Zukunft der „Berliner Zeitung“: Der Journalismus von Morgen?!
Die Eigentümer der „Berliner Zeitung“ ernten Häme für englische Slogans. Kritischer ist, dass Holger Friedrich eine Kollegin denunziert haben soll.
J ens Spahn wäre not amused, würde er sich dieser Tage durch die Berliner Zeitung klicken. „Why settle for yesterday’s journalism“, steht da, „in a city that has always been about tomorrow?“ – „Warum Journalismus von gestern machen, in einer Stadt, in der es immer ums Morgen ging?“. Der Berliner Verlag sucht mit diesem Slogan neue Leute: DigitaljournalistInnen, Volos, VerlagsmitarbeiterInnen, IT-SpezialistInnen. Bevorzugt English speaking – German nicht unbedingt. Jens Spahn hat sich mal beschwert, dass man in Berlin seinen Kaffee neuerdings auf Englisch bestellen müsse. Wenn jetzt auch noch Zeitungen auf Englisch berichten, dreht die Union völlig durch.
Silke und Holger Friedrich, die neuen Eigentümer der Berliner Zeitung, haben mit den Ausschreibungen wieder einmal Häme auf sich gezogen. Das Unternehmerpaar verwechsele den Journalismus mit seiner alten Branche, der Start-up-Szene, wird gewitzelt.
Sicher gibt es bei den Friedrichs einiges, was kritischer Berichterstattung bedarf. Zuvorderst die Stasi-Vergangenheit von Holger Friedrich. Aktuell schreibt die Welt am Sonntag, Friedrich habe 1985 eine Arbeitskollegin denunziert. Die Springer-Zeitung beruft sich auf „Zeitzeugen“, Friedrich hat sich bislang nicht geäußert.
Derartigen Vorwürfen gilt es selbstverständlich nachzugehen. Hingegen verrät der Spott über den Start-up-Habitus der Friedrichs und über ihre Anglizismen eher etwas über die Spötter selbst. In Berlin leben Hunderttausende Menschen, die kein Deutsch sprechen, dafür aber englisch. Für sie gibt es kaum journalistische Angebote. Dazu kommen alle, die englische Serien im Original schauen und nicht vor Schreck das Smartphone fallen lassen, wenn sie einen Text vom Guardian in der Timeline vorfinden. Wie konservativ die deutsche Zeitungslandschaft ist, zeigt der Spott, der ertönt, wenn Verleger mal etwas anders machen, als seit Urzeiten Tradition ist. Zum Beispiel einen langen Bart haben oder Start-ups nahestehen statt Ex-Ministern – wie der Holtzbrinck-Verlag mit seinem Autor Sigmar Gabriel.
Dann werden sie in der Branche gedisst. Dabei sollte die gerade neugierig auf Veränderung sein. Die Berliner Zeitung sucht ja unter anderem deswegen neue Leute, weil sie eigenständiger werden möchte. Bisher kaufte sie einige ihrer Texte bei der Konkurrenz, dem Madsack-Verlag. Das heißt, dass in der Berliner Zeitung teils dieselben Artikel zu lesen waren wie in der Hannoverschen Allgemeinen. Diese Kooperation haben die Friedrichs nun gekündigt – gute Nachrichten für die Vielfalt bei den Regionalzeitungen.
Und der Berliner Zeitung bleibt wenig Zeit, um tomorrow’s journalism zu werden. Im letzten Quartal hat die Zeitung im Vergleich zum Vorjahr mehr als 12 Prozent ihrer Abos verloren. Das ist wesentlich mehr als bei anderen Regionalzeitungen. Aber während von denen viele in Langeweile vor sich hin sterben, kann sich der Berliner Verlag zumindest nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen