Neue Zahlen zu Gewalt gegen Flüchtlinge: Hass unter dem Radar
In Berlin gab es 2016 bereits fast so viele Angriffe auf Flüchtlinge und Asylheime wie 2015 insgesamt. Die Polizei kommuniziert dazu zurückhaltend.
Selbst die nackten Zahlen allein machen klar, worum es hier geht: 5 Fälle 2013, 16 Fälle 2014, 57 Fälle 2015, 43 Fälle im ersten Halbjahr 2016. Die Fallzahlen rechter Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und ihre BewohnerInnen steigen weiter, es sieht ganz danach aus, als würde das laufende Jahr den Rekord aus dem letzten noch einmal übertreffen. Die aktuellen Zahlen, die die Senatsverwaltung für Inneres auf Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann bekannt gegeben hat, zeigen: Auch wenn die Debatte über Flüchtlinge und ihre Unterbringung ihren Aufreger-Zenit in Berlin bereits überschritten hat, die Gewalt wird nicht weniger.
Was hinter den Zahlen steht, gibt dabei keine Entwarnung. Fünfzehn Fälle von teils gefährlicher Körperverletzung sind darunter, vier Bedrohungsdelikte, zweimal Volksverhetzung, zwölf Fälle von Sachbeschädigung. In der Antwort zu einer ergänzenden Anfrage des Linken-Abgeordneten Hakan Taş werden die Fälle noch näher beschrieben: der Schriftzug „Sniper Position“ auf einer Mauer am Tempelhofer Feld, daneben ein Pfeil in die Richtung der Hangars, in denen Flüchtlinge untergebracht sind. Mit Fäkalien beschmierte Eingänge und Klingelschilder an Unterkünften in Weißensee. Pflastersteine, die durch die Fenster einer Unterkunft in Marzahn fliegen und neben dem Bett eines darin schlafenden Bewohners aufschlagen.
Überhaupt Marzahn: Wieder nimmt der Stadtteil in der Aufzählung, die Herrmann verlässlich alle sechs Monate abfragt, einen Spitzenplatz ein. 17 der 43 Fälle haben sich hier ereignet. Danach folgt der Treptower Ortsteil Altglienicke – wo eine CDU-Abgeordnete die Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte unterstützt – mit sechs Delikten.
43 Fälle in den letzten sechs Monaten, darunter Taten, bei denen die Opfer nur mit Glück schweren Verletzungen entgingen: Diese Zahlen decken sich zwar mit der bundesweiten Tendenz, wo es im ersten Halbjahr 2016 ebenfalls noch mehr Angriffe gab als im Vorjahreszeitraum, überraschen aber trotzdem. Denn Berlin ist – anders als die anderen ostdeutschen Bundesländer – in der öffentlichen Wahrnehmung kein Hort flüchtlingsfeindlicher Gewalt.
Woran das liegt? Hier findet sich in der Antwort auf Taş' Anfrage ein Hinweis: Nur zu drei der dort aufgeführten 30 Delikte hat die Polizei demnach eine Pressemitteilung herausgegeben. Dass im März ein Unbekannter in Marzahn eine Waffe zog und diese mit den Worten „Du bist ein Moslem“ auf einen Flüchtling richtete, dass im April Buttersäure auf dem Hof einer Unterkunft in Friedrichshagen verteilt oder im Mai der Bauzaun eines entstehenden Heims in Altglienicke in Brand gesetzt wurde – von der Berliner Polizei hörte die Öffentlichkeit darüber kein einziges Wort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken