Neue Webseite zeigt Lobbyeinfluss: Kopierfabrik Brüssel
Nach VroniPlag und GuttenPlag kommt jetzt LobbyPlag: Die Netzplattform will Textbausteine von Lobbyisten in EU-Gesetzen kenntlich machen.
Wer hat gesagt, die Segnungen der digitalen Textrecherche dienen nur dazu, MinisterInnen mit Doktortitel zu Fall zu bringen? Richard Gutjahr, Marco Maas und Sebastian Vollnhals finden, dass zusammenkopierte Promotionen nicht das einzige Problem sind – sondern auch zusammenkopierte Gesetze. Die drei Männer von Open Data City haben darum die Plattform lobbyplag.eu geschaffen, auf der Vorschläge von EU-Politikern auf ihre Quellen hin geprüft werden: Hat da zufällig die Industrie mitgeschrieben? Vorgeschrieben?
Gutjahr redet von der „Kopierfabrik Brüssel“. Die „Formulierungshilfen“ der Lobbyisten kämen praktischerweise nicht als pdf-Dokument, sondern gleich als Word-Datei: mit passender Schriftart und -größe, Copy and Paste leicht gemacht. Manchmal mit irritierenden Obertönen. Die Grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger erzählt der taz: „Unlängst bekam ich eine Mail von einer Consulting-Firma, welche mir Abstimmungsvorschläge zukommen lassen wollte, jedoch unter dem Betreff ’voting instructions‘.“
Der Wirtschaft freilich ist nicht vorzuhalten, dass sie ihren Job gut macht und ihre Interessen schützt. Aber wer kennt schon das Ausmaß, in dem die Politik dem nachgibt? LobbyPlag will aufklären und konzentriert sich zunächst auf ein Projekt: Die EU arbeitet an einer neuen Verordnung zum Datenschutz, der Geschäftsgrundlage für Big Data. Banken, Versicherungen, Krankenkassen sind betroffen; Google, Facebook, Microsoft, Apple, Amazon und eBay.
Die Lobbyisten rennen den Politikern die Türen ein. Jan-Philipp Albrecht, grüner Europaabgeordneter und Datenschutzexperte rechnet vor, dass er seit März 2012 Vertreter von 186 Firmen, Verbraucherverbänden, NGOs getroffen hat. Das Gros der Besucher kam aus der Wirtschaft; sie bringt mehr Personal und Geld auf die Lobbywaage als jede NGO. Die LobbyPlag-Leute haben bereits Unterlagen zugespielt bekommen, in denen deutlich wird, welche Zeilen oder ganze Seiten aus Vorlagen der Wirtschaft in Änderungsanträgen von Abgeordneten landen.
Anlass zu medialer Selbstkritik
Sicher ließ sich auch schon vor der Erfindung der Suchfunktion recherchieren, welcher Europarlamentarier und welches EU-Kommissionsmitglied sich Textbausteine in die Tastatur diktieren ließ – aber mühsamer. Insofern ist LobbyPlag auch Anlass zu medialer Selbstkritik. Immer werden Gesetzestexte aus Berlin ungleich viel intensiver diskutiert als EU-Verordnungen. Die vierte Gewalt ist auf den Fluren der EU-Gebäude nur in Gestalt einzelner, wenngleich tapferer BrüsselkorrespondentInnen vertreten. Für die meisten Politiker ist ein Posten im EU-Parlament zudem kein politisches Karrieresprungbrett – und für manchen offenbar eher Geschäftssitz.
Bestes Beispiel: der österreichische konservative Europaabgeordneten Ernst Strasser. Der brüstete sich 2010 vor Undercover-JournalistInnen damit, von sechs „Klienten“ jährlich 100.000 Euro für Einflussnahme auf Gesetze bekommen zu haben.
Wenn sich nun die Netzgemeinde ebenso liebevoll um die Herkunft der europäischen Gesetzgebung kümmert wie um die akademischen Meriten der deutschen Politikkaste, ist dies ein Fortschritt. Natürlich werden die Lobbyisten neue Spielarten finden. Das Gespräch mit dem jovialen Lobbyisten könnte demnächst mit einem kleinen Scherz beginnen: „Ich habe Ihnen hier unseren Wunschvorschlag auf Papier mitgebracht, aber über den konkreten Text verhandeln wir lieber mündlich, gell?“
Die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik ist mit digitalen Plattformen nicht zu beenden, aber zu erschweren – schon allein, weil sie Aufmerksamkeit erregen.
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