie. In einem Waisenhaus in Bulgarien trifft Wiebke auf die fünfjährige Raya (furios gespielt von Katerina Lipovska). Das Kind wirkt mit seinen blonden Locken und seiner offenen Art zunächst wie ein Engel und scheint sich gut auf dem Hof einzugewöhnen.
Aber schnell verändert sich sein Verhalten – aus dem Engel wird ein gewalttätiges, jähzorniges, irrationales Wesen, das Nicolina und vor allem Wiebke immer mehr Angst macht. Raya rastet aus, droht, schreit, beschmiert in einer beklemmenden Szene das Kinderzimmer mit Fäkalien. Raya, so diagnostiziert es ein Kinderpsychologe, offenbart ein Trauma, das zu groß scheint, um es zu bewältigen – selbst für eine Expertin wie Wiebke.
Ein jähzorniges Mädchen
Doch Wiebke, deren unbedingte, fast schon sperrige Autarkie von Nina Hoss deutlich angelegt wird und die es gewöhnt ist, auch bei hoffnungslosen Fällen „im Sattel zu bleiben“, greift zu Methoden, die nicht in Lehrbüchern stehen. Und lässt in das sensible Psychogramm einer Mutter-Tochter-Annäherung sukzessive Merkmale eines völlig anderen Genres einsickern: schaurige Spuren von „female body horror“.
„Schon als das Mädchen das erste Mal nachts an Wiebkes Bett steht, geht es um Todesangst. Und dieser Angst nähere ich mich mit Genreelementen an“, erklärt Regisseurin Gebbe, deren Erstlingsfilm „Tore tanzt“ bereits eine vielschichtige, unerwartet verstörende Geschichte von Gewalt und Martyrium erzählte, im Interview.
Ihre beiden „Pelikanblut“-Protagonistinnen, das Kind und die Frau, sind sich ähnlicher, als man zunächst denkt: „Auch Wiebke ist etwas passiert, aber Nina und ich haben uns dafür entschieden, das nicht weiter zu beschreiben“, sagt Gebbe. „Es macht die Figur spannender und letztendlich größer, wenn der Zuschauer Räume ausfüllen kann.“
Richtung Mystik und Magie
Die Story kreist um weibliche Themen: „Ich wollte etwas über das Ideal der Mutterschaft machen und darüber, wie weit Empathiefähigkeit geht“, so Gebbe. Wiebke sucht sich nach der Konsultation des Arztes und dessen Diagnose zunächst im Internet Rat – und findet eine irritierende Methode, mit der angeblich das frühkindliche Mutter-Kind-Bonding nachgeholt werden kann.
Wiebkes restliches Leben, der romantisch interessierte Polizist Benedict (Murathan Muslu), ihre Arbeit, sogar die ältere Tochter leiden unter ihrer Besessenheit. Schließlich schaut die entschlossene Frau in Richtung Mystik und Magie.
Gebbes Film, den man zuvor noch als eine Art Geistesbruder von Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ empfinden konnte, biegt damit tiefer in einen ungewöhnlichen, düsteren Erzählweg ein, an dessen Rändern Hexenkräuter wachsen. Und den man durchaus feministisch lesen sollte: „Ich hatte zwar immer sehr gute Freunde“, sagt Gebbe, „aber in einer Krise kamen die Frauen, um mir Geschichten zu erzählen, mich aufzubauen, mit Kraft zu geben. Ich fand, das hatte etwas Archaisches.“
Der titelgebende Pelikan galt in der christlichen Ikonografie als Symbol für die Aufopferung – nach dem antiken Mythos pickt sich die Pelikanmutter ihre Brust blutig, um ihre Jungen zu füttern. Auch Wiebke wird weit gehen – dahin, wo die Psychologie anscheinend nicht mehr wirkt. Gebbe berichtet mit ihrer Geschichte von spirituellen oder archaischen Kräften, ohne dabei eine esoterische Lanze zu brechen, und ganz ohne Bekehrungsgedanken.
Ihr Film könnte darum ein geteiltes Echo finden: Er weigert sich frech, nur die eine oder die andere Lösung gelten zu lassen, lässt am Ende sogar offen, welche Methode welche Folgen hat.
Am Ende auch eine Emanzipationsgeschichte
Gebbe hält ihr Publikum ganz bewusst in der Schwebe – das auszuhalten, wird einigen Zuschauer*innen schwerfallen. Zudem bleiben die Nebenfiguren wie Benedicts Kolleg*innen, die Wiebkes Farm ebenfalls oft besuchen, hölzern bis blass, ihr Schauspiel wirkt aufgesagt. So als ob die Inszenierung der Hauptgeschichte ein wenig an der Energie für die Ränder genagt hätte.
Aber wie „Pelikanblut“ Psychologie, Spiritualität und feministischen Horror gleichzeitig streift; wie der Film Elemente einer Familienaufstellung, des Märchens „Die Gänsemagd“ und etwa eines frühen David Cronenberg-Films neu anordnet und in eine Emanzipationsgeschichte überführt – denn am Ende können die Männer in Wiebkes Dunstkreis nicht helfen, und auch den männlich konnotierten Pferden widerfährt ein unangenehmes Schicksal –, das ist schon couragiert und außergewöhnlich.
Pferde gelten in der weiblichen Heteropubertät als Übergangsobjekte, angeblich füllen sie eine Lücke zwischen der Kindheit und dem ersten Freund: Bis man sich den fremden männlichen Wesen wirklich nähert, ihnen und ihren Körpern wirklich vertraut, lässt man sich gern eine Weile beim „schönsten Glück der Erde“ vom freundlichen Pferderücken tragen. Vielleicht ist das nur Küchenpsychologie, aber der stetige Erfolg von Teenie-Pferdefilmen nach dem immer gleichen Muster spricht dafür.
„Pelikanblut“ ist von diesen Filmen so weit entfernt wie ein Monster vom Kaninchen. Man sollte etwaige Pferdemädchen im Bekanntenkreis somit nicht unbedingt ermutigen, hineinzugehen. Und stattdessen lieber ein paar gestandene, krisenerprobte Erwachsene mitnehmen: Die kommen auf ihre Kosten.
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