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Neue Verfassung in Tunesien"Jetzt fällt die Maske"

Die Trennung von Staat und Religion ist für die Ennahda-Partei ein Angriff auf das „islamische Denken“. Der Streit um die neue Verfassung eskaliert.

Protest gegen Islamisten in Tunis Ende Februar. Bild: dpa

MADRID taz | Die Rolle der Religion in der künftigen Verfassung entzweit Tunesien. Während Wahlsieger Ennahda in einem Thesenpapier, das die gemäßigten Islamisten Ende Februar der verfassunggebenden Versammlung vorlegten, vom „Islam als Hauptquelle des Rechts“ spricht, wollen weltliche Parteien eine „zivile Ordnung“.

„Der Islam hat nie – weder in seinen Texten noch in seiner Geschichte – die Trennung von Religion und Politik oder dem Irdischen und dem Geistlichen gekannt“, heißt es in dem Dokument von Ennahda (Renaissance), die 89 der 217 Parlamentssitze innehat. Alle Aufrufe zur Trennung von Staat und Religion seien „ein Angriff auf das islamische Denken“.

Der fundamentalistische Flügel Ennahdas geht noch einen Schritt weiter und verlangt, dass in der Präambel der neuen Verfassung die Scharia, das islamische Recht, ausdrücklich als Grundlage der neuen tunesischen Ordnung erwähnt wird. Außerdem will die islamistische Partei, die immer wieder die Türkei als Vorbild für das künftige Tunesien nennt, einen Hohen Islamischen Rat installieren. Dieser soll darüber wachen, dass kein Gesetz im neuen Tunesien gegen die religiösen Werte verstößt.

Solche Aussagen machen weltliche Politiker hellhörig. Sie befürchten eine langsame Islamisierung Tunesiens, das bisher als das offenste und modernste Land in der arabischen Welt gilt. In den vergangenen Monaten haben führende Politiker von Ennahda immer wieder vom „neuen Kalifat“ geredet, in Anlehnung an die traditionellen Gesellschaften, in denen Religion und Politik eine Einheit bilden. Außerdem wetterten sie gegen den Alkoholkonsum, verteidigten die Polygamie und forderten den Schleier für alle Frauen.

Weltliche Parteien rücken zusammen

„Nach einigen Monaten der Komödie fällt jetzt die Maske“, heißt es auf nawaat.org, einer Internetseite, die bei den Protesten, die zum Sturz des Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali führten, eine wichtige Rolle spielte. „Ennahda enthüllt ihr wahres Wesen und legt den Anzug einer zivilen, politischen Partei mit Bezug auf den Islam ab, um ihr theokratisches Projekt voranzutreiben“, schlussfolgert nawaat.org.

Die weltlichen Parteien rücken angesichts der Kampagne Ennahdas enger zusammen. Ein Bündnis aus der sozialdemokratisch orientierten Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) sowie mehrerer kleiner, in der verfassunggebenden Versammlung vertretenen Gruppierungen halten gemeinsam Großveranstaltungen ab, um ihre Idee eines offenen, weltlichen Staates zu verteidigen, „weit entfernt von allen nationalistischen und religiösen Grundlagen“.

Hinter der Bühne laufen Verhandlungen für die Gründung einer gemeinsamen fortschrittlichen Partei, um Ennahda einen starken Block entgegenzusetzen. Bisher sind die weltlichen Kräfte zersplittert.

Eine der beiden Parteien, die mit Ennahda regiert, die ebenfalls sozialdemokratische Ettakatol des Präsidenten der verfassunggebenden Versammlung, Mustapha Ben Jaafar, droht eine Zerreißprobe. In mehreren Städten kam es zu Parteiaustritten führender Mitglieder. „Mit der Allianz mit Ennahda haben die Führer von Ettakatol die Basis verraten“, erklärten sie auf einer Pressekonferenz Mitte Februar. Ob sie eine eigene Partei gründen oder einen Einigungsprozess der weltlichen Parteien unterstützen, steht noch nicht fest.

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17 Kommentare

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  • BL
    Boussena Lisette

    Ich glaube das geht schlecht aus und mir wird schon ganz anders. Es lebe die Freiheit ,die Gerechtigkeit und die Einigkeit. WAS MACHEN DIESE MENSCHEN !!!!!!

  • CN
    Carmen Neuss

    Tja, kein Zuckerschlecken für die freiheitlichen Kräfte in Tunesien. Das wird Zoff geben! Aber, so wie es aussieht und wenn es so weitergeht, in einigen Jahren stehen wir vor einer ähnlichen Herausforderung!

  • A
    Aswestos

    @ansar hezbollah

    Weltweiter Frieden, wenn überall der Islam herrscht?

    Dream on

    Realität: Im osmanischen Reich gab es Aufstände von Schiiten und von Arabern. Das osmansiche Reich hat gegen den Iran Krieg geführt. Und wer hat sich 30 Jahre lang in Afghanistan bewaffnet um die Macht gestritten? Allesamt sunnitische Fundamentalisten. Im Irak bekämpfen sich derweil Sunniten und Schiiten.

    Und wie war das noch mit der Kamelschlacht...

  • C
    Charlene

    Tja, was soll ich jetzt sagen? Soll ich euch loben, dass ihr mal die Scharia thematisiert?

     

    Ihr liegt - gelinde gesagt - weit, weit zurück mit dem Thema. Eine Antwort speziell an die taz...

     

    "Die taz auf dem Prüfstand: Wie ernst ist euch das Thema Scharia wirklich?!?"

     

    http://www.zukunftskinder.org/?p=18270

  • S
    simon23

    @ Ansar Hezbollah

     

    Geben Sie es zu: Sie sind ein Saboteur :-). Sollten Sie es ernst meinen, würden Sie die Urängste des Westens ja geradezu verkörpern.

     

    Ansonsten warte ich erst mal ab, ob sich dieser Bericht bestätigt. Allerdings habe ich nie zu jenen gehört, die sich vom Arabischen Frühling viel versprochen haben. Tunesien sah so nach der einzig einigermaßen relevanten Chance aus. Für Libyen, Ägypten und Syrien, falls es soweit kommt, sehe ich völlig schwarz.

     

    Aber erstmal abwarten. Vielleicht ist der Artikel wirklich nicht gut geschrieben.

  • S
    squier

    @Ansar Hezbollah

     

    Du bist doch bestimmt Einer der hier nach Religionsfreiheit schreit. Wenn es so etwas wie Islamophobie gibt, sind so Leute wie du dafür verantwortlich. Aus deinem Kommentar geht doch einduetig hervor, dass deine Religion der ganzen Welt aufgezwungen werden soll und Jeder der das nicht will ist "islamophob". Du solltest noch viel mehr von diesen Kommentaren veröffentlichen, damit noch mehr Leute raffen was Sache ist und islamophob werden.

  • LM
    Lisa M.

    Und wer predigt hier in diesem Lande ununterbrochen, dass wir Tolleranz mit den Intolleranten haben sollen? Auch hier kommen die Einschläge näher. Passe jeder der Beschöniger der Verhältnisse gut auf. Wenn die Zustände unhaltbar werden, wird man diese Hetzer nicht vergessen.

  • M
    mira

    Vermutlich hat Herr Wandler den Artikel aus einer Entfernung von Hunderten Kilometern in Spanien geschrieben, indem er lediglich eine franzöischsprachige Website von eingefleischten Ennahda-Gegnern konsultiert hat. Da stimmen schon die Fakten gar nicht. Der Hohe Islamische Rat wurde schon unter Bourguiba installiert und hat auch unter Ben Ali existiert. Politiker von Ennahda haben keineswegs "immer wieder" von einem "neuen Kalifat" geredet, sondern der Generalsekretär der Bewegung hat EINMAL davon gesprochen, um sich auf ein Ideal von ethisch begründeter Politik in der islamischen Geschichte (in seiner Sicht) zu beziehen. Das gehört nun mal zum symbolischen Diskurs von Ennahda. Der Vorsitzende der Bewegung hat bereits 1988 das tunesische Familienrecht (das die Polygamie verbietet!) als islamisch legitim anerkannt und diese Position auch in der Gegenwart immer wieder vertreten. Dass Politiker der Bewegung "den Schleier für alle Frauen" fordern ist schlichtweg eine Falschinformation; die Ennahda-Spitzenkandidatin in Tunis bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung ist permanent ohne Kopftuch aufgetreten, und die erklärte Position der Bewegung ist, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, irgendwelche Kleidungs- und Speisevorschriften durchzusetzen. Ob die "shari'a" tatsächlich in der Verfassung erwähnt werden soll (und was das dann auch überhaupt an Folgen für das kodifizierte Recht haben würde), ist bisher selbst in Ennahda keineswegs eindeutig geklärt. Usw., usf. Es ist, als hätte sich Herr Wandler auf einer CSU-Website über die Positionen der Linken informiert... Über die Positionen von Ennahda kann er sich wohl schon deshalb nicht wirklich informieren, weil er des Arabischen nicht mächtig ist. Thesenpapiere von Ennahda werden nämlich in der Landessprache verfasst. Aber auch diese Tatsache ist in den hier vorherrschenden Clichés ja wohl auch schon Ausdruck antiwestlicher Anti-Aufklärung! Unsäglich, liebe TAZ...

  • B
    bernard

    warum sagt keiner dem kapitalismus, dass seine religion nur privatsache sei - staat und religion trennen? Ok, aber in Deutschland.

  • M
    mickaela

    Lachnummer.

    Wer sich schon vor einem Jahr mit dem Koran/Islam auskannte und dies auch kund gab, wurde als Rechter wenn nicht gar Nazi verunglimpft.

    Dabei ist es doch ganz einfach, wenn man all diese Länder hernimmt, in denen der Islam das Sagen hat.

    Islam und Demokratie sind NICHT kompatibel.

    Wer etwas anderes behauptet ist kein Gläubiger - zumindest ein Unwissender!

  • D
    Dirk

    @JGO

     

    "Ausserdem ist einzig und allein an den Bürgern Tunesiens, sich für Ihre Freiheit einzusetzen und sich hierbei auf keinen Fall von westlichen Medien oder Meinungen beeinflussen zu lassen."

     

    Was den ersten Satzteil betrifft, haben Sie natürlich Recht. Der zweite wiederum ist 'demaskierend': Sie meinen also, wir 'Westler' könnten mit unseren sehr hart erkämpften und stets neu zu erkämpfenden Errungenschaften von Aufklärung, Säkularismus und Menschenrechten für niemanden ein Vorbild sein? Die Kämpfer für säkulare, humanistische Werte in Nordafrika würden eine solche Auffassung als blanken Hohn empfinden, ebenso Menschen, die vor dem politischen Islam zu uns geflohen sind.

  • SR
    Stefan Räbiger

    Wer gedacht hat Tunesien wird nach der "Befreiung" ein moderner säkularer Rechtsstaat, der sollte mal seine Kenntnisse über Nord-Afrika und auch den Islam schnellstens auffrischen und das ohne irgendwelche Beliebigkeitsfilter. Es gibt viele moderne aufgeschlossene Menschen die genauso wie wir hier in einer offenen Gesellschaft mit allen garantierten Menschenrechten leben möchten, für diese Leute fürchte ich bleibt nicht viel von der anfänglichen Begeisterung übrig, wenn es ganz schlimm kommt müssen diese Menschen um ihr Leben fürchten wenn sie offen aussprechen. Ich hoffe das ist den europäischen Staaten klar, das wir eine Menge Leute in der nächsten Zeit bei uns aufnehmen müssen, das ist eine Pflicht nach all den großen Sprüchen unserer Politiker. Mir tut das sehr leid wenn gerade diese Menschen ihre Heimat verlassen müssen, das sind die die überhaupt mal was bewegt haben.

  • AH
    Ansar Hezbollah

    Sehe ich genau so wie Ennahda. Ich hoffe bei der nächsten Wahl werden die Muslime die absolute Mehrheit bekommen und danach alle islamophoben Parteie aus dem Parlament fegen. Wir brauchen in Tunesien eine islamische Republik nach iranischem Vorbild. Zum Glück wächst aber der Islam im Gegensatz zu den Ungläubigen Christen und Zionisten so das sich das Problem in Zukunft von alleine löst. Mein Traum wäre es wenn alle Grenzen verschwinden würden und überall der Islam herrschen würde. Keine Kriege mehr, keine Armut, keine Islamfeinde. Das wäre herrlich. Inshallah wird der Islam siegen!

  • H
    Hansss

    Ich frage mich immer wieder, warum irgend jemand überrascht ist, dass die Ennadha so argumentiert. Jeder der nicht eine Schere im Kopf hat weiß, dass der Islam eine Trennung von Kirche und Staat, von religiösen Geboten und staatlichen Gesetzen nie kannte und nie kennen wird.

     

    Da, wo eine islamische Partei an der Regierung ist, wird die Scharia zum Gesetz.

  • W
    wolf26

    Wie heißt es doch so schön: die Geister die

    ich rief...

    Haben sich die westlichen Scharfmacher wieder selber ein " Ei " gelegt!

  • J
    JGO

    Welch ein Titel? Was ist unter der Maske?

    Müssen wir uns jetzt alle fürchten und werden jetzt alle Frauen daheim an den Herd gekettet?

     

    Wir wissen (und wussten auch schon vorher) was bei dem Diktator unter der Maske war, aber hier wissen wir es definitiv nicht. Ennahda ist von der Mehrheit gewählt worden, ob wir das jetzt gut finden oder nicht. Ausserdem ist einzig und allein an den Bürgern Tunesiens, sich für Ihre Freiheit einzusetzen und sich hierbei auf keinen Fall von westlichen Medien oder Meinungen beeinflussen zu lassen.

    Deswegen, sehr geehrter Autor, immer schön die Ruhe bewahren und bitte auf sensationsgeladene Titel vermeiden. Noch ist gar nichts eskaliert.

     

    Jürgen

  • D
    Dirk

    Oh, tatsächlich, eine islamistische Partei macht fundamental-islamistische Politik, wer hätte das schon voraussehen können? Frage mich, was manche Witzfiguren in den Medien nun sagen, die vor Wochen rumdröhnten, dass eine "gemäßigt"-islamische Partei auch nicht viel anders sei als eine christliche im Westen. Also dann der islamistische Winter in Nordafrika, Syrien wird folgen. Aktuell wenig tröstlich ist, dass in 50 Jahren dort keiner mehr gröhlen wird "Der Islam ist die Lösung". Bleibt nur, solange wenigstens hier die Ideale der Aufklärung und des Humanismus gegen religiösen Wahnsinn zu verteidigen.