piwik no script img

Neue Vorwürfe gegen Erdogan„Kümmern Sie sich darum“

Ein neuer angeblicher Telefonmitschnitt des türkischen Regierungschefs Erdogan ist aufgetaucht. Darin möchte er einen Medienboss verurteilt sehen.

Wollte sein Image in den Medien wohl übers Gericht aufpolieren: Tayyip Erdogan. Bild: dpa

ISTANBUL taz | Erneut ist in der Nacht von Montag auf Dienstag im Internet ein Telefonmitschnitt aufgetaucht, der dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan schweren politischen Schaden zufügen kann. Ging es in den bisherigen illegalen Veröffentlichungen angeblicher Telefongespräche Erdogans mit seinem Sohn Bilal um Bestechung und das Beiseiteschaffen Dutzender Millionen Korruptionsgelder, so geht es dieses Mal um einen massiven Eingriff in die Justiz.

Gesprächspartner Erdogans in dem jetzt veröffentlichten Telefonmitschnitt ist der frühere Justizminister Sadullah Ergin. Es geht um den Medienboss Aydin Dogan, einen der reichsten und einflussreichsten Unternehmer des Landes, mit dem Erdogan in bitterer Fehde liegt.

Weil das Flaggschiff der Dogan Medien Holding, die auflagenstarke Tageszeitung Hürriyet vor Jahren schon einmal breit über eine Korruptionsaffäre in den Reihen der AKP berichtet hatte, erklärte Erdogan dem Dogan-Konzern öffentlich den Krieg. Er warf Hürriyet unwahre Berichterstattung vor, rief dazu auf, die Blätter des Konzerns nicht mehr zu kaufen, und schickte Dogan die Steuerfahndung ins Haus. Plötzlich war der Konzern mit Steuerforderungen von bis zu einer Milliarde Euro konfrontiert, Forderungen, gegen die sich Dogan gerichtlich zur Wehr setzte.

In dem jetzt veröffentlichten Gespräch, das Erdogan wie alle anderen zuvor als „empörende Fälschung“ zurückweist, beschwert er sich bei Justizminister Ergin, dass Dogan nicht wunschgemäß verurteilt wurde. „Kümmern Sie sich darum“, weist Erdogan seinen Justizminister an. Der Richter sei ein feindlich gesinnter Alevit gewesen, das dürfe nicht noch einmal passieren. Ergin verspricht, dass in der nächst höheren Instanz alles glattgehen werde, obwohl es auch dort Richter gebe, die nicht auf ihn hörten.

Das Gespräch ist vor dem Hintergrund eines kürzlich verabschiedeten Gesetzes interessant, mit dem die Justiz künftig noch enger unter die Kontrolle der Regierung gestellt wird. Wenn die Aufnahme echt ist, macht sie deutlich, was viele Türken längst glauben: dass die Regierung von der Unabhängigkeit der Justiz entgegen ihren öffentlichen Beteuerungen noch nie viel gehalten hat.

Angst um die Kommunalwahlen

Die Glaubwürdigkeit Erdogans erleidet damit wenige Wochen vor wichtigen Kommunalwahlen am 30. März erneut schweren Schaden. Obwohl er kürzlich erst ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets hat verabschieden lassen, gelingt es den Behörden nicht, immer neue Enthüllungen über ihn und seine Regierung im Internet zu verhindern.

Erst letzte Woche hat der Nationale Sicherheitsrat beschlossen, die „illegalen Telefonmitschnitte“ seien eine Bedrohung der inneren Sicherheit. Seitdem wartet das Land auf Verhaftungen in den Reihen der islamischen Gülen-Gemeinde, die Erdogan für die Kampagne gegen ihn verantwortlich macht.

Doch schon jetzt hat die Korruptionsaffäre verheerende Folgen für Erdogan und seine AKP-Regierung. Gelang es dem Premier bei den Parlamentswahlen 2011 noch nahezu 50 Prozent der Wähler für sich zu gewinnen, liegt die AKP in meisten Umfragen jetzt unter 40 Prozent.

Parlamentssprecher Cemil Cicek, eine der wichtigsten Figuren der AKP neben Erdogan, senkte die Erwartung seiner Partei denn auch schon deutlich nach unten. 38 Prozent, wie bei den Kommunalwahlen 2009, wären ein schöner Erfolg, meint er nun. Bereits jetzt wird über eine Spaltung der AKP spekuliert, sollte die Partei bei Wahlen, die längst den Charakter eines Referendums über Erdogan haben, weniger als 35 Prozent bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!