Neuer Chef der „Berliner Zeitung“: Die innere Pressefreiheit
Matthias Thieme leitet neuerdings die „Berliner Zeitung“. Wichtiger noch: Die Redaktion arbeitet an einem Statut, um die Friedrichs im Zaum zu halten.
D ie Berliner Zeitung hat einen neuen Chefredakteur. Gut, Matthias Thieme entspricht auf den ersten Blick nicht ganz der Maxime „Für Berliner, von Berlinern“, die die Internetadresse des Blattes bei jedem Aufruf ungefragt mit ausspuckt. Schließlich hat Thieme seine Karriere in Frankfurt am Main begonnen und war bis zum Ruf nach Berlin stellvertretender Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, des lokalen Platzhirschen in der Bankenstadt.
Doch irgendwie ist er natürlich längst Berliner, Medienberliner jedenfalls. Wir kennen uns noch von der taz, für die Frankfurter Rundschau und für die DuMont-Redaktionsgemeinschaft war er dann ebenfalls in der Hauptstadt unterwegs. Und jetzt übernimmt der Mensch, der vor gerade einmal zehn Tagen offiziell den Posten des Digitalchefs beim Berliner Verlag antrat, gleich den ganzen Laden. Also die Chefredaktion der Berliner Zeitung und von deren Boulevard-Schwester Berliner Kurier.
Die bisherigen Chefs Jochen Arntz und Elmar Jehn gehen. Obwohl Berliner-Verlag-Eigentümer Holger Friedrich die beiden gegenüber der Süddeutschen neulich noch „coole Typen“ nannte, bei denen man „nicht gut beraten wäre“, sie infrage zu stellen.
Das ist nun doch passiert. Mit knappem Dank („Engagement für die Titel“) und Lob für den „Beitrag in der Phase des Übergangs“ vom Voreigentümer DuMont zum „unabhängigen Berliner Medienhaus“. Man darf davon ausgehen, dass sie gehen, weil es die Eigentümer so wollen. Denn Silke und Holger Friedrich wollen bekanntlich ja eine ganze Menge.
Die Redaktion erarbeitet ein Statut
Zumindest in der englischen Version der Website steht ihr umstrittenes Editorial „What we want“ auch noch recht prominent online auf der Startseite. Hierin finden sich neben respektablen Mission-Statements der beiden auch beliebig in den falschen Hals zu Kriegendes – wie ein Lob auf den letzten DDR-Chef Egon Krenz, weil dieser 1989 nicht die Panzer rollen ließ. Die Branche war entsetzt. Und dann kam auch noch heraus, dass Holger Friedrich von der Stasi als IM geführt wurde.
Intern ist zu hören, die Redaktion arbeite eigentlich an konkreten Maßnahmen, die den Friedrichs solche Auftritte im eigenen Blatt künftig schwerer machen sollen. Oder ihnen zumindest ein Redigat zwischenschalten. Ein Redaktionsstatut soll her. Redaktionsstatute, die die innere Pressefreiheit und die Rechte der Redaktion sichern, sind immer gut. Und es gibt viel zu wenige.
Richtig ist aber auch, dass bei den Friedrichs noch längst nicht alles geklärt ist. Da muss von der Berliner Zeitung geliefert werden, sonst steht es wieder in der Welt am Sonntag. Aber entspannt euch bitte. Alle. Denn wenn die Journalistengewerkschaft DJV zum jüngsten Personalwechsel von der „einstmals renommierten Hauptstadtzeitung“ schwafelt, ist das genauso daneben.
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