Neue ZDF-Serie „Hameln“: Horror auf Mittelniederdeutsch
Die Serie „Hameln“ holt die bekannte deutsche Sage des Rattenfängers in die Gegenwart. Echter Grusel bleibt dabei aus.
Die deutsche Sagenwelt beinhaltet genug schaurige Geschichten, die, wiederentdeckt und modern interpretiert, ein historisches Horrorgenre aus dem deutschsprachigen Kulturschatz bilden könnten.
Regisseur und Headautor Rainer Matsutani hat dieses Vorhaben nun begonnen: Erstmals wurde die weltweit bekannte und meistübersetzte deutsche Sage des Rattenfängers von Hameln in ein modernes Horror-Mystery-Format übertragen und soll in sechs Folgen die alte Sagenwelt mit den Schrecken der Jetztzeit verknüpfen.
Der Sage nach befreite im 13. Jahrhundert ein Rattenfänger mit seiner Flöte die Stadt Hameln von einer Rattenplage – die Tiere folgten seinem Musikspiel in die Weser und ertranken. Als die Bürger der Stadt ihm seinen vereinbarten Lohn verweigerten, kehrte der Mann zurück und lockte aus Rache mit seiner Melodie die Kinder Hamelns aus der Stadt und verschwand mit ihnen im Poppenberg. 130 Kinder soll Hameln so verloren haben, lediglich „ein stummes, ein blindes und ein lahmes Kind“ blieben – je nach Überlieferung variierend – verschont.
Sage mit modernem Twist
In der Serie werden die blinde Finja (Caroline Hartig), der gehörlose Jannik (Constantin Keller) und der im Rollstuhl sitzende Ruben (Riccardo Campione) in unserer Gegenwart nun von Geisterkindern angegriffen und von Träumen heimgesucht, in denen sie sich gegenseitig in mysteriösen Zeitrückblicken im Mittelalter sehen. Die drei verbünden sich und verstehen schnell, dass sich der Rattenfänger von Hameln (Götz Otto) rächen will und Besitz von heutigen Kindern und Jugendlichen ergreift, die ihre Eltern daraufhin ermorden.
Empfohlener externer Inhalt
Rubens Halbschwester Alina (Emilia Maier), Tochter des gemeinsamen Vaters und ermittelnden Kommissars Erik Zastrow (Christian Erdmann), ist eine dieser vom Rattenfänger besessenen Jugendlichen und wird zur Gefahr.
„Hameln“, 6 Folgen
Der moderne Twist der Geschichte: Die heutigen Eltern müssen nicht für die Schuld der damaligen Bürger Hamelns büßen, sondern für eigene Vergehen wie Mord, Machtmissbrauch und Vertuschung – nur durch ein Schuldbekenntnis können sie dem mörderischen Fluch des Rattenfängers entkommen.
Schwer hat’s die Liebe
Bei allen lobenswerten Versuchen, eine Traditionssage mit gegenwärtigen Schuldmotiven zu verknüpfen und so in die Gegenwart zu holen, versäumt die Serie einiges. Über logische Inkohärenzen hier und da könnte hinweggesehen werden, leider sind auch die Horrorelemente kaum als solche zu bezeichnen: Wenn besessene Jugendliche anfangen, in verzerrter Stimme auf Mittelniederdeutsch zu sprechen, klingt das eher belustigend als angsteinflößend; auch die übrigen Horroreffekte sind alles andere als gruselig.
Dann sextet Veronica Ferres als Mutter von Jannik und Sam (Jonathan Elias Weiske) noch mit verschmitztem Lächeln vor sich hin („Er heißt André. Ein Geschäftsmann.“), was ihre an einen Rosamunde Pilcher-Plot erinnernde Schuld wird, für die sie sühnen muss: sich neu zu verlieben, während ihr Gatte (Simon Böer) im Wachkoma liegt – schwer hat’s die Liebe in diesen Tagen.
Trotz origineller Idee und bemerkenswerten Jungdarsteller:innen verfehlt „Hameln“ den wirklich neuen Kniff, das wirklich gruselige Moment, und ermutigt hoffentlich trotzdem, die Suche im deutschen Sagenschatz fortzusetzen.
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