Neue Strenge nach dem 1. Mai: Polizei zieht ihre Hand zurück

Innensenator prüft nach den Mai-Krawallen Auflagen für linke Demos. Verbote denkbar. Polizei und Demo-Organisatoren beschuldigen sich gegenseitig

Kein Wunder, dass das Vertrauen flöten gegangen ist: Viele Polizisten und ein Demonstrant am 1. Mai in Kreuzberg Bild: dpa

Die Frau, die am Abend des 1. Mai am Kottbusser Tor von einem Molotowcocktail getroffen wurde, hat Verbrennungen zweiten und dritten Grades, sagte Justizsprecher Michael Grunwald. Der Brandsatz hatte wie berichtet offenbar zwei Polizisten gegolten, diese aber verfehlt. Bei einem zweiten Vorfall soll gegen 0:35 Uhr ein Brandsatz in der Adalbertstraße auf Polizisten geworfen worden sein. Das Benzin habe die Beamten nicht getroffen. Bei beiden Vorfällen sind jeweils zwei Männer festgenommen worden, gegen die Haftbefehl wegen Mordversuchs ergangen ist. Über die Herkunft der Tatverdächtigen ist wenig bekannt. Grunwald sprach von drei Heranwachsenden im Alter von 18 und 19 Jahren sowie von einem 16-Jährigen. Zwei hätten das Gymnasium besucht.

In der linken Szene werden die Vorfälle in Internetforen heftig diskutiert. Die Verletzung der Frau durch einen Molotowcocktail sei die Tat von "Idioten" gewesen, schreibt ein Nutzer auf Indymedia. "Wer mehr Feuer will, soll Mülltonnen anbrennen, aber nicht ziellos Mollies werfen", heißt es an anderer Stelle. Manche begrüßten indes die Ausschreitungen als "öffentlichkeitswirksames Ziel, die staatliche Hoheit über die 18-Uhr-Demo nicht zu akzeptieren".

Martin Reill von der Antifaschistischen Linken spricht bei den Brandsatzwerfern von "jungen Perspektivlosen", die nicht in der autonomen Szene organisiert seien. Angesichts der Massen am 1. Mai würde in der autonomen Szene ein Einsatz von Mollis als nicht verantwortbar betrachtet. PLU, KO

Die Zeiten, in denen die Polizei bei linksradikalen Demonstrationen vertrauensvoll auf das Deeskalationskonzept der ausgestreckten Hand setzte, sind vorbei. Nach dem Gewaltausbruch vom 1. Mai habe sich die Lage grundsätzlich geändert, sagte die Sprecherin von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), Nicola Rothermel, am Montag. Generell müsse jetzt bei jeder Demonstration aus dem linken Spektrum nachgedacht werden, ob Auflagen notwendig sind oder ein Verbot erwogen werden müsse. "Das muss für jede Demonstration neu bewertet werden. Wir haben eine neue Situation."

Nicht nur die Molotow-Cocktails-Angriffe auf Polizisten unterscheiden den diesjährigen 1. Mai von seinen Vorgängern. Gleich zu Beginn der revolutionären 1.-Mai-Demonstration kurz nach 18 Uhr waren Polizeieinheiten an einer Tankstelle mit Steinen und Flaschen eingedeckt worden. In den letzten Jahren hatten Ausschreitungen stets erst deutlich nach Abschluss der Demos begonnen.

Körting sprach von einem Rückschlag und einer neuen Qualität der Gewalt. Dennoch versicherte seine Sprecherin, dass am Deeskalationskonzept der rot-roten Landesregierung festgehalten werden solle. Auch Polizeipräsident Dieter Glietsch bezeichnete die die Kombination aus strategischer Zurückhaltung und schnellem Zugriff bei Gewalttaten "als alternativlos".

Doch das Grundvertrauen, das die Polizei zuletzt vor Protestmärschen der Linksradikalen hatte, ist mehr als angeknackst. Schon bei den Freiraumtagen im März waren ein Verbindungsmann der Polizei und eine Verkehrsstreife angegriffen worden. Solche Vorfälle würden in Zukunft verstärkt Eingang in die Gefahrenprognose finden, heißt es aus Sicherheitskreisen. Selbst Demonstrationsverbote seien denkbar. Auch für das Taktik der Polizei dürfte das Aufmuskeln der linken Szene Folgen haben. Eine Rückkehr zu verstärkten Vorkontrollen und Polizeispalieren ist denkbar. Kurzum: Die Zeiten, in denen die Polizei selbst bei vereinzelten Steinwürfen aus dem Zug heraus auf eine Beruhigung der Lage durch die Veranstalter vertraute, dürften vorbei sein.

Unterdessen erheben die Demo-Organisatoren schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Der Anwalt Sven Richwin, der im Auftrag von Kirill Jermak (Linke) die 18-Uhr-Demo angemeldet hatte, sagte, der Verbindungsbeamte der Polizei habe sich nach dem Demo-Start in Luft aufgelöst. Als die Demoleitung die Route aufgrund der sich zuspitzenden Stimmung abkürzen wollte, sei es ihm nur unter extrem erschwerten Bedingungen möglich gewesen, Kontakt zur Einsatzleitung zu bekommen. Bis der Einsatzleiter vor Ort die Frage mit dem Polizeipräsidium abgeklärt habe, sei weitere Zeit verstrichen, so Richwin. Die Unruhe im Zug sei so gewachsen. Statt erfahrene Berliner Beamte hinzuziehen, sei die Bundespolizei für die Demo zuständig gewesen. Deren Einsatzleiter habe im Stadtplan schauen müssen, wo eigentlich die Skalitzer Straße sei. "Ich will die Gewalttaten auf der Demonstration nicht kleinreden", so Richwin. "Aber die Polizei hat es uns teilweise sehr schwer gemacht, die eskalierende Stimmung aufzuhalten."

Polizeipräsident Glietsch weist die Vorwürfe zurück. Die Bundespolizei sei genauso kompetent wie die Berliner Polizei. Dem Veranstalter sei ein Ansprechpartner zur Seite gestellt gewesen. Nach den Angriffen auf Antikonfliktteams der Polizei sei der Beamte abgezogen worden, um ihn nicht auch noch zu gefährden. "Wer dafür sorgt, dass die Polizei mit Steinen und Flaschen beworfen wird, darf sich nicht wundern, wenn ihm später der Ansprechpartner fehlt."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.