Neuer Chef der UN-Entwicklungshilfe: „Wir müssen uns stärker engagieren“
Hat Frieden Bestand in einer Welt, die Globalisierung nur als Gestaltung von Märkten versteht? Nein, sagt Achim Steiner, der die UN-Entwicklungshilfe verantwortet.
taz: Herr Steiner, die Finanzierung einiger UN-Programme steht auf der Kippe. Für die Hungerkrisen in Ostafrika ist nicht annähernd genug Geld zusammengekommen. Wie lässt sich vermeiden, dass Geld in Notsituationen fehlt?
Achim Steiner: Erst einmal ist es natürlich zu bedauern, dass wir im Jahr 2017 immer noch nicht in der Lage sind, schneller zu reagieren. Was wir im Augenblick erleben, ist ja fast ohne Präzedenz. Vier Hungerkrisen auf einmal, das hat es in der 70-jährigen Geschichte der Vereinten Nationen bis jetzt noch nicht gegeben. Wir haben in den Vereinten Nationen inzwischen auch einen Emergency Response Funds eingerichtet, der aber bislang unterfinanziert ist.
Sie meinen den UN-Katastrophenhilfefond CERF.
Genau. Der wurde erst vor einigen Jahren etabliert, um ein schnelles Handeln vor allem in Krisensituationen wie zum Beispiel Erdbeben oder Überschwemmungen zu ermöglichen. Aber er muss natürlich auch von der Internationalen Gemeinschaft entsprechend unterstützt werden. Wir haben in der Vergangenheit schon erlebt, dass Menschen mit einer enormen Großzügigkeit bereit sind zu helfen, wenn sie überzeugt sind, dass es eine dramatische Krise ist und davon, dass diese Mittel wirklich etwas bewirken können.
Donald Trump beispielsweise will an der Entwicklungshilfe sparen. Die USA waren im vergangenen Jahr immerhin drittgrößter Geber des UN-Entwicklungsprogramms.
Ich mache mir große Sorgen. Aber es sind keine unbekannten Sorgen. Es ist immer eine Herausforderung, die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass Investitionen in die Entwicklungszusammenarbeit nicht Almosen sind, sondern den gemeinsamen Interessen für die Zukunft dienen. Kleines Beispiel: Wenn wir Afrika zur Seite stehen können, in den nächsten 10 bis 20 Jahren eine Stromversorgung mit nachhaltigen Energiequellen statt fossiler Brennstoffe aufzubauen, dann schafft das Zugang zu dringend gebrauchter Energie für hunderte Millionen von Menschen in Afrika.
Der 55-jährige ist der neuer Leiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP. Bis 2016 war er Chef des UN-Umweltprogramms, bevor er als Direktor der Forschungsplattform Oxford Martin School zur Universität Oxford wechselte.
Aber gleichzeitig ermöglicht es dem afrikanischen Kontinent, in der internationalen Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu spielen – das hat Konsequenzen im positiven Sinne auch für Europa. Meine Aufgabe ist es, mit beiden Perspektiven Geberländer zu überzeugen, dass UNDP hier eine zentrale Rolle spielt. Dass Reformen bei UNDP notwendig sind, steht außer Frage, aber der Organisation zu diesem Zeitpunkt die Mittel zu kürzen, wäre das falsche Zeichen.
Wie soll die Neuausrichtung aussehen?
Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, wenn ich nur wenige Tage nach meiner Ernennung noch keine Agenda präsentiere. Die Generalversammlung der UN hat gerade einen grundlegenden Reformprozess initiiert. Für mich wäre es voreilig, da nun meine persönlichen Prioritäten zu setzen. Armutsbekämpfung und die nachhaltigen Entwicklungsziele werden zentrales Thema bleiben, aber auch Krisenmanagement – in solchen Situationen ist das UNDP mit Personal und Infrastruktur gefragt. Wichtig wird auch die Frage, wie Länder die Finanzierung ihrer eigenen Entwicklung voranbringen können, etwa wie mehr Investitionen aus der eigenen Volkswirtschaft und dem privaten Sektor mobilisiert werden können.
Die UN haben sich 2015 die nachhaltigen Entwicklungsziele gegeben, die soziale, ökonomische und ökologische Entwicklung zusammenfassen. Wie erklären Sie einem Palmölfarmer, dass er keinen Urwald für seine Plantage abholzen sollte, auch wenn ihm das Einkommen verschafft?
Das ist die große Herausforderung. Das Augenmerk darf aber nicht nur auf dem Kleinbauern liegen, sondern auch auf dem Weltmarkt, den Unternehmen, auf den Lieferketten. Die schaffen die Marktvoraussetzungen, innerhalb derer ein Produzent produzieren und verkaufen muss. Die Zukunft für Palmöl auf dem Weltmarkt deutet in Richtung Nachhaltigkeit. Dadurch wird eine solche Landwirtschaft auch wirtschaftlich für den Bauern sinnvoll.
Wenn Entwicklung und Umweltschutz eh zusammengreifen, warum legt man die UN-Programme nicht zusammen?
Analog wäre das ja die Frage: Soll ein Umweltministerium in Deutschland zum Beispiel mit dem Wirtschaftsministerium verbunden werden? Aber genau wie diese Ministerien unterschiedliche Mandate haben, hat auch das UN-Entwicklungsprogramm einen anderen, breiteren Auftrag als das Umweltprogramm. UNDP muss nicht nur dem Prinzip Nachhaltigkeit gerecht werden – es muss auch und vor allem Menschen, die durch Armut und Krisen gefährdet sind, besondere Priorität geben. Daher glaube ich nicht, dass diese zwei Institutionen effektiver arbeiten würden, wenn sie verschmolzen würden – aber eine abgestimmte Zusammenarbeit ist unabdingbar.
UNDP: Das „United Nations Development Programme“ ist eine der wichtigsten Agenturen der Vereinten Nationen, sein Chef ist protokollarisch der dritthöchste UN-Vertreter nach dem Generalsekretär und dessen Vize. Die 1965 gegründete Agentur kümmert sich um die Umsetzung der Entwicklungsziele und veröffentlicht den jährlichen Bericht zur menschlichen Entwicklung.
Krise: Derzeit überschatten die Folgen von Dürre am Horn von Afrika und Krieg in Südsudan und dem Tschadseebecken die entwicklungspolitischen Herausforderungen. Am 22. Februar startete die UNO Hilfsappelle über 4,4 Milliarden US-Dollar, um Hungerkatastrophen mit 20 Millionen Betroffenen im Jemen, in Nigeria, Somalia und Südsudan vorzubeugen. Zuvor hatte sie in einem Teil Südsudans die erste Hungersnot weltweit seit 2011 ausgerufen. Bisher sind zwischen 16 Prozent (Jemen) und 52 Prozent (Somalia) des Bedarfs eingegangen. (d.j.)
Einige Ländern ziehen sich auf nationale Egoismen zurück. Werden sie sich auch bei der Programmfinanzierung zurückziehen?
Das lässt sich schon jetzt erkennen. Nicht nur in Washington, auch in anderen Ländern erleben wir diese Diskussionen. Aber die OECD-Statistik deutet darauf hin, dass wir im letzten Jahr bei den Mitteln für die internationale Entwicklungszusammenarbeit einen Anstieg verbuchen konnten. Was aber natürlich zum Teil mit den Mitteln zusammenhängt, die für Flüchtlingsströme in Europa ausgegeben wurden – das ist ja ein legitimes Mittel. Trotzdem, in vielen Ländern besteht weiterhin eine Bereitschaft dazu, in die internationale Zusammenarbeit zu investieren. Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens auszugeben, weiterverfolgt.
Die Flüchtlingskosten im Inland nehmen rund ein Viertel der deutschen Entwicklungsausgaben ein. Die 0,7 Prozent hätten wir ohne sie nicht erreicht. Ist das nicht schlicht Schönrechnen?
Ich möchte jetzt nicht bewerten, ob diese OECD Kriterien richtig oder falsch sind – es gibt diese Regeln einfach, auch wenn die Meinungen dazu unterschiedlich sind. Im Fall Deutschland sind die Mittel für Entwicklung aber auch ohne Anrechnung der Flüchtlingsausgaben mit 0,52 Prozent des Bruttonationaleinkommens auf einem historischen Höhepunkt. Meine Schlussfolgerung ist aber: Es geht nicht um das Aufrechnen von Ausgaben. In einer Welt, in der Armut und Hunger weiterhin den Alltag von Hunderten von Millionen Menschen prägen, müssen wir uns vor Ort stärker engagieren. Frieden und Wohlstand haben keinen Bestand in einer Welt, die Globalisierung nur als Gestaltung von Märkten versteht.
In Deutschland spricht man über Entwicklungshilfe derzeit meist im Zusammenhang mit Fluchtursachenbekämpfung.
Politisch wie praktisch betrachtet ist das kompliziert. Entwicklungszusammenarbeit hat viele Ansätze und Begründungen. Fluchtursachenbekämpfung kann ohne Weiteres ein Bestandteil davon sein. Wenn im Sahel die ökologischen Voraussetzungen für Millionen von Menschen verbessert werden, dann ist das beides – Entwicklung und Fluchtursachenbekämpfung. Es wird in dem Moment zu einem Problem, wenn Entwicklungsfinanzierung nur noch unter Flüchtlings- oder sicherheitspolitischen Kriterien vergeben wird.
Müsste Deutschland sich mehr engagieren? Finanziell, um einzuspringen für die Länder, die sich nun zurückziehen, aber auch politisch?
Ich glaube, international wird anerkannt, dass Deutschland eine herausragende und auch konstruktive Rolle spielt. Die G-20-Präsidentschaft gibt der Bundesregierung und Kanzlerin Merkel die Möglichkeit, Akzente für das gemeinsame Handeln der G 20 zu den großen Herausforderungen zu setzen. Der Gipfel gewinnt damit dieses Jahr – nach den US-Wahlen – eine ganz besondere Bedeutung. Aber, klar ist auch, dass andere Länder natürlich nicht einfach in die Bresche springen wollen, wo die Vereinigten Staaten sagen: So, hier wollen wir unsere Verantwortung nicht mehr wahrnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten