Neue Serie „Ronja Räubertochter“: Endlich Mut, auch Düsternis zu zeigen
Die neue „Ronja Räubertochter“-Serie widersteht der Versuchung einer zuckersüßen Geschichte. Sie traut Kindern wie einst Astrid Lindgren was zu.
„Ronja Räubertochter“ ist eines der Bücher von Astrid Lindgren, das in seiner märchenhaften Fantastik und gleichzeitigen Erzählung eines großen Familiendramas Leser jeden Alters bis heute bewegt und berührt. Die ARD strahlt nun pünktlich zur Weihnachtszeit eine Neuverfilmung aus: Ein Remake als Serie, das der Versuchung einer zu betulichen Kinderversion widersteht und die düsteren, schrecklichen Elemente der Räuberwelt angemessen bedrohlich darstellt.
Lindgrens Bücher sind berühmt für ihren Mut, auch das Dunkle des menschlichen Lebens zu porträtieren: Der Tod fand wohl selten so ehrlich und traurig Eingang in die kanonische Kinderliteratur wie in „Die Brüder Löwenherz“, die Kurzgeschichtensammlung „Klingt meine Linde“ ist geprägt von Geschichten um dunkle Kräfte und das außerweltlich Bedrohliche.
Auch „Ronja Räubertochter“ wird in seiner literarischen und erzählerischen Besonderheit einzigartig durch den Wechsel zwischen Hell und Dunkel: Die einzige Tochter einer Räuberbande wächst auf der Mattisburg auf, verehrt von ihrem Vater, geliebt von ihrer Mutter und allen anderen Räubern, besonders dem alten Glatzen-Per.
Ronja freundet sich mit dem in derselben Nacht wie sie geborenen Sohn Birk der verfeindeten Räuberbande an, der Streit der Familien eskaliert, die Kinder fliehen in die Natur – schlussendlich versöhnen sich die Familien um ihrer Kinder willen, die sich von dem Beruf ihrer Vorfahren distanzieren und ein eigenständiges Leben in der Natur beginnen.
Durchzogen von Dichotomien
Die Geschichte ist durchzogen von Dichotomien: Die beiden Familien stehen sich auf der durch einen Blitzschlag getrennten Burg gegenüber. Der Sommer im Mattiswald ist paradiesisch, der Winter dafür umso unerbittlicher. Der liebevolle Glatzen-Per stirbt im Laufe der Geschichte und der Sicherheit der steinernen Burg steht eine tödliche Außenwelt gegenüber. Die Umgebung der Burg wird bewohnt von bedrohlichen Fabelwesen, den Wilddruden, die Ronjas Eltern schon bei ihrer Geburt androhen, das Kind zu verschleppen und zu zerfleischen, den Graugnomen, den Rumpelwichten und den Unterirdischen, die durch ihre Stimmen Menschen in die Unterwelt locken können.
Eine Neuverfilmung der Geschichte könnte nun Gefahr laufen, in zuckersüßer Kinderfilmmanier die Druden ein bisschen weniger schlimm und den Wald ein bisschen weniger bedrohlich zu zeichnen, der Räuberbande noch ein paar freundliche Räuberinnen hinzuzufügen und alles ein bisschen zu eindeutig und zu schnell gut ausgehen zu lassen. Regisseurin Lisa James Larsson und Drehbuchautor Hans Rosenfeldt widerstanden dieser Versuchung und reihen „Ronja Räubertochter“ nicht in die lange Reihe von nur oberflächlich gruseligen, aber eigentlich stets positiven Kindergeschichten ein – das Dunkle aus Lindgrens Literatur wird beibehalten.
Gleichzeitigkeit von Glück und Trauer
Die Gefahr der fantastischen Außenwelt, die Einsamkeit Ronjas auf der Burg, der elterliche Schmerz über das Wissen um die Notwendigkeit, das eigene Kind loslassen zu müssen – nichts davon wird in Pastelltönen übermalt. Die Filmästhetik überrascht schon in ihrer Farbgebung im Vergleich zur mittlerweile üblichen überbelichteten Märchenatmosphäre des heutigen Kinderfilms. Besonders die intime und von tiefer Liebe, Angst und Reue durchzogene Vater-Tochter-Beziehung zwischen Ronja und ihrem Vater Mattis wird durch die Besetzung mit Christopher Wagelin und Kerstin Linden ganz hervorragend eingefangen.
1. Staffel, 6 Folgen, ab 20. Dezember in der ARD Mediathek, Staffel 2 im Frühling 2025
Damit traut die Neuverfilmung Kindern wie Erwachsenen das zu, was Lindgren schon immer wusste: dass gute Kinderliteratur – und ihre Verfilmungen – Kindern eine Gleichzeitigkeit von Glück und Traurigkeit zutrauen darf.
Hinweis: In einer früheren Version hieß es, dass „Mio, mein Mio“ den Tod thematisiert. Richtig ist: Der Tod wird themaitisiert in „Die Brüder Löwenherz“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus