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Neue linke Tageszeitung in ItalienLachsfarbene Abenteurer

Eine neue Zeitung für Italiens Linke und das in diesen Zeiten – sind die Macherinnen von „pagina99“ wahnsinnig? Nein, nur mutig, kokett und bunt.

Wünscht dieser Zeitungskäufer eine Ausgabe der „pagina99“? Ihre Macherinnen hoffen es. Bild: imago/caro

ROM taz | „Das ist Wahnsinn mit Methode.“ Nur vier Worte braucht die Chefredakteurin Roberta Carlini, um den Start der neuen Zeitung pagina99 zu kommentieren. Immer schmaler wird der Zeitungsmarkt in Italien, immer schmaler erst recht der Markt für linke Printprodukte, doch Carlini und ihre Mitstreiter wollen es wissen: Seit zwei Wochen sind sie mit ihrem lachsfarbenen Blatt an den Kiosken.

Lachsfarben kommt sonst in Italien die große Wirtschafts-Tageszeitung Il Sole 24 Ore daher, lachsfarben ist die Financial Times, und auch pagina99 schreibt sich selbst in den Untertitel „Tageszeitung für Wirtschaft und Kultur“.

Damit aber hören die Parallelen zu den businessnahen Blättern auch schon auf; schließlich sei der Lachs doch auch ein Tier, das gegen den Strom schwimme, verkündete die Redaktion zum Launch. Pagina99 – das heißt auf Deutsch „Seite 99“, eine kokette Anspielung auf Jack Kerouac, bei dem es auf Seite 99 der Beat-Generation-Bibel „On the road“ heißt: „Und da begann mein Abenteuer.“

99 aber auch als Anspielung auf Occupy Wall Street und deren „Wir sind die 99 Prozent“ gegen das eine Prozent der Superreichen und Krisengewinner. Auf der Seite des Kampfs gegen überbordende Privilegien platziert sich auch pagina99; in der letzten Wochenendausgabe findet sich etwa ein großer Artikel, der die Lebensbedingungen der heute 27- bis 29-Jährigen in Italien mit denen ihrer damals Gleichaltrigen vor 20 Jahren vergleicht und vorrechnet, dass heute 60 Prozent von ihnen noch bei den Eltern leben müssen, während es vor 20 Jahren knapp 44 Prozent waren, der den Absturz der Jahreseinkommen von früher über 15.000 Euro auf heute nur noch 11.700 Euro dokumentiert.

Kritik an der Macht

Artikel wie diesen meint Carlini, wenn sie sagt, dass die Redaktion sich an „anspruchsvolle, deshalb aber nicht elitäre Leser“ wende, an Leser, die sich „Kritik an der Macht“ wünschen, nicht aber ein Blatt, das „ideologische Fahnen aufpflanzt“. Klar sei, dass die Zeitung sich „im Segment der linken Kultur“ bewege, aber es sei keineswegs Absicht von pagina99, festgefügte Identitäten zu bedienen.

Die Präzisierung ist Carlini wichtig, weil ein guter Teil der Redakteure ebenso wie der freien Mitarbeiter eine Vergangenheit beim linken il manifesto hat – jener Zeitung, die zwar ihre letzte große Existenzkrise vorerst überwand, jetzt aber mit einer Printauflage von 11.000 verkauften Exemplaren und einem Aderlass der Redaktion mehr schlecht als recht überlebt.

Pagina99 dagegen setzt auf ein rundum neues Produkt, neu schon darin, dass es als Dreiklang daherkommt: Dienstag bis Freitag ist eine schmale Tageszeitung von 16 Seiten am Kiosk, samstags gibt es eine Wochenzeitung von 56 Seiten (mit einer Einlage fürs Tagesaktuelle von noch einmal acht Seiten), in der die ausgeruhten Geschichten laufen: etwa wie einfach es für iranische Transsexuelle ist, in ihrem Heimatland die Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen oder die Geschichte von Behran, einem 17-jährigen eritreischen Flüchtling, der auf der Sinai-Halbinsel Opfer von Menschenhändlern wurde, der dann über Lampedusa nach Europa kam und jetzt in Schweden lebt. Und neben den beiden Printprodukten setzt pagina99 natürlich auf die Website und die Formate für Tablet und Smartphone.

Jenseits des Palazzos

Auf diese Weise, aber auch mit Inhalten, die nicht „alle schon vorhersehbar sind“, mit einer Berichterstattung, die nicht den „Palazzo“ der Politik in Rom in den Mittelpunkt stellt, sondern gesellschaftliche Entwicklungen „durch die Brille der Kultur und der Ökonomie“ lesen will, hofft Carlini, auch junges Publikum wieder auf die Zeitungslektüre neugierig zu machen, ebenso wie jenes Publikum, das der eingesessenen Zeitungen überdrüssig geworden ist.

Ein gewagtes Unterfangen, denn Italiens Tageszeitungsmarkt ist in den letzten Jahren dramatisch eingebrochen. Doch mit zwanzig Stellen ist die Redaktion mehr als schlank – und ein täglicher Absatz von mehr als 7.000 Exemplaren würde fürs erste den Bestand der neuen Zeitung sichern.

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1 Kommentar

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  • M
    Medienökonom

    So ein gewagtes Unterfangen ist natürlich zu begrüßen. Umso interessanter ist es, auf welcher wirtschaftlichen Grundlage es unternommen wird.